Sie kam als Krankenschwester, als Patientin, als Besucherin. Nur als Journalistin kam Zaineb Ahmed nie ins Yarmuk-Krankenhaus in Bagdad: Es wäre lebensgefährlich gewesen, war so schon hochriskant, den zunehmenden Gerüchten Anfang 2007 nachzugehen, dass die neuen Pfleger und Wächter im irakischen Gesundheitsministerium planmäßig sunnitische Patienten ermordeten. Denn seit die Partei des schiitischen Radikalenführer Muqtada al-Sadr ganz offiziell das Ministerium übernommen hatte, traten deren Milizionäre auf einmal als Krankenhauspersonal auf.
Bagdad ist eine Stadt vieler Gerüchte. Aber als immer mehr Patienten mit klassischen Sunnitennamen wie Omar oder Duleimi spurlos verschwanden oder aus unerklärlichen Gründen tot in ihren Betten lagen, begannen Zaineb und ihre Kollegen zu recherchieren: fanden Angehörige Verschwundener und einen sunnitischen Patienten, den einer der schiitischen Pfleger in letzter Minute durch einen Hintereingang aus dem Krankenhaus gelotst hatte. Ein Freund der Familie.
„Ich habe jedes Mal Todesangst gehabt“, erzählt sie im Nachhinein, „bin immer auf verschiedenen Wegen nach Hause gefahren und habe darauf geachtet, ob mir jemand folgt!“ Denn Journalist zu sein in Bagdad, macht jeden zum Gejagten. Keine der neuen Mächte schätzt unabhängigen Journalismus: Weder das US-Militär noch die neue Regierung, noch die zahllosen Milizen, von denen keiner weiß, wer Polizisten, Kriminelle, Todesschwadronen oder alles drei in Personalunion sind.
Notwendige Öffentlichkeit. Zaineb Ahmed hat am 9. Mai den Henri-Nannen-Preis (s. a. Seite 59) für ihre Verdienste um die Pressefreiheit erhalten auch im Namen all der übrigen, oft heimlich arbeitenden irakischen Journalisten und der ermordeten Kollegen – sowie im Namen der „Institute for War and Peace Reporting“, einer britischen Organisation, die mit internationalem Personal seit 2003 Journalisten im Irak ausbildet und von der deutschen Journalistin Susanne Fischer geleitet wird.
Dies bedeutet nicht nur eine Würdigung lebensgefährlicher Arbeit sondern auch öffentliche Aufmerksamkeit für eine Berufsgruppe, deren Existenz gerade bei deutschen Medien kaum bekannt zu sein scheint. Dass seit 2003 eine Generation irakischer Journalisten herangewachsen ist, die unter immensem Risiko und oft „under cover“ recherchieren, was wirklich im Land geschieht. Weder machen die US-Truppen im Irak nun alles richtig, wie es der „Spiegel“ im vergangenen Jahr mit einer Hagiographie über den damaligen Irak-Oberbefehlshaber der US-Truppen, General Petraeus, beschrieb, der „in keinem Geschichtsbuch der Zukunft fehlen“ werde. Auf der anderen Seite aber sind nicht die US-Truppen federführend für das Grauen und die zahllosen Morde verantwortlich, wie es Jürgen Todenhöfer mit seiner Schilderung des angeblich geeinten irakischen „Widerstandes“ in „Warum tötest du, Zaid?“ schildert.
Fatale Machtkämpfe. Kurioserweise ignorieren da Autoren, die am Ende zu entgegengesetzten Schlüssen kommen, beide gleichermaßen die Wirklichkeit: dass dies kein Krieg USA vs. Irak mehr ist. Sondern der anhaltende Zerfall eines Landes, in dem schiitische wie sunnitische Milizen mit Mord- und Vertreibungskampagnen um die Macht ringen und die Amerikaner selbst kaum noch verstehen, was für einen Krieg sie da eigentlich führen. Ein Land, im dem vor einem Jahr ein Polizeioffizier Bürger in Bagdad warnte, nur ja nicht die Tür aufzumachen, wenn Polizisten davor stehen es sei denn, sie würden von Amerikanern begleitet. Ein Land, in dem einzelne Städte von bis zu einem Dutzend verschiedener Banden beherrscht werden und die Amerikaner mittlerweile fast jedem Geld und Waffen geben, der verspricht, auf ihrer Seite zu kämpfen gegen al-Qaida, gegen andere Iraker, ja sogar gegen die irakische Regierung.
Dass die Hauptkampflinie zwischen US-Truppen und Irakern verlief, mag noch für 2004 gegolten haben aber seither hat der inländische Machtkampf die Ausgangsverhältnisse auf den Kopf gestellt: Ausgerechnet in der sunnitischen Westprovinz Anbar, früher eine der Hauptkampfzonen fürs US-Militär, haben Dutzende Guerillagruppen binnen weniger Monate die Seiten gewechselt: Eben jene, die bis Ende 2006 Amerikaner bekämpften, lassen sich von denen nun bis an die Zähne bewaffnen, um gemeinsam mit ihren Todfeinden von gestern gegen al-Qaida zu kämpfen. Und, aber das sagen sie nicht ganz so vollmundig, gegen die irakische Regierung, denn die wird von den schiitischen Parteien beherrscht. Gegen deren Todesschwadronen, die ganze Stadtviertel mittels Hinrichtungen „ethnisch säubern“.
Jürgen Todenhöfer hat recht mit den Details amerikanischer Gräuel, wenn 19-, 20-jährige Soldaten Zivilisten erschießen und nicht einmal dann dafür belangt werden, wenn die Beweislage erdrückend ist: wie im Fall des Dorfes Haditha, wo eine US-Einheit aus Rache ganze Familien in ihren Häusern ermordete. Was übrigens ein irakischer Journalist aufdeckte. Gar nicht zu reden von den Zehntausenden Söldnern im Irak, an die das Pentagon immer weitere Teile seines Feldzuges ausgelagert hat. Die, wie die berüchtigte „Sicherheitsfirma“ Blackwater, für die Erschießung Dutzender Zivilisten verantwortlich sind, aber deren Angestellte qua Dekret der US-Regierung im Irak vor kein Gericht gestellt werden dürfen und schlimmstenfalls mit Kündigung bestraft werden: wie jener Blackwater-Söldner, der im Suff einen Leibwächter des irakischen Vizepremiers erschoss.
Dennoch ist dies nur ein Teil des Gesamtbildes. Spricht man mit den irakischen Flüchtlingen in Damaskus, Amman, Istanbul, so sind die allermeisten nicht vor den US-Truppen, sondern vor irakischen Todesschwadronen und Entführergangs geflohen. Von den vier getöteten irakischen IWPR-Journalisten seit 2006 wurde einer höchstwahrscheinlich von US-Scharfschützen umgebracht, die drei anderen fielen irakischer Gewalt zum Opfer, eine von ihnen wurde planvoll ermordet. Weil sie gewagt hatte zu schreiben, wie ihre Heimatstadt Mosul im Norden des Zentralirak unter die Terrorherrschaft sunnitischer Extremisten gefallen war.
Doch trotz Hunderten geflohener und mehr als 200 ermordeter irakischer Journalisten: Immer noch sind es Hunderte, vielleicht Tausende, die weiterarbeiten: diskret, oft langsam und nur in jener Umgebung, in der sie qua Religion oder Ethnie am wenigsten auffallen. Aber es gibt sie, wie jenen IWPR-Journalisten, der gemeinsam mit einem geflohenen Kollegen aufdeckte, dass das US-Bombardement einer angeblichen Terrorgruppe bei Kerbala Ende Januar 2007, bei dem mehr als 300 Menschen umkamen, nichts anderes war als ein Konkurrenzkampf zwischen zwei schiitischen Parteien: von denen die eine in der Regierung sitzt und das US-Oberkommando anrief, man habe eine al-Qaida-Gruppe gefunden. Die Amerikaner stellten keine Fragen, schickten die Luftwaffe, bombardierten ein Lager mit Männer, Frauen, Kindern, ließen sich benutzen in diesem Krieg, in dem sie selber nicht mehr wissen, wer ihre Freunde, wer ihre Feinde sind.
Jürgen Todenhöfer und der „Spiegel“ haben beide geschrieben, dass eine unabhängige Berichterstattung aus dem Irak gar nicht mehr möglich sei und man sich folglich „embedden“ müsse bei den US-Streitkräften, wolle man überhaupt noch von dort berichten. Doch das ist nicht richtig. Es erfordert Mühe, oft viel Geduld, aber man kann mithilfe der irakischen Journalisten sehr wohl ein genaueres Bild der Wirklichkeit bekommen. Sie veröffentlichen auch auf Englisch. Sei es der mehrfach ausgezeichnete Ghaith Abdul-Ahad im britischen „Guardian“, seien es die Blogger wie „HealingIraq“, seien es die IWPR-Reporter. Es gibt sie, die Alternativen zu „embedded“ Informationen.
Wir sollten sie nutzen denn in dem wir ihnen Öffentlichkeit verschaffen, stützen wir auch das Bemühen um unabhängigen Journalismus unter schwierigsten Bedingungen.
Linktipp:
Der Blog HealingIraq: http://healingiraq.blogspot.com/
Die website des „Institute for War and Peace Reporting“ (IWPR): www.iwpr.net
Die Guardian-Autorenseite von Ghaith Abdul-Ahad: http:
// www.guardian.co.uk/profile/ghaithabdulahad
Erschienen in Ausgabe 6/2008 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 20 bis 21 Autor/en: Christoph Reuter. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.