Sprechernotizen

Verdi im Medien-Rausch

Nahezu besoffen ob des Erfolges der eigenen PR schwelgen die Verdi-Mannen (und natürlich Frauen, sonst geht es wieder gegen die Gleichstellung …) in ihrer Zentrale am Paula-Thiede-Ufer in Berlin in tonnenweise Schlagzeilen. Über mehrere Wochen beherrschten die als rabiat bekannten Gewerkschafter um ihren Chef Frank Bsirske und Pressechef Harald Reutter die Gazetten und Bildschirme. Dass dabei der eine oder andere Gegner von Verdi eine selten dumme Figur und es damit Verdi einfach machte, sei nur am Rande bemerkt.

Jahrelang waren die Gewerkschaften in der Defensive. Fast fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland, immer neue Botschaften eines gewissen Herrn Hiob aus der Wirtschaft, ein Staat, der sparen musste wie noch nie – hartes Brot für die Gewerkschaften, die immer häufiger gefragt wurden, wofür sie denn noch da seien. Jetzt geht es wieder anders herum. Die Wirtschaft brummt, weniger als drei Millionen Arbeitslose scheinen möglich, das Steueraufkommen sprudelt und sprudelt. Jetzt machen die Gewerkschaften wieder Druck, geben die Kämpfer für Arbeitnehmerrechte, und allen voran Verdi. Die Kampagnen laufen, und sie setzen dort an, wo öffentliche Empörung sicher ist. Ein jeder der zuletzt viel besprochenen Spin doctors der Wirtschaft könnte bei Verdi eine Menge lernen. Da wird gespinnt auf Teufel komm raus. Klar ist: Die Arbeitgeber sind dabei die Bösen. Zielsicher brachte der „Stern“ eine Empörungs-Geschichte über Bespitzelungen bei Lidl – und Lidl, ohnehin nach dem kurzen Gastspiel von PR-Chef Thomas Oberle seit Frühjahr 2007 ohne echte Kommunikation – wusste sich nicht anders zu helfen, als den bei Lidl verkauften „Stern“-Exemplaren Zettel mit Stellungnahmen beizulegen, in Anzeigen zerknirscht zu sein und ein „Nie wieder“ zu versprechen. 1:0 für Verdi. Und weil das alles so schön war, preschte Verdi weiter vor, diesmal gegen Aldi Nord. Dort habe man die seit dem Siemens-Skandal bekannte arbeitgeberfreundliche Gewerkschaft AUB unterstützt. Die ist Verdi seit Langem ein Dorn im Auge. Also bekommt die „Süddeutsche Zeitung“ und ihr Investigativ-Redakteur mit besten Gewerkschaftsverbindungen, Klaus Ott, einen Tipp. Der bläht die eigentlich kleine Geschichte ordentlich auf, und schon steht es 2:0. Und dann kriegt auch noch Springer-Chef Döpfner sein Fett ab. Auch er habe beim Briefzusteller Pin eine andere als die eigentlich wahre, einzige Gewerkschaft gefördert. Böse Schlagzeilen und hämische Kommentare folgen auf dem Fuß. 3:0 für Verdi. Schöner Nebeneffekt: Dass Gewerkschafts-Boss Bsirske im Verwaltungsrat der taumelnden Skandal-Bank KfW sitzt und Mitschuld trägt am traurigen Zustand der Bank, geht dabei völlig unter. 4: 0 für Verdi. Und dass Verdi selbst viele Millionen Euro durch genau die gleichen Dinge wie die AUB von den Arbeitgebern einnimmt – vor allem Seminare – wird vornehm verschwiegen, auch in den Medien. 5:0 für Verdi. Mal sehen, wie das Spiel weitergeht.

Alles Müller oder was?

Gerade einmal sechs Monate war Ralph Driever im Amt, dann hatte es sich ausgemüllert. Als Kommunikationschef von Müller Milch hielt es ihn noch kürzer als von vielen befürchtet auf seinem Schleudersitz bei der Aretsrieder Molkerei (s. a. Dr. Who in MM 10/2007). Anfang April ließ Driever wissen, dass Müller und er sich – einvernehmlich wegen unterschiedlicher Auffassungen – auf eine Trennung geeinigt hätten. Wen wundert´s, nachdem Theo Müller sich aktuell wieder in die Geschäftspolitik eingeklinkt hat? Wie kaum ein anderes Unternehmen ist Müller bekannt für erratische Ausbrüche seines überstarken Gesellschafters. Viele gefeuerte Geschäftsführer und Manager der zweiten Reihe können davon ein garstiges Lied singen.

Weshalb Driever, zuvor Kommunikationschef der im Verschwinden befindlichen Degussa AG, überhaupt zu Müller ging, bleibt der Branche ein Rätsel. Bekannt ist, dass der damals ebenfalls neue Geschäftsführer Christoph Weiß Chancen auf Neuerungen in der Kommunikationspolitik des Hauses geboten hatte. Aber auch Weiß war nach kurzer Zeit seinen Job wieder los – allerdings wurde er nach oben in den Beirat expediert, wo er vorher auch schon war. Das „Experiment“ Driever ging dann Knall auf Fall zu Ende. Schon im März war Driever freigestellt. Seine Truppe verbreitete derweil die Mär vom Urlaub des Chefs. Im April dann kam das offizielle Aus. Vor seinem Eintritt bei Müller hat er angeblich Freunde beruhigt, er habe sich vertraglich für alle Fälle bestens abgesichert. Dr. Who wünscht ihm, dass das wirklich so war.

Peinliche Mail

Mails sind gefährlich: Sie sind schnell, verbreiten sich unkontrolliert und sind immer irgendwo gespeichert. Manchmal sind sie auch peinlich. Da erhielt am 10. April um 11.46 Uhr ein riesiger Verteiler eine Mail von der Konzernrepräsentanz Berlin des TÜV-Konkurrenten Dekra. Rüdiger Neuenburg (63), Lobbyisten-Urgestein und Chef der Dekra-Konzernrepräsentanz, wandte sich an Ansprechpartner so bedeutender Konzerne wie Linde, Daimler, BASF, Bayer, E.On, Bosch, TUI und viele mehr. Sie alle erhielten elektronische Post von Neuenburg, über den der „Tagesspiegel“ einmal schrieb, er gebe sich „eine Aura der Bedeutung“. Wer die Post öffnete, sah sich enttäuscht. Keine neue strategische Initiative zur Bearbeitung des Kanzleramtes, keine neue Forderung an die Politik – nur die begeisterte Mitteilung, dass er, Neuenburg, „endlich“ eine Eigentumswohnung am Schlachtensee erworben habe und nun nach Handwerkern suche, insbesondere Parkett- und Fliesenleger, Elektriker und Maler, natürlich zu „gutem Preis-Leistungs-Verhältnis“. Schön, dass „große“ Lobbyisten nun ganz direkt für neue Arbeit sorgen. Und damit wissen wir nun einmal mehr, womit sich Lobbyisten so die Zeit vertreiben.

Verwirrung beim AWD

Eine merkwürdige Presseinformation von AWD erblickte da im März das Licht der Öffentlichkeit: Béla Anda rücke zum „Chef-Kommunikator“ beim AWD auf und werde nun mit sofortiger Wirkung „Chief Communication Officer“. Als solcher koordiniere er auch die Kommunikation in den zehn Ländergesellschaften von AWD. Das Finanzdienstleistungs-Unternehmen ist Ende 2007 von der swiss life übernommen worden, allerdings bleibt Gründer Maschmeyer im Amt als Vorstandsvorsitzender. Der Fachmann staunt, der Laie wundert sich: Was war Anda denn, bitte schön, bislang? Etwa kein „Chef-Kommunikator“? Oder was war der frühere Sprecher von Kanzler Gerhard Schröder, seit er 2006 als „Kommunikations-Direktor“ „an der Spitze des Kommunikationsbereichs“ zu AWD nach Hannover wechselte? Dr. Who rätselt … n

Richtigstellung

In der Ausgabe „mediummagazin Nr. 4/08“ haben wir auf Seite 66 unter der Überschrift „Sprechernotizen“ über das Mandatsverhältnis zwischen Brunswick und des Verlegers David Montgomery berichtet. Wir stellen insofern richtig, dass das Mandatsverhältnis nicht auf Grund von Anweisungen von Brunswick in London zustande kam. Die Redaktion

Dr. Who ist das Pseudonym einer bekannten Führungskraft der PR-Branche. eMail: autor@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 5/2008 in der Rubrik „unter „3““ auf Seite 78 bis 81. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.