Die Prise Selbstironie

Es ist ein lauer Abend, die Luft ist unruhig vor Erwartung, Pailletten glitzern, die Smokings glänzen tiefschwarz in der Abendsonne und am roten Teppich steht das Publikum, es flüstert sich Namen zu: Joachim Król, schau mal, das ist Nina Petri, Heinz Hoenig, und da – Applaus brandet auf – da ist Angela Merkel. „Wahnsinn“ flüstert jemand und drei Männer recken eine Tibetflagge in die Luft. Merkel grüßt in die Menge und verschwindet im Eingang, die Fotografen eilen hinterher, denn nun geht es los, zum vierten Mal wird der Henri-Nannen-Preis verliehen im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, und zum ersten Mal ist die Kanzlerin dabei.

Gut möglich, dass es auch an ihr liegt, dass dieser Nannen-Preis zum bisher politischsten wurde. Die Gewinner decken so ziemlich alle Themen ab, die derzeit wichtig sind: Chinas gnadenloser Aufstieg (Kategorie Fotoreportage, Lu Guang), Jugendgewalt (Egon-Erwin-Kisch-Preis, Reportage, Sabine Rückert), Umweltzerstörung (Dokumentation, Lars Abromeit, Katja Trippel, Torsten Hampel), Doping (Investigation, Detlef Hacke, Matthias Geyer, Lothar Gorris, Udo Ludwig), Irak (Pressefreiheit, Zainab Ahmed (siehe auch Seite 20 f.)) und irgendwie alles mehr oder weniger Aktuelle (Humor, Harald Martenstein).

Wer da noch nicht kapiert hat, dass Journalismus, Qualitätsjournalismus zumal, relevant und kritisch sein und mehr als Unterhaltung bieten kann, der bekommt es in den eingestreuten Theaterszenen mit Trommel- und Trompeteneinlage buchstäblich eingehämmert: Über Schäubles Überwachungs-TV wird da gelästert und über die BND-Abhöraktion, über Häppchenjournalismus im Internet und über Technik-statt-Inhalt-Attitüden.

„Print wirkt“ prangt als Plakat über der Bühne, Frauen in Kleidern aus Zeitungen unterstreichen den Sexappeal von Gedrucktem, und ein bisschen wundert man sich, dass bei so einer Wirkung doch noch Schauspieler nötig sind, um der Feier Glamour zu verleihen, und dass wieder jemand vom Fernsehen kommen muss, um die Gala zu moderieren („Tagesthemen“-Moderatorin Caren Miosga, die auf der Gästeliste hübscherweise dem „Zapp Medienmagazin“ zugeordnet wird).

Ein bisschen zu beschwörend und platt ist die Botschaft an diesem Abend, ein bisschen kalkuliert die Effekte, fangen einige gerade an zu mäkeln, doch dann betritt der 87-jährige Marcel Reich-Ranicki die Bühne und ist so geistreich und witzig, dass der Qualitätstacho sofort wieder voll ausschlägt: Auf die Laudatio der Kanzlerin für sein Lebenswerk antwortet der Kritiker mit einer Gegenlaudatio für Merkel, erzählt, wie er einmal gemeinsam mit ihr zum Essen eingeladen war, und wie sie es schaffte, an dem Abend so viel zu reden, dass er selbst gar nicht zu Wort kam, und gibt dem Abend die Prise Selbstironie, die ein politisches Statement von einem Fest unterscheidet.

Später essen sie Spargel und Fisch, die Preisträger, die Journalisten und die Schauspieler, sie tanzen und trinken und reden und sind sich einig, in diesem Jahr schon, dass die richtigen Arbeiten gewonnen haben. Und dann merken sie, staunend, dass es einigen bei der Gewinner-Reportage von Sabine Rückert über die Morde in Tessin geht wie sonst nur bei Dramatischem wie dem 11. September oder dem Unfalltod von Diana: Dass man noch weiß, wo man war, als man die Geschichte gelesen hat. Print wirkt, so merkt man es ganz ohne Pauken und Trompeten, zumindest wenn die Geschichten so stark sind wie diese. Und die Cocktails wirken auch, die Menge schwingt und singt und feiert.

Spät in der Nacht stehen am roten Teppich immer noch die Schaulustigen, potenzielle Leser allesamt, und halten Ausschau nach Stars. Ob sie auch die Preisträger erkennen? Die Tibet-Demonstranten haben sich irgendwann einfach selbst fotografiert. Die Journalisten waren ja heute Abend mit sich selbst beschäftigt.

Mehr Fotos und Infos unter: www.henri-nannen-preis.de

Tipp:

Das „medium magazin“-Special „best of … Henri-Nannen-Preis 2008“, in dem sich die Preisträger und die Juroren zu den Arbeiten äußern, erscheint im nächsten „medium magazin“ 7/08.

Erschienen in Ausgabe 6/2008 in der Rubrik „Ortstermin“ auf Seite 59 bis 59 Autor/en: Eva-Maria Schnurr. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.