Startrampe

Wer sich bei der „Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen“ (HNA) in Kassel um ein Volontariat bewirbt, bekommt ein Gratis-Abo der Zeitung dazu. Nicht als Dankeschön für die hübsche Bewerbungsmappe. Sondern aus Kalkül. 14 Tage lang wird jedem eingeladenen Kandidaten die Lokalausgabe HNA frei Haus geliefert. Damit später keiner sagen kann, er habe die Zeitung nicht lesen können, sie sei vor Ort nicht erhältlich. Ob Flensburg oder Freiburg, die HNA kommt zu jedem. Zur Vorbereitung auf das Vorstellungsgespräch mit Chefredakteur Horst Seidenfaden, seinem Stellvertreter Jan Schlüter sowie den Ressortleitern aus Kultur und Wirtschaft. „Sich mit dem Medium beschäftigt zu haben“, sagt Schlüter, „ist ein absolutes Muss“.

Ein angehender Volontär, der die Zeitung nicht liest? Der schlecht vorbereitet zum Gespräch erscheint? Der nicht weiß, welche Partei den aktuellen Oberbürgermeister stellt? Ja, es gibt sie noch, jene Kandidaten, die „irgendwas mit Medien“ machen wollen und sich spätestens beim Kaffee mit dem Chefredakteur fahrlässig verplaudern. Aber sie sind heute die Minderheit, glaubt Schlüter, der bei der HNA für die Volontärsausbildung zuständig ist: „Die Bewerber sind heute fachlich qualifizierter und dichter dran an der Idee des Mediums. Da wächst eine starke Generation heran.“

Auswahlkriterien. Gestiegen sind allerdings auch die Anforderungen an die Jungen. Eine Nachfrage von „medium magazin“ in den Chefetagen von rund 40 Zeitungshäusern zeigt: Bereits aus den schriftlichen Bewerbungen wird kräftig gesiebt. Beim „Südkurier“ in Konstanz zum Beispiel reichen Arbeitsproben und ein gut gefüllter Lebenslauf für eine erfolgreiche Bewerbung längst nicht mehr aus. „Ohne Online-Erfahrung wird bei uns keiner eingestellt“, sagt Chefredakteur Thomas Satinsky. Ein entsprechendes Praktikum müssen ihm Ausbildungswillige daher mindestens vorweisen. Der verlagspolitische Gedanke dahinter: Beim „Südkurier“ – wie bei den meisten Regionalzeitungen – sinkt die Druckauflage. Wachstumschancen sieht der Verlag mittlerweile nur in der Integration von Online-, Mobile- und Print-Angeboten. Wer als Volontär beim „Südkurier“ anfängt, soll das „Denken in Informationsportionen“ bereits gelernt haben. Und noch etwas ist Thomas Satinsky bei seinen zukünftigen Volontären wichtig: „Im Lebenslauf schaue ich genau hin: Soziales Engagement, zum Beispiel im Verein, ist bei mir ein zusätzlicher Pluspunkt. Weil Engagement eine notwendige Eigenschaft des Journalisten ist. Noten spielen dagegen keine so große Rolle.“

Fit im Job: Das soll der Nachwuchs schon vor der Ausbildung sein. In eine erfolgreiche Bewerbung gehören Belege für eine Arbeitspraxis, ob nun als Praktikant bei „mehreren Medien-Gattungen“ („Zeitungsgruppe Lahn-Dill“) oder „als freier Mitarbeiter bei tagesaktuell arbeitenden Medien“ (dpa). Die Frage, ob eine freie Mitarbeit schneller zum Volontariat führt, beantwortet übrigens jedes Haus anders: Mal ist sie ein Türöffner (HNA: „Freie kommen auf jeden Fall zum Vorstellungsgespräch“), mal wird betont, dass Interessenten von außen die gleichen Chancen haben wie freie Mitarbeiter. „Warten qualifiziert nicht“, sagt Regina Theunissen, Volontärsbeauftragte der Koblenzer „Rhein-Zeitung“. Überall erwartet wird außerdem mittlerweile eine akademische Ausbildung. „Die meisten Bewerber verfügen heute über ein abgeschlossenes Studium; damit wird es faktisch vorausgesetzt“, bekennt Hartmut Troebs vom „Reutlinger Generalanzeiger“. Die Universität als staatlich subventioniertes Trainingslager für die Karriere: Was hier an Analyse- und Recherchefähigkeiten geschult wird, wollen die meisten Zeitungshäuser nicht mehr missen.

Aufnahmetests. So vergleichbar die Anforderungen an die Bewerber sind, spätestens am Tag des Vorstellungsgesprächs entwickelt jedes Zeitungshaus seine eigene Choreografie. Beim „Südkurier“ zum Beispiel setzt man seit anderthalb Jahren aufs Assessment-Center. Einen ganzen Tag lang durchlaufen fünf bis neun Kandidaten die Höhen und Tiefen des Redakteurslebens und organisieren auch eine Redaktionskonferenz. Anhand aktueller Nachrichten sollen die Aspiranten die wichtigsten Themen zusammenstellen, die auf den Titel der Zeitung gehören. In solchen Momenten zeige sich nicht allein, wer analysieren könne, meint Satinsky, sondern auch, wer im Team funktioniere. Die Jury entscheidet noch am gleichen Tag, wer zu den zukünftigen Volontären des Hauses gehört und wer nicht.

Aus Hunderten von Bewerbungen bleiben zum Schluss mal zwei, mal zehn Namen übrig, die einen Vertrag für eine – in der Regel – zweijährige Ausbildung vorgelegt bekommen. In einigen Redaktionen mischen sich unter die Volontäre auch Journalis- tikstudenten, zum Beispiel aus Leipzig oder Dortmund, wo ein Praxisjahr in einer Redaktion zur universitären Ausbildung gehört. Vorteil für die Verlage: Die Studenten sind gut vorgebildet und können schnell redaktionelle Aufgaben übernehmen. Nachteil: Solcher Nachwuchs sucht später lieber den Weg in überregionale Medien. „Die gehen an die Uni zurück“, sagt Jan Schlüter von der HNA, „und ehrlich gesagt sehen wir die danach nie wieder.“

Unterschiedliche Abläufe. Zwei Jahre Volontariat, für Studenten ein Jahr: Formal ist die Ausbildung überall gleich, die Inhalte unterscheiden sich jedoch teils beträchtlich. Beispiel dpa und HNA, die jeweils 24 Volontäre beschäftigen: Bei der „Deutschen Nachrichtenagentur“ gehört ein ständiger Wechsel der Stationen und Medien obligatorisch zur Ausbildung – unter anderem geht es in die Korres- pondentenbüros nach Berlin und Brüssel. In Kassel bleiben die externen Stationen im Wesentlichen lokal: Neben einem drei- bis vierwöchigen Grundkurs im ersten Ausbildungsquartal steht etwa ein Monat Lokalradio auf dem Ausbildungsplan – und im Rahmen der monatlichen Weiterbildungen auch mal ein halber Tag zum Benimmtraining. Oder Schuften beim Autohersteller VW, als Vorbereitung für eine Wirtschaftsreportage.

Interne, monatliche Volontärsschulungen – ob ein- oder mehrtägig – sind in den meisten Verlagen Usus. „Fortbildung ist ein wesentliches Instrument der Personalpolitik“, sagt „Südkurier“-Chef Satinsky. Bei ihm werden deshalb nicht nur die Volontäre, sondern auch die Redakteure auf Seminare geschickt – vom Presserechts-Tag bis zum Rhetorikkurs mit Sprachtrainer. Dass ein externer Ausbilder hinzugezogen wird, ist allerdings nicht überall die Regel. Vielfach werden die Volontärsseminare auch von Redakteuren des Hauses organisiert und geleitet. Das spart Geld, kann aber furchtbar danebengehen, wie auch Regina Theunissen, Volontärsbeauftragte der „Rhein-Zeitung“, weiß: „Ich weigere mich, mit Kollegen zu arbeiten, die sich nicht vorbereiten.“

Sondermodelle. Weil das eben doch häufiger vorkommt, als für den Nachwuchs gut sein kann, haben einige Verlage ihre Ausbildung komplett in die Hände von Profis abgegeben – wie die Axel Springer AG (die ihre Journalistenschule im vergangenen Jahr zur Akademie mit crossmedialem Ausbildungsschwerpunkt umgemodelt hat, s. a. mediummagazin 7/07), die Holtzbrinck- und die WAZ-Gruppe. Die Journalistenschule Ruhr (JSR) bildet rund 60 Volontäre der WAZ-Gruppe in Blockseminaren aus. Die Volontäre sind auch bei der JSR angestellt – zu untertariflichen Konditionen. Anders bei der Holtzbrinck-Volontärakademie: Hier übernehmen die Zeitungen der Verlags-Gruppe lediglich im Wechsel mehrtägige Ausbildungsblöcke.

Und am Ende? Sollte der Redakteursvertrag stehen. Manchmal tut er das auch – bei der „Glocke“ etwa, der „Main-Post“ oder bei dpa – und sei es mit einer Festanstellung in einer Outsourcing-Redaktion wie bei der „Rhein-Zeitung“ in Koblenz. Sieben von zehn Volontären des letzten Jahrgangs wurden dort unbefristet angestellt, und zwei als Elternzeit-Vertretung verpflichtet. Während sie im Volontariat übertariflich bezahlt werden, arbeiten sie dort zu untertariflichen Bedingungen. „Wir bieten den Leuten zumindest eine Perspektive“, sagt Regina Theunissen dazu. Anderswo reicht es oft
nur für einen Pauschalistenvertrag oder eine befristete Stelle.

Solche Bedingungen annehmen oder in Wettbewerb treten mit all jenen, die gar kein Stellenangebot bekommen haben: Spätestens dann kommt es darauf an, was der Jungredakteur wirklich gelernt hat. Wie steht’s mit Crossmedia-Kompetenz, mit Recherche-Strategien, mit magazinigem Schreiben und Grundkenntnissen in Etat-Planung? „Man hebt einen Stand am besten dadurch, dass man sich eine gute Konkurrenz schafft“, schrieb Kurt Tucholsky 1928 über den journalistischen Nachwuchs. Den Satz sollten sich Redaktionen zu Herzen nehmen. Im eigenen Interesse.

Tipp:

Rund 40 Zeitungsredaktionen haben sich an der „medium magazin“-Umfrage zu ihren Ausbildungskonzepten beteiligt. Die Ergebnisse im Detail stehen für Abonnenten zum Download bereit unter: www.mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 6/2008 in der Rubrik „Special“ auf Seite 66 bis 69 Autor/en: Andrea Mertes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.