Guten Tag, ich heiße Florence.“ So beginnt die Mail, mit der eine gewisse Florence den Brüsseler Fernsehjournalisten ein Angebot unterbreitet – ein sehr unmoralisches, wie ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause findet. Denn Florence bietet den Sendern Beiträge über EU-Themen an – völlig gratis, sendefertig und frei von Rechten. Sie tut das im Namen einer Produktionsfirma – und „in Partnerschaft mit der EU-Kommission“, schreibt sie. Unabhängige, kritische Berichterstattung könne man bei von der Kommission finanzierten Reportagen natürlich nicht erwarten, sagt Krause. „Die- se Praxis ist skandalös. Es ist nicht Job der EU-Kommission, Journalismus zu ersetzen. Sie beschädigt so ihre eigene Glaubwürdigkeit.“
Lob und Tadel. Beispiele wie dieses gab es in der Vergangenheit immer wieder – und die Reaktionen zeigen: Längst nicht immer ist das Brüsseler Journalistencorps mit der Pressearbeit der EU-Kommission wirklich zufrieden. Das gilt auch für Michael Stabenow, Vorstandsmitglied der Vereinigung der internationalen Presse (API) und EU-Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Vor allem seit dem Nein der Franzosen und Holländer zur EU-Verfassung versuche die EU-Kommission mit allen Mitteln, die Kluft zwischen Europa und seinen Bürgern zu schließen, beobachtet er. „Dieses zuweilen krampfhafte Bemühen, die Bürger von den Vorteilen der EU zu überzeugen, hat jedoch dazu geführt, dass auf Kosten einer notwendigen sachlichen Information der Gesichtspunkt der Kommunikation in den Vordergrund getreten ist.“ Hinzu kommen überlastete Sprecher und labyrinth- artige Internetseiten – bis heute sind in Brüssel derlei Klagen über die Rahmenbedingungen der EU-Berichterstattung zu hören.
An genau diesen Schwachstellen arbeitet Margot Wallström. Als Kommunikationskommissarin (ein Posten, der 2004 neu eingerichtet wurde) hat sie einen Aktionsplan vorgelegt, eine Strategie ausgearbeitet und macht nun immer wieder konkrete Vorschläge, wie Europa künftig in die Köpfe von Journalisten und Bürgern gelangen kann. So präsentiert sich die EU-Kommission mittlerweile mit Minivideofilmchen auf YouTube (http://www.youtube.com/eutubede) und lässt Internetsurfer so beispielsweise einen Tag im Leben des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso miterleben. Näher ran an die Menschen will Europa auch durch neue Kommunikationspartnerschaften, die Margot Wallström kürzlich angeregt hat: Damit sollen nationale Regierungen europäische Themen künftig zu Hause mehr ins Gespräch bringen – und nicht immer nur über Brüssel reden, wenn Dinge schief laufen und ein Sündenbock her muss. Und Ende April hat die Kommunikationskommissarin angekündigt, den audiovisuellen Medien künftig noch mehr Rohmaterial zu EU-Themen zur Verfügung zu stellen und die Vernetzung nationaler Fernsehsender mit Finanzhilfen zu unterstützen. Im Radiobereich gibt es mit Euranet eine solche grenzüberschreitende Zusammenarbeit bereits. Außerdem will sich die EU-Kommission über ihre Internetseiten noch häufiger mit eigenen Videos und Audiobeiträgen direkt an die Bürger wenden. All das, so hofft Wallström, wird dafür sorgen, dass sich eine gesamt-europäische Öffentlichkeit entwickelt.
Erfahrene Korrespondenten sehen die Aktivitäten der EU-Kommission hoffnungsvoll, aber durchaus auch skeptisch. „Die EU wird auch in Zukunft ein Problem mit ihrer Bürgerferne haben, solange sie bei elementaren Themen wie der Höhe der Steuern oder des Arbeitslosengeldes wenig mitzureden hat. Es gibt aber EU-Themen, die für die Bürger ebenfalls sehr wichtig sind: Klimaschutz, Globalisierung, Zuwanderung. Das möchte ich unseren Lesern vermitteln. Und ich hoffe, die EU-Institutionen helfen künftig dabei: nicht nur durch gute PR-Arbeit, sondern auch durch gute Politik.“, meint Isabel Guzmán, seit Sommer 2005 Korrespondentin für den epd.
Noch deutlichere Worte in Richtung EU-Kommission findet da der langjährige ARD-Korrespondent Rolf Die- ter Krause, der seit 1996 aus Brüssel berichtet: „Ich wünsche mir, dass die Kommission ihren Internetauftritt endlich professioneller gestaltet. Damit man in Zukunft findet, was man sucht. Vor allem aber muss sie endlich dafür sorgen, dass ihre kümmerliche Pressestelle so besetzt wird, dass Journalistenfragen auch beantwortet werden. Selbst Fragen der ARD – und ich bin sicher, dass wir schon hier schon privilegiert behandelt werden – werden immer wieder zu spät oder gar nicht beantwortet.“
Und bei aller Kritik der Journalisten: Manches wird tatsächlich besser, seit die Institutionen verstanden haben, wie wichtig es für die Zukunft des Staatenbundes ist, dass auch Otto Normaleuropäer versteht, was das ferne Brüssel eigentlich so macht. Seit 2004 wurde beispielsweise der Sprecherdienst der Kommission kontinuierlich vergrößert – und im Augenblick läuft die letzte Runde eines Bewerbungsverfahrens, mit dem die Institutionen zum ersten Mal in ihrer Geschichte gezielt nach zusätzlichen Fachleuten aus PR oder Journalismus suchen. „Die Kommission veranstaltet jetzt auch mehr Hintergrund-Briefings vor wichtigen Ereignissen“, sagt Joseph Hennon, Sprecher von Margot Wallström. Und API-Vorstandsmitglied Michael Stabenow beobachtet noch eine weitere Veränderung: „Positiv ist die Bereitschaft der Kommission, neben den Mitarbeitern des Sprecherdienstes auch leitenden EU-Beamten eine sichtbarere Rolle und Verantwortung bei der Politik-Vermittlung zu übertragen.“
Damit die EU-Berichterstattung dem politischen Einfluss Brüssels in Zukunft gerecht wird – immerhin haben etwa zwei Drittel aller neuen Gesetze und Verordnungen auch in Deutschland ihren Ursprung in Brüssel –, muss sich aber auch bei vielen Journalisten noch etwas tun: „Je nach Medium ist durchaus noch Verbesserungsbedarf da“, sagt Sarah Seeger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für angewandte Politikforschung in München. Welche Folgen hat die neue Pflanzenschutz-Verordnung der EU für die Obstbauern in der Region? Und was bringt das sogenannte Eisenbahnpaket, also die neuen EU-Regeln für Bahnverkehr in Europa, für Zugpassagiere in Deutschland? Das bleibe bei der Berichterstattung heute oft unklar. „Journalisten müssen die abstrakten EU-Themen noch mehr als bisher herunterbrechen“, sagt Seeger, „und zeigen, welche konkreten Auswirkungen sie auf den Alltag haben.“
Weiterbildung. Oliver Hahn sieht das ähnlich. Er hat in einem internationalen Forschungsprojekt unter Leitung von Gerd G. Kopper an der Uni Dortmund untersucht, wie Europas Medien über die EU berichten. „Unsere Studie hat gezeigt, dass das Problem häufig in den Heimatredaktionen liegt. Wenn dort Redakteure arbeiten, die nicht auf EU-Themen spezialisiert sind, ist es für Korrespondenten oft schwer, ihre Themen zu verkaufen.“
Doris Simon, die seit September 2007 für das Deutschlandradio aus Brüssel berichtet, ist da zwar in einer privilegierten Situation, wenn sie sagt: „Schon heute haben wir bei unserem Sender vergleichsweise viel Raum für EU-Themen.“ Gleichwohl wünscht aber auch sie sich für die Zukunft „etwas weniger Verlaufs- und Ereignisberichterstattung – und stattdessen eine noch stärkere Einordnung der Entscheidungen in Brüssel.“
Und auch Wolfgang Tucek, seit zweieinhalb Jahren als freier Journalist in Brüssel akkreditiert, sieht die Herausforderung durchaus selbstkritisch: „Solange es die EU gibt, wird sie kompliziert bleiben – das kann ich nicht ändern. Aber ich wünsche mir, dass es mir in Zukunft gelingt, meinen Lesern meine Geschichten noch verständlicher und gleichzeitig spannender zu erzählen.“
Mit dem Engagement der Korrespondenten ist es da aber nach Meinung von Oliver Hahn nicht getan. Auch den Journalisten in den nationalen Redaktionen müsse in der Aus- und Fortbildung gezielt EU-Wissen vermittelt werden, fordert er. An entsprechenden Angebote mangelt es nicht – beispielsweise bei der Akademie der Bayerischen Presse: „Europa als journalistisches Thema“ heißt hier ein Drei-Tages-Kurs für 210 Euro (Infos: www.a-b-p.de). Und Eur
opa direkt erleben können Journalisten bei den 10- bis 14-tägigen Studienreisen, die die Bundeszentrale für politische Bildung immer wieder anbietet. Kosten: etwa 800 Euro (Infos: www.bpb.de). Schließlich organisiert auch die EU-Kommission selbst regelmäßig Seminare zu verschiedenen Schwerpunktthemen – beispielsweise dem Euro, der Nachbarschafts- oder der Sicherheitspolitik. Die Kosten für Anreise, Unterkunft und Seminar trägt die EU-Kommission (Infos: www.ejcseminars.eu). Nur das Interesse müssen die Journalisten selbst aufbringen. n
tipp:
Das Europäischen Parlament hat 2008 erstmals einen Journalistenpreis (in den vier Kategorien Print, Radio, TV, Internet) ausgeschrieben. Damit sollen Journalisten ausgezeichnet werden, die wichtige europäische Themen aufgegriffen oder mit ihrer Arbeit dazu beigetragen haben, das Verständnis für die EU Institutionen und die EU-Politik insgesamt zu verbessern. Der Preis ist mit 5.000 Euro je Kategorie dotiert.
Bewerbungsschluss ist am 15. Mai 2008.
Infos: www.eppj.eu/ EPPJ_de.html
Erschienen in Ausgabe 5/2008 in der Rubrik „“ auf Seite 74 bis 75 Autor/en: text Mirjam Stöckel. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.