Zeitungs-Chefredakteure stimmen seit einiger Zeit einen Klagegesang an: Was für ein Elend bei den Bewerbungen ums Volontariat! Bei den Frauen geht’s ja noch – aber bei den Männern? Kein Biss, keine Neugier – und mieses Allgemeinwissen. Wie soll man mit diesen Leuten guten Journalismus machen?
„Diese Leute“ geben während ihrer Ausbildung in der Akademie für Publizistik in Hamburg ein anderes Bild ab. Hier besuchen rund 300 VolontärInnen in jedem Jahr die vierwöchigen Kompaktkurse. 250 kommen von Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtenagenturen, etliche auch aus Pressestellen. Die Übrigen volontieren beim Hörfunk und beim Fernsehen. Und siehe da: Da sitzen eine Menge gut ausgebildeter Menschen. Sie sind interessiert, neugierig, reflektiert – und hochmotiviert. In der Welt sind sie schon herumgekommen. Ein Studium haben sie natürlich abgeschlossen.
Die Praxis-Falle. Und dann hören wir, was sie in ihrem Zeitungs-Volontariat erleben. Zum Beispiel dies: Sie schreiben vor sich hin, ohne dass jemand ihre Texte fundiert kritisiert oder redigiert. Sie füllen die Seiten mit diesen unredigierten Texten. Sie bearbeiten, wenn überhaupt, die Texte freier Mitarbeiter eilig und irgendwie aus dem Bauch heraus. Sie schrubben allein Sonntagsdienste. Oft als allein Verantwortliche für eine ganze Lokalausgabe.
Die Mantelredaktion sehen sie nur für kurze Zeit. Dort wird ihre Park-Situation im Lokalen schöngeredet als „Learning by Doing“. Gelegentlich werden ihnen Schulungstage gewährt. In manchen Verlagen stehen dahinter Konzept und Ziele. Oft genug aber plaudern altgediente RedakteurInnen aus dem Nähkästchen: wie sie so vorgehen beim Verfassen eines Kommentars oder einer Reportage. Professionelle Schulung sieht anders aus.
Denn das Motto der Verlage heißt: Sparen! Genau wie bei einer weiteren unternehmerischen Entscheidung, die da heißt: Wir bilden mehr Volos aus, als wir brauchen. Die arbeiten dann auf einem freigeräumten Redakteursarbeitsplatz – für einen Bruchteil der Kosten. Wir tun damit etwas für die Jugend: Ein Volontariat hat ja noch keinem geschadet. Denen, die wir behalten wollen, bieten wir danach freie Mitarbeit an oder vielleicht sogar eine Stelle – aber erst mal befristet auf ein Jahr.
Fernseh- und Hörfunk-Volos berichten übrigens Ähnliches. Auch dort gibt es wenig Licht und viel Schatten. Auch dort wird „Learning by Doing“ überstrapaziert – und die Zahl der VolontärInnen liegt schon mal über der der RedakteurInnen.
Liebe Chefredakteure und Geschäftsführer: Würden Sie Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter empfehlen, sich unter solchen Bedingungen um ein Volontariat zu bewerben? Wollen Sie, dass Ihr talentierter Nachwuchs in einem Beruf landet, dem offenkundig die attraktiven Perspektiven fehlen? Früher waren wir in der Akademie froh über jeden Zeitungsvolo in unseren Kursen. Wir wussten: Das sind Menschen mit Schreiberfahrungen, begleitet von Mentoren in ihren Redaktionen. Seit etwa acht Jahren, seit der Medienkrise, hat sich das geändert. Natürlich gibt es immer noch gute Zeitungsvolontäre und -volontärinnen. Aber auch zunehmend gute Volontäre und Volotärinnen in Pressestellen. Sie lernen in Unternehmen, die mit ihnen etwas vorhaben. Das Motto heißt dort: Personalentwicklung. Die VolontärInnen lässt man Erfahrungen machen beim Fernsehen oder beim Hörfunk, in Verlagshäusern oder bei Online-Portalen. Wie diese Welt tickt, will man ja wissen in den Pressestellen.
Liebe Chefredakteure und Geschäftsführer: Wenn Sie eine gute Ausbildung anbieten, können Sie die Besten aus den Guten auswählen. Wer meint, dass nur die Mittelmäßigen bei ihm vorstellig werden, sollte nach Gründen im eigenen Haus suchen. Und vielleicht mal eine Recruitingmesse besuchen – um zu sehen, wie ehrgeizige Unternehmen ihren Nachwuchs finden.
Erschienen in Ausgabe 6/2008 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 65 bis 65 Autor/en: Annette Hillebrand. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.