„Der Druck wächst“

* Die Datenspeicherung der Telekom wirft viele Fragen auf. Generell speichern immer mehr Unternehmen Verbindungsdaten ihrer Mitarbeiter. Wo setzt das Verfassungsrecht Grenzen?

Winfried Hassemer: Dem Verfassungsrecht, aber auch dem Strafrecht lassen sich zwei Ziele entnehmen, die einander ergänzen. Es geht zum einen um den Schutz eines persönlichen, eines individuellen Interesses an der Sicherheit der eigenen Daten vor Ausspähung. Zum zweiten geht es um den Schutz eines allgemeinen, eines generellen Rechtsgutes, nämlich der Zuverlässigkeit und Sicherheit der Telekommunikation überhaupt. Ist das zweite nicht gewährleistet, lässt sich auch das erste nicht erreichen. In einer Informationsgesellschaft ist das generelle Rechtsgut also wichtig. Eine klare verfassungsrechtliche Grenze für jeden Einzelfall gibt es nicht. Als allgemeiner Maßstab kann aber gelten, ob die Speicherung gerade dieser Daten für die Zwecke des Unternehmens geeignet und erforderlich ist.

Wann ist das Individualinteresse tangiert?

Der persönliche Datenschutz ist dann gefährdet, wenn rein personenbezogene Daten an einer Stelle landen, die der Inhaber der Daten nicht dazu legitimiert hat.

Was bedeutet diese „Legitimierung“, was muss der Betroffene tun?

Er muss nichts „tun“, er hat keine Bringschuld. Er muss informiert und einverstanden sein, das ist alles.

Auch in Medienhäusern werden Einzelverbindungsnachweise von Telefongesprächen erfasst. Inwieweit ist davon der Informantenschutz betroffen?

Der Informantenschutz ist jedenfalls dann nicht tangiert, wenn diese Daten innerhalb des Rahmens verbleiben, in dem sie mit Recht erhoben worden sind.

Muss der Mitarbeiter der Speicherung seiner Verbindungsdaten zugestimmt haben, und kann man sich überhaupt gegen eine solche Datenspeicherung wehren?

Das hängt davon ab, ob die jeweils erfassten und gespeicherten Daten über rein berufliche Belange hinausgehen, also auch „intime“ Daten zum Gegenstand haben.

Ist eine Unterscheidung in berufliche und „intime“ Daten gerade in der journalistischen Praxis überhaupt möglich?

Natürlich gibt es hier – wie bei jeder rechtlichen Regelung – Grenzfälle, über die jeweils gestritten werden muss. Aber die Linie dürfte klar sein – etwa hinsichtlich der Daten, für die sich schon ein Bezug zu den jeweiligen journalistischen Aufgaben nicht finden lässt.

Ist bei der modernen Technik und den neuen Gesetzen zur Datenspeicherung der Datenschutz überhaupt noch zu gewährleisten?

Der Datenschutz ist schon seit Jahren unter starkem Druck, vor allem durch das wachsende Bedürfnis – staatlich wie gesellschaftlich – nach Kontrolle und Sicherheit. Der Druck wächst auch dadurch, dass der Fortschritt der Technik die Sammlung und Verwaltung immer größerer Datenmengen ermöglicht. Die Stasi ist einst fast erstickt an ihrer Informationsflut. Die Verwaltung solcher Datenmengen wäre heute kein Problem mehr.

Das Problem wird aber auch dadurch verschärft, dass Daten immer länger gespeichert werden und dass deshalb immer weniger Informationen vergessen werden. Der Strafgesetzgeber hat zwar sehr scharfe Vorschriften zum Schutz persönlicher Daten erlassen – aber das kann natürlich in Einzelfällen unterlaufen werden wie jedes Gesetz.

Die Bundesregierung will nach amerikanischen Vorbild eine Superbehörde mit modernster Abhörzentrale – die TKÜ – installieren. In ihr sollen die Aktivitäten von BKA, Bundesverfassungsschutz, BND und Bundespolizei zusammengefasst werden. Schafft dieses Vorhaben eine neue Qualität für den Datenschutz, werden dadurch Bürgerrechte womöglich weiter eingeschränkt?

Ich befürchte in der Tat, dass die Bürgerrechte durch eine neue zentralisierte Organisation eher nicht geschützt, sondern gefährdet werden, weil der Zugriff auf schützenswerte Daten einfacher wird – und damit natürlich auch der kriminelle Zugriff. Die Datenschützer haben aus diesem Grund schon früh für eine Dezentralisierung der Datenverarbeitung plädiert. Das halte ich nach wie vor für geboten. Und erst recht angesichts der kaum noch übersehbaren Flut von Daten.

Halten Sie es eigentlich für beabsichtigt, dass Journalisten angesichts des potenziellen Speicherung ihrer Daten beim Anrufer eher seltener zum Telefonhörer greifen und bei sensiblen Behörden anrufen?

Das wäre eine Spekulation – wenn auch eine nicht sehr fern liegende.

Was raten Sie, was sollten Journalisten beachten, damit ihre Daten nicht in falsche Hände geraten?

Ich kann nur jedem raten, so wenig wie möglich persönliche Daten in Umlauf zu bringen, also keine vertraulichen Informationen beispielsweise über eMail, sms oder ähnliche elektronische Wege auszutauschen.

Erschienen in Ausgabe 6/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 8 bis 9 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.