?Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch. Laut den aktuellen IVW-Zahlen haben „Welt“ und „Welt Kompakt“ im 1. Quartal ein Auflagenplus von gut vier Prozent erreicht. Wäre das nicht ein Anlass zu sagen: Mensch, jetzt schaffen wir endlich wieder Transparenz und weisen die Auflagenzahlen von „Welt“ und „Welt Kompakt“ getrennt aus?
Thomas Schmid: Für den Leser spielt das keine Rolle und die Werbekunden profitieren von einer gro- ßen Reichweite. Die Zukunft unserer „Welt“-Gruppe hängt davon ab, dass wir unsere Medien gleichermaßen ernsthaft verfolgen. Unser Ansatz besteht darin, unser publizistisches Angebot zu verbreitern und so eine veränderte Zusammensetzung des Publikums und der Leserschaft herbeizuführen und ihr gerecht zu werden. Es gibt Leser, die wollen die große klassische Tageszeitung lesen, es gibt andere, die ein schnelleres, kompakteres Format lesen möchten und es gibt wieder andere, die Nachrichten online im Internet konsumieren. Wir verstehen uns ganz bewusst als eine Gruppe, die all diese Bedürfnisse gleichzeitig bedient. Darum ist auch das Auseinanderrechnen der Auflagen nicht sinnvoll. Wichtig ist, dass wir als „Welt“-Gruppe insgesamt wachsen.
Aber Sie übertünchen dadurch Auflagen-Probleme, die die großformatige „Welt“ womöglich hat.
Ich bin ein Fan von großformatigen Zeitungen und nehme die gegenwärtigen Probleme der klassischen Tageszeitungen sehr ernst. Bei der großformatigen „Welt“ muss man aber nichts übertünchen, weil ich glaube, dass wir dort einen Turnaround hinbekommen. Es sollte grundsätzlich möglich sein, dass die Auflagen der großen, klassischen Zeitungen nicht sinken, sondern gleich bleiben und sogar wieder zunehmen. Ich will nicht verhehlen, dass das schwierig ist. Wir werden aber die Zeitungen inhaltlich und in ihrem Auftritt weiterentwickeln, so- dass sie auch für jüngere Leute noch attraktiver werden.
In internationalen Medien geistert das Schlagwort vom Zeitungssterben herum. Hierzulande hat jüngst der „Zeit Online“-Chefredakteur Wolfgang Blau das nahe Ende der Tageszeitung zu Gunsten von Wochentiteln ausgerufen. Sie sind bestimmt anderer Meinung!
In der Tat. Denn für den speziellen Lesegenuss, den eine gut gemachte, großformatige Zeitung bietet, gibt es immer eine Nachfrage. Allerdings: Die Tageszeitungen haben ihre klassische Funktion unwiederbringlich verloren nämlich die Funktion, die Leser über das Geschehen des vorherigen Tages zu informieren. Das haben viele Zeitungsmacher offenbar noch nicht begriffen. Meine Eltern haben in den 60er-Jahren in Heidelberg jeden Morgen die „Rhein Neckar Zeitung“ aus dem Briefkasten gezogen und so erfahren, was am Vortag passiert ist. Zeitungen machen heute oft den Fehler, so zu tun, als habe sich seitdem nichts verändert.
Sie präsentieren bei der „Welt“ doch auch die Nachrichten vom Vortag.
Ja, natürlich, denn wir haben auch immer noch eine gewisse Chronistenpflicht. Aber der Weg geht eindeutig in eine andere Richtung. Die Zeitung rechtfertigt sich in Zukunft nicht mehr nur dadurch, dass sie die Nachrichten von gestern liefert. Sie muss vielmehr Hintergründe und ungewöhnliche Zusatzinformationen geben und obendrein noch viel unterhaltsamer werden. Bei der „Welt“ haben wir schon heute oft sehr ungewöhnliche Geschichten. Die Zeitung der Zukunft muss so etwas sein wie eine tägliche Wochenzeitung. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit druckten wir eine lange Reportage, deren Autor die Familie eines im Irak gefallenen amerikanischen Soldaten in Montana besucht hat. Das Stück gab einen tiefen Einblick in die tagtägliche Wirklichkeit der USA. Es war gewissermaßen die Geschichte hinter der Geschichte. Wenn man das inhaltlich auf einem hohen unterhaltsamen Niveau und mit guten Bildern macht, gewinnt man auch Leser zurück.
Was macht Sie da so sicher?
Aus Untersuchungen mit dem ReaderScan gibt es eine ganz klare Erkenntnis: Entgegen der landläufigen Meinung, dass die Leute nur noch Häppchen lesen wollen, zeigt die Analyse, dass gerade lange Artikel sehr viel gelesen werden. Aber eben nur, wenn sie gut geschrieben, gut getitelt, gut bebildert und unterhaltsam sind.
Ein älteres Medium als die Tageszeitung, die Brockhaus-Enzyklopädie hat den Kampf gegen das Internet gerade aufgegeben und erscheint nur noch online. Macht Ihnen das keine Angst?
Nein, ich glaube, das Medium Tageszeitung wird überleben. Ich habe zu Hause auch einen alten Brockhaus aus dem 19. Jahrhundert stehen. Es ist schön, darin zu blättern und man kann die Bücher auch wunderbar betrachten. Man darf aber nicht zu nostalgisch werden. Wir leben nun einmal nicht mehr in einer Zeit, in der einmal alle 25 Jahre das „Welt“-Wissen zwischen Buchdeckel gepresst und der Menschheit serviert wird. Das Wissen wird heute insbesondere online minütlich aktualisiert. Das ist eine gute Entwicklung, zu Trauer besteht kein Anlass.
„Guardian“-Chefredakteur Alan Rusbridger glaubt nicht daran, dass Journalismus als Geschäftsgrundlage künftig ausreichen wird, wie er neulich sagte. Zeitungen müssten sich andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen, suchen und guten Journalismus quersubventionieren. Was halten Sie von dieser These?
Wenn dem so wäre, fände ich das bedrohlich. Gerade weil es gegenwärtig eine Krise der gedruckten Zeitung gibt, setzen wir nicht in erster Linie auf Beigeschäfte, sondern versuchen vielmehr, uns in der „Welt“-Gruppe insgesamt breiter aufzustellen. Das geht bis hin zu selbst produzierten Internet-TV-Sendungen bei „Welt Online“. Wir wollen als publizistisches Unternehmen mit dem Hauptaugenmerk auf journalistischer Tätigkeit überzeugen.
Wo ist Ihre Schmerzgrenze beim Entgegenkommen gegenüber Anzeigenkunden, inhaltlich und formal?
Es ist nun mal so, dass Zeitungen zu einem beträchtlichen Teil von der Werbung leben. Für mich ist die Schmerzgrenze dann erreicht, wenn im Blatt der Unterschied zwischen redaktionellen Texten und Werbung nicht mehr erkennbar ist. So sind die Grundsätze in unserem Haus. Ich bin persönlich entschieden dafür, dass die- se Grenze eingehalten wird.
Einer ihrer Vorgänger hat mal die Titelseite der „Welt“ für den Anzeigenkunden AOL blau eingefärbt. Würden Sie das auch machen?
Wenn es um die Ummantelung einer Zeitung geht, dann halte ich das für durchaus legitim. Man darf die Leser nicht unterschätzen. Die wissen genau, dass Werbung für Zeitungen heute notwendig ist und dass, wenn sie den Werbe-Mantel umblättern, eine seriöse und gut gemachte Zeitung dahinter steckt.
Was wollen Sie denn nun, in Ihrer neuen Verantwortung für „Welt am Sonntag“ und „Welt Online“, bei den beiden voranbringen?
Ich kümmere mich momentan verstärkt um die „Welt am Sonntag“, später dann um „Welt Online“. Bei „Welt“ und „Welt am Sonntag“ kann man jetzt, da beide Titel unter einer Leitung stehen, noch klarer als bisher die Tages- von der Wochenzeitung abgrenzen. Die „Welt am Sonntag“ sollte noch viel stärker einen Gesamtüberblick geben, einerseits rückblickend in die abgelaufene Woche, vor allem aber vorausschauend in die neue. Und für Online gilt es vor allem zu berücksichtigen, dass es als noch junges Medium im Vergleich zur etablierten Zeitung sehr unterschiedliche Methoden, Herangehensweisen und Ansprachen braucht. Dabei muss man aufpassen, dass die Titel nicht zu weit auseinanderdriften. Ich will darauf hinwirken, dass alle Titel der Gruppe für dieselbe „Welt“-Philosophie stehen werden.
Was genau ist der Markenkern der „Welt“-Gruppe?
Der Markenkern unserer Gruppe ist „Leistung“. Aber als Chefredakteur kann und will ich die Frage nur auf der inhaltlichen Ebene beantworten, also auf der der publizistischen Philosophie unserer Organe. Wir sind liberal-konservativ, die Betonung liegt dabei auf liberal. Freiheit, Eigenverantwortung und bürgerliche Werte sind für uns von großer Bedeutung. Das muss je unterschiedlich in allen unseren Organen deutlich werden.
Es fällt schwer zu g
lauben, die tägliche „Welt“ und die wöchentliche „Welt am Sonntag“ seien nun leichter voneinander abzugrenzen. Beide Titel sind doch redaktionell immer näher zusammengerückt und haben mit Ihnen jetzt sogar einen gemeinsamen Chefredakteur. Die „Welt am Sonntag“ scheint mehr denn je die siebte Ausgabe der „Welt“ zu sein.
Die „Welt am Sonntag“ war nie nur die siebte Ausgabe der „Welt“ und wird das auch nie werden. Gerade dadurch, dass alle Redakteure speziell auch in der praktischen Arbeit im Newsroom unter einem Dach versammelt sind, wird es viel einfacher, frühzeitig festzulegen, wie wir die Themen für das Wochenende setzen und modellieren. Eine Wochenzeitung hat eine andere, wenn Sie so wollen, Temperatur als eine Tageszeitung, die schneller daherkommt.
Haben Sie ein Beispiel dafür, wie „Welt“ und „Welt am Sonntag“ ein Thema der Woche unterschiedlich modellieren?
Nehmen wir die Parlamentswahl in Italien mit dem am Ende nicht mehr überraschenden dritten Wahlsieg von Berlusconi. Die „Welt“ berichtet Tag für Tag darüber, bringt Einzelergebnisse, auch Hintergründe und Interviews. In der „Welt am Sonntag“ muss dann das größere Panorama stehen: ein Stück, das dem Leser hilft, dieses komplizierte und widersprüchliche Land zu verstehen ein italienisches Sittengemälde.
Sie sind jetzt 62 Jahre alt, man könnten meinen: zu alt fürs junge Medium Internet. Das ist natürlich nur ein Vorurteil. Wie nutzen Sie selbst Online-Angebote?
Natürlich bin ich als älteres Semester nicht wie viele junge Redakteure mit dem Medium Online aufgewachsen. Aber ich nutze das Internet häufig und gezielt, vor allem auch als Informationsquelle.
Werden Sie ein eigenes Weblog bei „Welt Online“ führen?
Wahrscheinlich nicht.
Warum, mögen Sie keine Blogs?
Wer sagt, dass ich sie nicht mag? Der Blog ist eine hochinteressante neue Schreibform, bei der die Subjektivität des Autors eine große Rolle spielt. Ich gehöre aber zu einer Generation und zu einer Tradition von Schreibern, die die Ich-Form nur sehr dosiert benutzen. In einem Blog steht der unmittelbar aus der Situation heraus urteilende Autor sehr im Vordergrund. Außerdem wird in Blogs oft ungefiltert alles gesagt und geschrieben, was einem gerade so in den Kopf kommt. Das verkommt dann manchmal auch zu einer Form von geistiger Diarrhö. Zugegeben, das mag ich nicht besonders.
In einigen etablierten Tageszeitungen wie „Süddeutsche“ und „FAZ“ werden Weblogs für ihre „geistige Diarrhö“, wie Sie es nennen, viel gescholten. Die Kritik setzt sich aber kaum inhaltlich mit den Blogs auseinander. Stehen Tageszeitungen auf Kriegsfuß mit den Bloggern?
Es gibt viele Artikel, die Blogs einseitig als Trash abtun. Das mache ich nicht. Es ist doch sehr interessant, dass man über Blogs sehr direkt und unmittelbar etwas über Menschen aus aller Herren Länder erfahren kann: Japan, USA, China und so fort. Man bekommt so ein ganz neues, subjektives Bild davon, was Menschen in anderen Ländern denken. Aber es ist auch offenkundig, dass für diese Art von Äußerungen zumindest bisher noch keine wirklich überzeugende Form gefunden wurde. Da befinden wir uns noch in einem evolutionären Prozess, der sicherlich noch etwas andauern wird.
Jan Eric Peters formulierte in einem Interview mit „medium magazin“ den Anspruch, dass „Welt Kompakt“ durch das Einbinden der Journalistenschüler der Axel-Springer-Akademie verstärkt eigene Exklusivgeschichten bekommen soll. Wollen Sie diesen Kurs weiter verfolgen?
Aber selbstverständlich!
Wären Sie froh, wenn für jeden Zeitungstitel der „Welt“-Gruppe genug Geld da wäre, um eine eigenständige Redaktion am Leben zu erhalten?
Nein. Ich bin sehr davon überzeugt, dass wir hier die Kontur eines neuartigen Mediums schaffen. Wir haben mit der integrierten Redaktion eine neue redaktionelle Struktur gebildet, die von der klassischen Zeitung im Nordischen Format über ein Tabloid und einen Wochentitel bis hin zum Online-Angebot reicht. Es wäre ganz falsch, wenn wir wieder klassische Erbhöfe einrichteten.
Sehen Sie nicht die Gefahr, dass so eine Journalisten-Fabrik entsteht, die stromlinienförmig angepasste Inhalte für einzelne Kanäle produziert und so das Besondere, das Unerwartete, von dem Sie zuvor sprachen, kaum noch zu finden ist?
Ganz und gar nicht. Der Newsroom ist wohl so etwas wie eine Schaltzentrale. Aber keine Gleichschaltungszentrale. Dadurch, dass Online-Redakteure, Lokaljournalisten von der „Berliner Morgenpost“ und Redakteure der überregionalen „Welt“ in einem Raum an einem Tisch arbeiten, entstehen Kontakte und gegenseitige Einflüsse, die es sonst schlicht nicht gäbe. Das tut jedem Redakteur und jedem unserer Angebote sehr gut. Wir werden hier niemals seriellen Journalismus machen. Das ist ein unzutreffendes Horrorbild, das gerne, aber völlig zu Unrecht von Kritikern in Umlauf gebracht wird. Sie können das doch jeden Tag sehen: Unsere Produkte haben ganz unterschiedliche Temperamente. Um nur ein Beispiel zu nennen: „Welt Kompakt“ ist frecher, ironischer, auch wagemutiger als die „Welt“ – und doch ist schon bei oberflächlicher Lektüre schnell zu erkennen, dass sie zwei Kinder aus einer Familie sind. n
Erschienen in Ausgabe 5/2008 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 26 bis 29 Autor/en: Text Stefan Winterbauer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.