Kiosk auf dem Handy

Wenn in diesen Tagen jemand beim Warten auf die Bahn oder den Flieger sein Blackberry, MDA III, N95 oder iPhone zückt, dann um zu telefonieren oder schnell noch einige eMails zu beantworten. Vielleicht aber auch, um eine mobile Zeitung zu lesen. Immer mehr Webportale von Printtiteln gibt es auch als mobile Version für PDAs und internetfähige Handys (Smartphones). Derzeit können schon rund 40 verschiedene Angebote mobil angesteuert werden: Aktuelle Nachrichten und den Blick in den Kursstand des persönlichen Aktienportfolios gibt es beispielsweise bei „FTD Online Mobil“ oder „FAZ Mobil“. „Bild Mobil“ und „Kicker Mobile“ bieten Bundesligaberichte, „Dogs Mobil“ liefert Unterhaltung beim Gassigehen. Beim Shoppen hilft „Brigitte.de Mobil“ mit Buch- und CD-Rezensionen und 3000 Kochrezepten. Über „Essen&Trinken Mobil“ kann man auf über 5000 Hotel- und Restauranttipps zugreifen. Und es auch gibt schon Lokalnachrichten für unterwegs bei den ersten Mobilportalen regionaler Zeitungen.

Pioniere. Schon 2003 startete die „Financial Times Deutschland“ (FTD) mit ersten Nachrichten für WAP-fähige Handys, 2006 begannen auch überregionale Printmedien wie „Welt“, „FAZ“ und „Spiegel“ mit eigenen mobilen Netzausgaben zu experimentieren. Bis vor wenigen Monaten interessierten sich allerdings nur echte Info-Junkys für solche Angebote. Denn mit kleinen Handy-Displays im Internet zu surfen, macht wenig Spaß, wenn sich die Seiten nur langsam aufbauen und der Gebührenzähler umso schneller rast.

Inzwischen allerdings hat sich ein mehrfacher Paradigmenwechsel vollzogen: Die Tarife für die mobile Internetnutzung fallen rasant, es gibt erste Flatrates und das iPhone von Apple inspiriert auch andere Smartphone-Hersteller, das mobile Surfen nutzerfreundlicher zu gestalten. Jetzt geht immerhin schon jeder fünfte deutsche Mobiltelefonierer mit seinem Gerät ins Internet, meldet das Londoner Marktforschungsunternehmen M:Metrics. Die überdurchschnittlich einkommensstarke Zielgruppe der Nutzer, die auch unterwegs per Internet stets mit frischen Nachrichten versorgt werden will, ist für Werbungtreibende besonders attraktiv.

„Thema des Jahres“. Deshalb wollen nun auch immer mehr Medienkonzerne, vor allem Verlage, auf dem erwarteten Massenmarkt Mobile mitmischen – auf den diesjährigen Medienfachkongressen wird das mobile Internet schon zum Thema des Jahres erkoren. Allein in den vergangenen Wochen fiel bei sieben Zeitungen der Startschuss: „Flensburger Tageblatt“, „Schweriner Volkszeitung“ und die DuMont-Titel „Express“, „Mitteldeutsche Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“, „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnische Rundschau“ betreiben nun brandneue Handyportale auf Basis einer von dpa-infocom und dem Mobile-Dienstleister Sevenval entwickelten technischen Lösung. Die Multimedia- und Mobilfunktochter der dpa unterstützt seit fünf Jahren im „Minds“-Projekt Zeitungen bei Aktionen mit Anruf- und SMS-Diensten und will nun auch Titeln mit kleiner Auflage den Einstieg ins mobile Internet mit überschaubarem Aufwand ermöglichen. Das älteste Mobile-Internet-Angebot im „Minds“-Projekt ist die westfälische Regionalzeitung „Glocke“, die seit Silvester 2007 eigene lokale Webinhalte für Handys bereitstellt, angereichert durch dpa-Meldungen. Rund 12.500 Mal wurden die mobilen Seiten im ersten Quartal dieses Jahres angeklickt – was nicht schlecht ist, wenn man bedenkt, dass die „Die Glocke“ von ihrer gedruckten Zeitung täglich nur 58.000 Exemplare verkauft. „Auch eine kleine Tageszeitung muss innovativ sein, um Reichweiten zu halten“, glaubt der stellvertretende Chefredakteur Thorsten Duibmann. Das Mobilportal bringe sicherlich keine neue Abonnenten. „Es hilft aber, den bestehenden Abonnentenstamm zu halten. Gerade junge Leute lassen sich von einem Printangebot allein nicht mehr überzeugen.“

Konkurrenz-Druck. Meinolf Ellers findet diese zukunftsorientierte Einstellung richtig. „Verlage müssen sich jetzt im mobilen Internet positionieren, um halbwegs gegen Google zu bestehen“, sagt der Geschäftsführer von dpa-infocom. Denn die Suchmaschinen Google und Yahoo!, die im Internet schon weit ins Anzeigengeschäft der Verlage vorgedrungen sind, wollen auch den mobilen Werbemarkt beherrschen (siehe auch Termininfo Seite 9). Vor allem die lokale Suche per Handy (location based services) gilt als künftige „Killer-Applikation“ im mobilen Internet. Nutzer können sich dabei zum Beispiel in einer fremden Stadt alle italienischen Restaurants im Umkreis anzeigen lassen oder nachschauen, welche Kinofilme in Kürze in der Nähe starten. „Location based services sind auf jeden Fall ein Geschäft der Zeitungen“, betont Holger Kansky, Multimediareferent beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Der Verband richtete am 8. Mai in Köln eine erste Fachtagung zum Thema mobiles Internet aus, bei der sich über 40 Verlagsvertreter informierten.

Erste Ergebnisse. Derweil profitieren die Mobile-Pioniere schon von ihren Erfahrungen. „Mobile ist bereits heute eine interessante Distributionsform für Printmedien“ – davon ist Holger Fischbuch, Leiter Electronic Media bei der „FTD“, fest überzeugt. „Allein schon auf Grund der hohen Gerätedurchdringung werden mobile Angebote ihre Position zukünftig noch stärker ausbauen.“ Die Wirtschaftszeitung, die schon seit mehreren Jahren sämtliche Plattformen von Print bis Podcast und Mobile unter dem Motto „One Brand – All Media“ integriert, ist mit ihrer „mobilen Markenausschöpfung“ bei monatlichen 370.000 Page Impressions (PIs) per Handy sehr zufrieden. Das Blatt richtet sein Mobilportal konsequent auf die Bedürfnisse der Klientel aus. „Am häufigsten werden aktuelle Nachrichten aus den Ressorts Unternehmen, Politik, Finanzen und Börse abgerufen“, sagt Fischbuch. „Längere Erklärstücke, Lifestyliges oder Inhalte, die nicht zeitkritisch sind, geben wir im Zweifel nicht in die mobile Distribution.“ Bei der „FAZ“ wird ebenfalls betont, das Mobilangebot müsse zur Medienmarke passen. In ihrem Fall sei das „journalistische Kompetenz mit hintergründig recherchierten Inhalten zum Beispiel zu aktuellen Nachrichten, Politik, Wirtschaft und Finanzen“, so Florian Pütz, kaufmännischer Leiter der FAZ Electronic Media GmbH: „Mobil abrufbare Börsenkurse und Ähnliches sind für unsere Zielgruppe ein Service-Muss“.

Auch der Axel Springer Verlag sieht schon Erfolge bei seinen Handy-Aktivitäten. „Der Traffic auf unseren mobilen Webseiten hat sich in den letzten zwölf Monaten vervierfacht. Da entsteht ein relevanter Markt für uns“, betont Robert Bosch, General Manager Online der „Welt“-Gruppe. „Welt Mobil“ kommt auf über 700.000 PIs im Monat. Springer experimentiert auch mit mobilen Barcodes (Mobile Tagging) und mobiler Bilderkennung. Über eine Readersoftware auf dem Handy führen abfotografierte 2-D-Barcodes auf ausgewählten Seiten von „Welt Kompakt“ direkt zu „Welt Mobil“. „Bild Mobil“ bietet neben dem zu erwartenden Themenmix auch die Bilderkennung Otello in Kooperation mit dem Mobilfunk-Provider Vodafone. Bei diesem Service können Handynutzer seit März 2008 Fotos aus der gedruckten „Bild“ abfotografieren und per MMS an einen Server schicken. Steht das Motiv in der Datenbank, wird der Nutzer zu passenden Seiten bei „Bild Mobil“ geleitet. Schon in den ersten Wochen haben laut „Bild“-Sprecher Tobias Fröhlich über 100.000 Leser den Service genutzt. Außerdem bekommen Nutzer des „Bild Mobil“-Prepaid-Tarifs kostenlosen Zugang zu Extras. Was wiederum dem Portal mehr Nutzer zuführt: 80 Prozent kommen über den Prepaid-Zugang.

Die Reichweiten. Doch bei aller Euphorie über funktionierende Wege ins mobile Internet: Noch können die Reichweiten der mobilen Printportale mit ihren Pendants im klassischen Internet bei Weitem nicht mithalten. „Spiegel Mobil“ erreicht rund zwei Millionen Seitenaufrufe im Monat. Und mit monatlich 9,4 Millionen PIs ist „Bild Mobil“ schon Reichweitensieger unter den mobilen Medienangeboten. Zum Vergleich: „Bild.de“ im klassischen Internet wird 72 Mal so oft abgerufen wie die Mobilvariante, „Spiegel Online“ sogar
260 Mal häufiger.

Haben bei diesen Relationen die Verlage überhaupt Chancen, mit ihren Investitionen ins mobile Internet in absehbarer Zeit Geld zu verdienen? Die Chancen stehen zumindest nicht schlecht, wenn sie aus den fehlgeschlagenen Experimenten mit Bezahlangeboten im klassischen Internet lernen und im mobilen Internet von vornherein konsequent auf Werbefinanzierung setzen. Indizien dafür gibt es: Schon heute könnte „Welt Mobil“ mehr mobile Werbebanner verkaufen, als Plätze dafür vorgesehen sind. Die Werbeflächen werden aber gedeckelt, um die Nutzer nicht zu verschrecken. Und auch FTD-Manager Fischbuch betont: „Wir sind mit unseren mobilen Aktivitäten schon heute profitabel.“

Tipp: Beispiele für erfolgreiche Verlagsak- tionen mit Telefon-, SMS- und MMS-Diensten und Screenshots der neuen Mobilportale auf der „Minds“-Plattform hat dpa-infocom in einer aktuellen Folie zusammengestellt. Die „Datei Minds_Best-Practice.pdf“ ist für „medium magazin“-Abonnenten im Downloadbereich abrufbar. Bitte das Kennwort „MoBilE2008“ eingeben. Es gibt dort auch eine Übersicht über die Mobilportale der Verlage.

Erschienen in Ausgabe 6/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 31 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.