Ringkampf

E s war ein eigenartiger Moment im prunkvollen Festsaal des Wiener Rathauses, beim Editors Forum des European Newspaper Congress (s. a. S. 6): Oben auf dem Podium hatten eben Chefredakteure mit dem Vertreter des Dalai Lama in Europa über die chinesische Politik, die Lage in Tibet und die Rolle der Medien diskutiert. Da steht eine junge, in Österreich lebende Chinesin im Publikum auf und fragt in die Runde: „Wer sagt uns denn wirklich die Wahrheit ?“ Der erste Reflex im Publikum: Stirnrunzeln, es schien klar, da spricht eine Anhängerin des Regimes. Doch ihre weiteren Worte gaben Anlass zum Nachdenken, als sie von Beispielen erzählt, wie unterschiedlich ein und dieselben Vorfälle und Fotos in den Medien interpretiert wurden – je nach politischer Sicht der Dinge, ohne dass der eigentliche Sachverhalt tatsächlich zu verifizieren war.

Die Olympiade in China gerät seit Monaten zum Ringkampf um Informationen – und zum Lehrstück über die Macht und Suggestivkraft von Bildern. Die Wahrheit hat, das ist ebenso unstrittig wie eine Binse, viele Facetten. Umso mehr muss das Augenmerk auf einer korrekten Darstellung der Informationen liegen. Erst recht, wenn die Nachrichtenlage mangels freier Presse und Zugang zu Informationen unsicher ist. Seit Monaten, bereits lange vor den weltweiten Protesten während des Fackellaufs, ruft der Weltverband der Zeitungen (WAN) auf seiner Webseite zu Protesten gegen die chinesische Pressepolitik auf: „… Das Gastgeberland der nächsten Olympischen Spiele ist das weltweit größte Gefängnis für Journalisten. Über 30 Journalisten sitzen gegenwärtig in chinesischen Haftanstalten ein. …Was sie verbrochen haben? Sie haben schlicht zu kritisch, zu ehrlich oder zu beharrlich berichtet … (siehe: www.wan-press.org/china; www.worldpressfreedomday.org)

in China wiederum werden Fehler in der Berichterstattung der westlichen Medien genau dokumentiert und instrumentalisiert. Seit Kurzem liegt ein Buch „Lügen und Wahrheit“ in chinesischen Buchhandlungen aus, berichtete Florian Brückner Ende April in der „Frankfurter Rundschau“ und zitiert Experten und in Deutschland lebende chinesische Studenten, wie sehr die früher so hohe Glaubwürdigkeit westlicher Medien in China gelitten hat. Daran ist nicht nur die geölte Propagandamaschinerie des chinesischen Regimes schuld. In seinem Bericht listet Brückner Beispiele von n-tv, RTL und „Berliner Morgenpost auf“: Wie n-tv z. B. über „Neue Proteste in Tibet“ berichtet, das Bild zur Meldung aber nepalesische Soldaten zeigt. Die „Morgenpost“ hatte wiederum Meldungen von Reuters und AFP aufgegriffen und von „Aufständischen“ berichtetet, die von Sicherheitsbehörden abgeführt worden seien. Tatsächlich sei der Gezeigte aber ein Chinese gewesen, der von Polizisten in Sicherheit gebracht worden sei – behauptet die chinesische Seite. Nun werden n-tv und die „MoPo“ sicher nicht gerade in China gesehen oder gelesen, aber die Frage, die diese Beispiele aufwirfen, ist deshalb nicht weniger wichtig: „Was ist die Wahrheit?““Immer dann, wenn Zensur herrscht, wird Berichterstattung ungenau“, wird Carsten Erdmann, Chef der „MoPo“, in der „FR“ zitiert: „Wichtig ist in jedem Fall, den Leser darüber zu informieren, unter welchen Umständen und äußeren Zwängen die Berichte und Fotos entstanden sind.“ Doch auch das ist nicht weniger wichtig: Die Medien müssten sich nicht bei den Chinesen für Fehler entschuldigen, sondern diese schnell und klar korrigieren, damit die Glaubwürdigkeit erhalten bleibe, betont Journalistik-Professor Horst Pöttker: „Daran aber hapert es manchmal“. Diese Olympischen Spiele werden fraglos zu einer Herausforderung (s. a. Seite 16), und das nicht nur in sportlicher Hinsicht.

In Eigener sache: In „mm“ 4/08 hatten wir über die geplante Kooperation von WDR und dem Onlineportal der WAZ-Gruppe berichtet und dazu ein Foto von WDR-Intendantin Monika Piel und WAZ-Chef Bodo Hombach gestellt. Dabei kam es leider zu einer ungewollten bildtechnischen Verzerrung, die wir hiermit gerne korrigieren. PS: Bei Redaktionsschluss Ende April war der Start für das neue Projekt immer noch offen, wie es aussieht, wird auch noch im Mai an einer technischen Lösung getüftelt. n

Erschienen in Ausgabe 5/2008 in der Rubrik „“ auf Seite 3 bis 5. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.