Weg mit dem BH

Als ein zentrales Wort in einem meiner Texte einer Kürzung zum Opfer fiel, habe ich mich nicht beschwert. Nur gewundert. Da fragt ein Schulbuchverlag, ob er eine Reportage über den globalen Altkleiderhandel übernehmen darf, mit wenigen Änderungen und Kürzungen „im Hinblick auf die Zielgruppe (Hauptschule und Werkrealschule).“ Im Text, der zuerst in der „NZZ am Sonntag“ erschienen war, beschreibe ich an einer Stelle einen Geschäftsabschluss auf einem kenianischen Großmarkt. Frau Gachagwa „greift in ihre Bluse, zieht einen Kniestrumpf aus dem BH und aus dem Strumpf ein pralles Bündel Scheine …“

Einige Zehntklässler an deutschen Schulen werden demnächst lesen: „greift in ihre Bluse, zieht einen Kniestrumpf mit einem prallen Bündel Scheine heraus …“ Werden sich die Schüler nun nicht fragen, wie die Frau es schafft, den Strumpf in der Bluse zu befestigen? Angeklebt? Unter die Achsel geklemmt? Ein Weltreporter-Kollege, dem ich davon erzählte, wollte wissen: ist das nun befreiend gemeint, weil barbusig, oder spricht da der prüde Geist der fünfziger Jahre? „Das ist nicht lustig“, belehrt mich die Verantwortliche für das Schulbuch. Denn das Anliegen des Verlags ist lobenswert. An Hauptschulen mit hohem Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund solle niemand ausgegrenzt werden (meint: muslimische Mädchen sollen nicht vor Scham verstummen). Finde ich als Deutsche mit Migrationshintergrund in der Theorie in Ordnung, in der Umsetzung aber fragwürdig bis lustig.

Internet: www.als.wikipedia.org/wiki/BH

Erschienen in Ausgabe 6/2008 in der Rubrik „Weltreport“ auf Seite 76 bis 76 Autor/en: Judith Reker, Johannesburg. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.