Zensur im Verborgenen

Seit dem ersten Januar 2007 gilt ein neues Presserecht in China. Wenn im August die mehr als 20.000 für die Olympischen Spiele akkreditierten und die unzähligen nicht akkreditierten Journalisten einreisen, dann werden sie hier Arbeitsbedingungen vorfinden, von denen die Kollegen vor Ort noch vor zwei Jahren nicht zu träumen gewagt hätten. Sie werden sich im Land – mit Ausnahme von Tibet und Xingjiang – frei bewegen können, ohne sich dafür vorher eine Genehmigung holen zu müssen, und sie werden interviewen können, wen sie möchten, sofern der Interviewpartner damit einverstanden ist. Das war früher alles anders.

Bei genauerer Betrachtung ist das neue Presserecht aber vor allem eines: ein Beruhigungsmittel für den Westen und das IOC. Bei der Bewerbung für die Olympischen Spiele hatte sich die chinesische Regierung verpflichtet, zu den Spielen die vollständige Pressefreiheit zu gewährleisten. Doch dass Chinas Führung darunter etwas völlig anderes versteht als die vielen Kollegen, die im Sommer kommen, sollte sich jeder klar machen, der hier während der Olympischen Spiele außerhalb der Stadien berichten will. Allein die Tatsache, dass das neue Presserecht nur für ausländische Reporter gilt, nicht aber für unsere chinesischen Kollegen, die nach wie vor einer scharfen Zensur unterliegen, macht eines deutlich: Presse- und Meinungsfreiheit werden von der chinesischen Führung „gewährt“ und zugleich effektiv eingeschränkt, immer dann, wenn es um Themen geht, die dem kommunistischen Machtapparat nicht in die eigene Propagandastrategie passen.

Wie will man ein Interview mit einem Regimekritiker führen, wenn der unter Hausarrest steht oder eingesperrt ist? Der Aids- und Menschenrechtsaktivist Hu Jia zum Beispiel wurde gerade erst zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Einer der zentralen Vorwürfe: Kontakte mit der ausländischen Presse. Seine Frau und seine mittlerweile sechs Monate alte Tochter stehen unter Hausarrest. Will man mit ihr sprechen, springen Geheimpolizisten aus einem Wachhäuschen und sperren den Wohnblock mit Polizeiflatterband ab. Der Wohnort wird so zum Tatort, den man nicht betreten darf – polizeiliche Ermittlungen heißt es dann.

Diese grobe, aber eher offensichtliche Methode wird flankiert von Einschränkungen der Pressefreiheit, von Zensur, die im Verborgenen wirkt und nur selten öffentlich wird. Viele kritische Geister, Intellektuelle, aber auch oft ganz einfache mutige Bürger in der Stadt oder auf dem Land werden seit Monaten unter besonderen Druck gesetzt. Sie sollen schweigen, nicht mit ausländischen Journalisten sprechen, andernfalls bekämen sie große Probleme, berichten die, die sich nicht einschüchtern lassen. Und mit einer klassischen Kampagne schürt die Führung seit den Unruhen in Tibet in der Bevölkerung das Misstrauen gegen ausländische Medien: Sie seien schuld an Chinas schlechtem Image, würden dem Land den Erfolg nicht gönnen.

Chinas Führung beschwört die Einheit von Partei, Regierung, Land und Bevölkerung. Wer ausschert und Kritik übt, wird schnell zum Verräter. Auch Chinesen, die für ausländische Medien arbeiten, sind diesem Vorwurf immer wieder ausgesetzt. Als „Ausländerhuren“ oder „Volksverräter“ werden sie immer wieder in den vielen Drohanrufen bezeichnet, die derzeit bei westlichen Medien eingehen.

Die offizielle Kampagne spült den Mob nach oben und setzt die vielen Menschen unter Druck, die eigentlich überhaupt kein Problem mit Journalisten aus dem Westen haben, ja, ihnen meist sogar sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Wer aus China berichtet, trägt also eine große Verantwortung für die Sicherheit seiner Quellen und auch seiner Mitarbeiter.

Die Journalisten werden China nach den Spielen wieder verlassen. Ihre Interviewpartner und Mitarbeiter könnten dann aber für eine gute Geschichte für Jahre im Gefängnis oder im Arbeitslager verschwunden sein. Das sollte niemand vergessen. n

Erschienen in Ausgabe 5/2008 in der Rubrik „“ auf Seite 19 bis 19 Autor/en: TEXT johannes hano. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.