Die da unten

T-Affäre? T-Krimi? Telekomgate? Plötzlich sprechen alle darüber, was die Journalisten „da oben“, also in der vermeintlichen ersten Reihe, leisten und wie gefährlich sie und nicht zuletzt ihre Informanten leben. Doch dabei geht wie so oft unter, dass investigative Recherche auch im Lokalen vielerorts noch immer an der Tagesordnung ist – dem grassierenden Sparzwang zum Trotz. Und auch die Rechercheure in den Regionen haben ihre Probleme, nur andere. Das „medium magazin“ wirft einen Blick über die Republik und fragt: Telekomgate, was geht uns das an? Wie funktioniert Recherche im Lokalen? Wo verstecken sich die Erfolge? Und vor allem: Was sind die Tricks der Profis?

Die Masse der Rechercheure im Lokalen spaltet sich in zwei Lager: Da sind die klassischen Lokal-Reporter. Sie müssen viel Alltag bewältigen, von der Reportage vom Bauernhof über die Sitzung des Gemeinderats bis hin zum Vereinsjubiläum. Sie, die oft auch noch Blattmacher sind, müssen sich für jeden Einsatz über den Moment hinaus immer neuen Freiraum erkämpfen. Und dann sind da Kollegen wie Simone Wendler, die sich Chef-Korrespondentin nennen darf und mit den täglichen Pflichten eines Lokalredakteurs nicht viel zu tun hat.

Sonderstellung. Die „Lausitzer Rundschau“ hat Wendler und vier andere Reporter gänzlich von der Seitenproduktion befreit. Die Mitglieder des dezentral organisierten Reporter-Pools können sich deshalb den Luxus gönnen, auch mal Tage oder Wochen an einem Thema zu hängen. Bei Wendler war das im Jahr 2002 im großen Stil der Fall: Die Chemikerin deckte Seilschaften in der Cottbusser Gebäudewirtschaft auf. Wendler wies mit minutiösen Recherchen nach, wie sich mehrere Firmen zu Lasten der Bürger Aufträge zuschanzten und Rechnungen fälschten. Von Stasi-Freunden war gar die Rede. Das Thema machte bundesweit Schlagzeilen. „FAZ“, „Tagesspiegel“ und ARD-„Tagesthemen“ berichteten.

Undenkbar, so etwas mal eben zwischen zwei Vereinsgeschichten zu stemmen. Wie brisant die Situation wirklich war, machte Wendler aber erst ihr ehemaliger Chefredakteur klar: „Peter Stefan Herbst kam eines Tages zu mir und ordnete an, den Dienstwagen für zwei Wochen stehen zu lassen und auf einen Mietwagen umzusteigen.“ Dass sich Wendler von Einschüchterungsversuchen aus dem Cottbusser Klüngel nicht beeindrucken ließ, brachte ihr Ruhm ein: Der „Spiegel“ schrieb über eine dreiseitige Geschichte über Wendlers Arbeit die Schlagzeile „Mutter Courage in Cottbus“.

Herbst leitet inzwischen die „Saarbrücker Zeitung“ (ebenfalls Holtzbrinck-Gruppe). Und siehe da: Auch dort findet sich ein Reporter-Pool. Und auch der dortige Chef-Reporter, Michael Jungmann, sorgte bereits bundesweit für Aufsehen: Als im September 2007 drei zum Islam konvertierte Deutsche festgenommen wurden, weil sie womöglich kurz vor einem Attentatsversuch standen, beherrschten die Bilder ihrer Festnahmen die Titelseiten der Republik. Das Problem war nur: Die meisten Blätter saßen einer falschen Meldung der Bundesanwaltschaft auf. Sie betitelten den einzigen Gefassten, dessen Gesicht nicht verhüllt war, als „Fritz G.“.

Jungmann, der auch in viele Ermittlungsbehörden vernetzt ist, prüfte die Angaben hingegen vor der Übernahme der Fotos im eigenen Blatt. Das Ergebnis: „Fritz G.“ ist eigentlich „Daniel S.“. Etwa von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ wurde er erst verlacht. Dann entschuldigte sich das Blatt („In typisch exilsaarländischer Hybris und Verblendung vertrauten wir auch in Saarlanddingen etwa der, New York Times‘ mehr als der Heimatzeitung“).

Bei der „Saarbrücker Zeitung“ sind drei Mitarbeiter als Reporter im Mantel freigestellt. Jungmann deckt die breite Palette ab, ein Kollege vor allem die Landespolitik sowie Umweltthemen und eine Kollegin Kultur und Soziales. Außerdem ist an den Pool noch eine halbe Kraft angedockt. Dieser Kollege, sonst als Anwalt tätig, kümmert sich um Recht und Justiz. Im Gegensatz zu Cottbus müssen die Reporter immer mittwochs die Schlussredak- tion des Blattes übernehmen. „Damit wir noch wissen, wie das mit dem Zeitungsmachen funktioniert“, sagt Jungmann.

Teamarbeit als Erfolgsrezept. Bei der „Braunschweiger Zeitung“ haben sie mit der Umstellung der Redaktions-Struktur auf das Newsroom-Konzept um die Jahrtausendwende ebenfalls vier Mitarbeiter vom Blattmachen entbunden. Zunächst arbeiteten die Kollegen völlig getrennt voneinander an unterschiedlichen Themen vor sich hin, so wie das bis heute bei „Lausitzer“ und „Saarbrücker“ der Fall ist. 2002 aber änderte sich alles.

Damals trat der „Focus“ die VW-Affäre rund um geschmierte Betriebsräte los. Paul-Josef Raue, Chef der „Braunschweiger Zeitung“, versammelte seine vier Reporter daraufhin in einem Raum. An die Tür pappten sie ein VW-Logo. Das Prinzip Task-Force hatte Braunschweig erreicht.

„Da haben wir praktisch von null angefangen“, erinnert sich Reporter Henning Noske. „Wir wussten ja nicht mehr als das, was damals im, Focus‘ stand.“ Dass die vier dann versuchten, die Affäre vor der eigenen Haustür schneller weiter zu drehen als die Konkurrenz, bezeichnet Noske heute als „Feuerprobe“, die viel an der Arbeitsweise im Haus geändert habe. Noske sagt: „Erst da haben wir gelernt, unsere neuen Privilegien richtig auszufüllen.“

Während die „Braunschweiger Zeitung“ zuvor nicht gerade dafür bekannt war, wahnsinnig kritisch mit dem „Werk“ umzugehen, wie die VW-Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz nennen, hatte die Aufarbeitung laut Noske eine „bereinigende Wirkung, wie ein Katalysator“.

Die Kontakte zum größten Arbeitgeber im Verbreitungsgebiet, die in der monatelangen Gruppenarbeit zustande gekommen waren, halfen bald schon erneut weiter: Wenige Monate später übernahm Porsche den Volkswagen-Konzern. „Da haben wir zweifellos von unserer damaligen Arbeit profitiert“, so Noske, der durchaus allen Lokalzeitungen eine ähnliche Affäre wünscht, „damit sie ihr Potenzial erkennen“.

Für Noske ist das eigentliche Erfolgsrezept für gute Recherche im Lokalen aber die Einrichtung eines solchen Reporter-Pools. „In dieser Funktion zu sein, ist ein subtiler Leistungsdruck an sich“, sagt er mit Blick auf die 26 anderen Kollegen im Mantel, die im Gegensatz zu den vier Reportern die Seiten produzieren. „Ich muss mich ja ständig für meine Privilegien rechtfertigen.“ Eigene Geschichten seien da schließlich die beste Möglichkeit.

„Killerinstinkt“. Von dem Luxus, mit Dienstwagen, -notebook und -handy ausgestattet und damit die meiste Zeit nicht mehr am Schreibtisch, sondern draußen „bei den Leuten“ zu arbeiten, können viele Redakteure bei anderen Blättern aber freilich nur träumen. Zumindest mit einer Zwischenlösung trumpft da noch der „Kölner Stadtanzeiger“ auf: Als sie vor gut fünf Jahren witterten, dass beim Bau einer Müllverbrennungs-Anlage der „Kölner Klüngel“ seinem Namen alle Ehre machte, es also noch nicht nach Abfall, eben aber schon nach Schmiergeld roch, zog die Redaktion drei Redakteure zu einer vorübergehenden Task-Force zusammen.

Peter Berger, Andreas Damm und Axel Spilcker wurden wenigstens weitgehend von der Tagesproduktion befreit. Wochenlang beackerten sie fast ausschließlich nur das eine Thema. Mehrere Dutzend Artikel waren die Folge. Am Ende stand gar der Wächterpreis für vorbildliche Recherche im Lokalen.

Aber der weitaus größte Teil der Zeitungen leistet sich nach wie vor keine von der täglichen Arbeit befreiten Rechercheure. Viele kleine Zeitungen können das wohl auch nicht. Diese schwierigen Arbeitsbedingungen halten die Redakteure aber nicht immer davon ab, Großes zu leisten. Beispiel „Tölzer Kurier“, ein Ableger des „Münchner Merkur“: Joachim Braun, Leiter der insgesamt siebenköpfigen Lokalredaktion, spricht von einem „Killerinstinkt“, der in ihm erwache, wenn er eine Geschichte wittere.

Gewittert hat er zuletzt vor allem Missmanagement beim Bau eines örtlichen Wirtschaftszentrums. Braun und seine sechs Kollegen sind bereits seit mehr als fünf Jahren an den Millionen-Defiziten dieses „Dienstleistungszentrums Tölzer Kas
erne“ dran, legen kontinuierlich neue, noch bitterere Zahlen auf den Tisch und ordnen die Entwicklungen in teils ganzseitigen Analysen ein. Im Mittelpunkt der örtlichen Affäre steht der Aufsichtsrat, der zugleich auch Landrat ist.

Auch in der Provinz versuchen sie nun mal, das Beste aus der Situa- tion zu machen und trotzdem investigativ zu arbeiten. Gert Glowinski, Chef der Lokalredaktion Merseburg der „Mitteldeutschen Zeitung“, sagt, alle seine fünf Redakteure würden recherchieren. Sein Kredo: „Recherche wird bei uns verteilt.“

Als Reporter und Lokalchef in Doppel-Funktion nimmt sich Glowinski die brisanten Fälle aber meist selbst vor – und arbeitet dafür auch mit den landespolitischen Korrespondenten in der Zentrale in Halle zusammen. So trugen mehrere Außenredaktionen der „Mitteldeutschen“ zuletzt Puzzlestücke zu einem großen Ganzen zusammen, mit dem das Blatt über illegale Entsorgung von Abfällen in der Region berichtete. Die Deponien verteilten sich auf mehrere Standorte der „MDZ“.

Einzelkampf. Und dann gibt es noch die wirklich Hartgesottenen wie Ekkehard Rüger. Der ist einer dieser journalistischen Ein-Mann-Maschinen, wie sie für Verleger längst keine reine Modeerscheinung mehr sind: Für den „Bergischen Volksboten“, einem Ableger der „Westdeutschen Zeitung“, stampft er jeden Tag eine Seite über die 20.000-Einwohner-Gemeinde Burscheid aus dem Boden – und das eben ganz allein, wenn ihn nicht gerade eine Volontärin aus Düsseldorf besucht. Rügers Alltag ist nicht das Investigative, sondern der Kleinkram, der auf seine Seite muss.

Wie durch ein Wunder schafft es Rüger dann aber doch hin und wieder, einen Skandal auszugraben, wenn auch im Kleinen. Und einer hat ihm sogar bundesweit Beachtung eingebracht: Rüger berichtete über den geplanten Besuch des Aufsichtsrats und der Gesellschafterversammlung der örtlichen Stadtwerke auf einer norwegischen Förderplattform. Die Reise sollte von Energie-Riesen bezahlt werden. Mit seiner Geschichte „Wochenendtrip auf die Förderinsel“ trat er die Debatte um sogenannte Lustreisen von Kommunalpolitikern los. Weil ein Leser den Artikel an die Staatsanwaltschaft schickte und Anzeige erstattete, waren Ermittlungsverfahren gegen mehr als 300 Politiker die Folge.

„Ich habe vielleicht zwischendurch mal zehn Minuten Zeit für einen Recherche-Anruf in einer Sache, die nicht tagesaktuell ist“, sagt Rüger. Und dann seien da noch Text-Recherchen und Treffen mit Kontaktpersonen am Morgen und Abend. „Mit Kernarbeitszeiten hat das alles nichts zu tun.“

Dieser Zeitdruck ist ein Problem, das er natürlich mit vielen Reportern teilt – nicht nur mit Kollegen im Lokalen. Und ein Blick auf die Methoden der Regional-Rechercheure zeigt zudem: So sehr unterscheiden sie sich gar nicht von der Arbeitsweise der Kollegen bei den Überregionalen wie beispielsweise der von Enthüllungs-Ikone Hans Leyendecker. Simone Wendler etwa legt regelmäßig Telefonspuren. „Natürlich recherchiere ich viel am Telefon und rufe Leute auch am Dienstapparat an – wo soll ich sie auch sonst erreichen“, sagt sie. Damit ihren Gesprächspartnern aber niemand auf die Schliche kommt, ruft sie gleich bei mehreren Kollegen des eigentlichen Informanten an – und das auch noch zu unterschiedlichen, teils belanglosen Themen. „Am Ende weiß jeder, dass ich mit jedem im Haus gesprochen habe, aber keiner so genau, worüber. Da können sich die Unternehmen totsuchen.“ (Tipp: s. a. Seite 24 f: Start der „medium magazin“-Serie: Sicheres Kommunizieren, Teil 1: Geschütztes Telefonieren)

Knacken in der Leitung. Doch es gibt – nicht nur in Zeiten der T-Affäre – auch Anzeichen dafür, dass sich selbst Informanten im Lokalen am Telefon längst unwohl fühlen. Glowinski, der Lokalchef aus Merseburg, will etwa erkannt haben: „Die Leute wollen sich wieder in die Augen schauen, auch wenn das Meiste aus Kraftgründen weiterhin telefonisch gemacht wird.“ Dafür gebe es keinen konkreten Anlass. „Das ist mehr so ein Gefühl, eine Art diffuse Verunsicherung, die man nicht irgendwo festmachen kann.“

Die Leute im Osten hätten eben ein gutes Gedächtnis, sagt Glowinski. „Die wissen noch ganz genau, wie es damals in der Leitung geknackt hat.“ Und auch Simone Wendler sagt: „Eine Abhör-Affäre betrifft auch die Regionalzeitungen, weil das die Atmosphäre bei Informanten im ganzen Land beeinflusst.“ Vor allem im Osten seien die Leute sensibel, wenn es um das Bespitzeln gehe. Diese These stützt unter anderem auch der Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“, Bernd Hilder, der sagt: „Bei solchen Debatten werden hier bei vielen üble Erinnerungen wach.“

Doch auch andernorts ist bei heiklen Themen das Telefon tabu. Wolfgang Messner, der als Bodensee-Korrespondent der „Stuttgarter Zeitung“ ein Gebiet von der Schweiz über das Allgäu bis hin zum Schwarzwald abdeckt, bespricht Wichtiges nur „Face-to-Face“, wie er sagt. Denn auch in regionalen Verwaltungen und Unternehmen in der Provinz wüssten sie längst, dass Telefonanlagen erst einmal alle Verbindungsdaten speicherten. Unter seinen wichtigsten Informanten sei deshalb selbst ein Anruf auf Messners Diensthandy verpönt.

Messner hat mit mehreren Kollegen im Frühjahr dieses Jahres das Buch „Wir können alles. Filz, Korruption & Kumpanei im Musterländle“ veröffentlicht. Darin schreibt er unter anderem über die Stadt Aulendorf, der vermutlich bundesweit am höchsten verschuldeten Gemeinde. Außerdem berichtete er in der „Stuttgarter“ in einem Mehrteiler über die „Altpapier-Affäre“: Dokumente des Landtags, teils Ermittlungs-Unterlagen, tauchten wiederholt für alle zugänglich im Müll auf.

Der Bodensee-Korrespondent, der nach eigenen Angaben nur gut 20 Prozent seiner Zeit in langfristige Recherchen wie Kumpanei am Bau stecken kann, ist jedoch grundsätzlich einer der Akten-Journalisten. Messner sagt: „Der wahre Freund des Journalisten ist klein, weiß und heißt DIN A4.“ An belastbare Unterlagen komme er aber nur über Mittelsmänner in Unternehmen und Verwaltungen. Und die gelte es zu pflegen, etwa mit einem Abendessen – abseits des Getümmels natürlich. Weil das nur mit persönlichem Engagement klappe, spricht Messner von einer „Form der Selbstausbeutung“.

Distanzprobleme. Öffentliche Telefonzellen statt Redaktionsapparate, mehrere Telefonkarten für das Mobiltelefon und das Legen falscher Spuren in Verwaltungen und Ermittler-Kreisen: Informantenschutz war auch oberstes Gebot, als mehrere Redakteure der „Thüringer Allgemeinen“ (TA) vor sieben Jahren über die Unterwanderung der NPD mit Spitzeln des Verfassungsschutzes berichteten. Bei der TA haben sie zwar ebenfalls keinen festen Reporter-Pool, ziehen aber wie in Köln von Fall zu Fall einzelne Teams zusammen.

„All das ist kein Spaß“, sagt der stellvertretende Chefredakteur Dirk Löhr. „Vor allem, wenn man bei Strafvollzugsbehörden recherchiert, hat man schnell das Ministerium oder die Staatsanwaltschaft im Nacken.“ Außerdem gelte für sein Blatt: „Das Letzte, was wir als Lokalzeitung verlieren dürfen, ist der Respekt.“ Ein Kuschelkurs mit Behörden oder Ermittlern sei deshalb tabu und das Motto vielmehr „hart, aber fair“. Löhr sagt: „Disziplin führt zum Erfolg.“

Das mit der Kontaktpflege kennen sie alle, die auch jenseits von bundesweiten Schlagzeilen Skandale aufdecken. Axel Spilcker, der damals zum Recherche-Team des „Kölner Stadtanzeigers“ gehörte und anschließend vom „Focus“ abgeworben wurde, berichtet etwa, bei einer später in Köln bearbeiteten örtlichen Spendenaffäre „haben wir mit einem Informanten bis in die Nacht hinein Kölsch trinken müssen, bis wir endlich einige der fingierten Spenden-Quittungen der Kölner CDU sehen und diese auch fotografieren durften“.

Jungmann, der Chef-Reporter in Saarbrücken, erklärt ein anderes verbreitetes Mittel. Er mache sich gerne zunutze, dass fast jeder offizielle Kontakt auch im Privatleben besondere Funktionen hat, der Verwaltungsmitarbeiter also etwa auch Vereinsvorsitzender ist oder sich im Elternbeirat engagiert. „Ich sorge dafür“, sagt Jungmann zur Kontaktpflege, „da
ss über diese Aktivitäten, falls gewünscht, auch etwas bei uns im Blatt steht. Notfalls schreibe ich den Kollegen auch selbst eine Meldung.“

Während Jungmann, dem auch noch in anderen Winkeln der Republik nachgesagt wird, im Saarland schon jeden Stein umgedreht zu haben, sich mit dieser Masche die Tatsache zu Nutze macht, dass im Lokalen im Zweifel jeder jeden kennt, ist gerade das für manch einen das Problem. Braun, der Tölzer Lokalchef, schreibt etwa mit seiner Berichterstattung über Millionen-Defizite beim Bau des örtlichen Dienstleistungszentrums gegen einen Landrat an, der zuletzt gut zwei Drittel aller Stimmen bekam. „Der hat damit auch die Mehrheit meiner Leser hinter sich.“ In der CSU-Hochburg würden sie auf jeden Fehler warten, „den sie uns um die Ohren hauen können“. Deshalb müssten sie umso sorgfältiger recherchieren.

Keine Fehler dürfen sich natürlich auch die Reporter der „Braunschweiger Zeitung“ leisten, wenn sie in Sachen VW recherchieren. Reporter Noske ist sich bewusst: „Unsere Leser arbeiten ja im Zweifel auch für das Unternehmen.“ Im Vergleich mit den vielen überregionalen Titeln, die nach dem „Focus“ in die Berichterstattung um geschmierte Betriebsräte einstiegen, hätten sie aber „von Anfang an einen Heimvorteil ge- habt, nämlich das Grundvertrauen unserer Leser in ihre Zeitung vor Ort“. In der Redaktion hätten deshalb Leute angerufen, die plaudern wollten.

Genauso offen hätten sie die Task-Force-Journalisten aber auch an deren Verantwortung erinnert. „Die Leute sagten, sie könnten sich gleich das Leben nehmen, wenn wir sie enttarnen sollten“, erinnert sich Noske. Telefonate waren deshalb auch in Braunschweig oft tabu. „Die Leute bei VW waren schon misstrauisch“, sagt der Reporter über die Arbeit vor drei Jahren. Mehrfach hätten Informanten von sich aus darum gebeten, sich nicht am Diensttelefon zu unterhalten. „Da haben wir uns natürlich auch nicht im Werk getroffen.“

Trickkiste. Ansonsten greifen die erfolgreichen Lokal-Rechercheure noch auf die ganze restliche Palette an Kniffen zurück, die sich von Fall zu Fall anbieten. Jungmanns digitales Adressbuch spuckt ihm bei Bedarf aus jedem Ort der Region zahlreiche Namen aus. „Das läuft bei mir so“, sagt der Chef-Reporter, „dass ich mich etwa im privaten Umfeld eines wichtigen Gesprächspartners umhöre, bevor ich ihn zum ersten Mal anspreche.“ So habe er einen Gesprächseinstieg parat.

Manche Geschichten Jungmanns sind beim Nachwuchs der „Saarbrücker Zeitung“ längst legendär. So etwa der verstorbene Dackel, über den Jungmann im Umfeld einer früheren Gesprächspartnerin erfuhr, um dann erst einmal sein Beileid auszusprechen – und so subtil Vertrauen aufzubauen.

Viele Rechercheure im Lokalen profitieren zudem davon, sich in ihrer Region über Jahre einen Namen gemacht zu haben. So berichtet nicht nur Simone Wendler, schon seit Jahren vertrauliche Unterlagen wie Sitzungsprotokolle anonym zuge- spielt zu bekommen. Auch Thomas Goßner hat von seinem Ruf profitiert: Der Lokal-Chef der „Friedberger Allgemeinen“ fand einst Kopien von Protokollen von Aufsichtsrat-Sitzun- gen des kommunalen Abfall- verwertungs-Unternehmens im Briefkasten der Redaktion – adressiert an ihn, Absender: unbekannt.

Mit diesen Unterlagen rollte Goßner eine Affäre auf, die es in sich hat: Dem Unternehmen werden Vergehen an der Umwelt, Misswirtschaft und vor allem die Täuschung und Desinformation des Aufsichtsrates vorgeworfen. Goßner: „Ich weiß bis heute nicht, wer hinter den Papieren steckt – aber das ist vielleicht auch gut so.“

Einen ganz anderen Trick hat der Tölzer Joachim Braun auf Lager. Er füttert vor Veröffentlichungen oft die Opposition oder auch CSU-interne Kritiker mit seinen neuen Erkenntnissen. „Die sollen sich an ihrer Ehre gepackt fühlen und der Sache nachgehen“, so Braun. Von den quasi internen Ermittlungen würde er dann wiederum profitieren. In der Bad Tölzer CSU kursiert deshalb der Spruch: „Wir brauchen keine Opposition, wir haben doch den Braun.“

Ähnlich müssen auch andere Lokal-Blätter vorgehen. Denn etwa bei der „Märkischen Allgemeinen“ beobachten sie schon seit einigen Jahren, wie Stadt- und Gemeinderäte „wichtige Sachen immer häufiger in den nicht öffentlichen Sitzungsteil verlegen“, sagt der stellvertretende Chefredakteur Lothar Mahrla. „Was die Berichterstattung natürlich nicht verhindert.“ Die Verwaltung drohte deshalb schon mal damit, die Redaktion à la „Cicero“ anzuzeigen, um so die Preisgabe der Informanten durchzusetzen. „Erst in letzter Minute haben sich die Kommunalpolitiker bislang immer anders entschieden“, berichtet Mahrla.

Nachhaltige Recherchen. Außerdem versucht die „MAZ“, dem Volk nicht nach dem Munde zu schreiben. Auf Recherche verzichtete die Redaktion auch vor zwei Jahren nicht, als zwei Männer vor Gericht standen. Ihnen wurde versuchter Mord an einem Deutsch-Äthiopier vorgeworfen. Während mehrere tausend Bürger gegen die Rechtsextremen demonstrierten, und wie Mahrla sagt, „das Urteil in bestimmten Kreisen schon gefällt war“, recherchierte MAZ-Redakteur Frank Schauka weiter. Das Ergebnis: Anders als etwa von der Bundesanwaltschaft dargestellt, der Mahrla „unseriöse Methoden“ vorwirft, wurde das Gewalt-Opfer nicht schwer verletzt. Die Täter hätten auch nicht „hemmungslos“ auf den Betroffenen eingeschlagen.

Mahrla spricht auch von teils „konspirativem“ Vorgehen in seinem Haus: Akten würden schon mal ausgelagert, nicht in der Redaktion, aber auch nicht zu Hause deponiert. Und geheime Treffpunkte dienten genauso dem Informantenschutz wie das Mehrquellen-Prinzip, um die Belastbarkeit der Veröffentlichungen zu garantieren, wenn Informanten in den Texten verschleiert werden müssten.Letztlich, sagt Mahrla, gehe es um „nachhaltige Recherchen“. Während überregionale Titel, die für eine Geschichte ein- und schnell wieder ausfallen, nicht immer sensibel mit ihren Quellen umgehen würden, könne sich das eine Lokalzeitung nicht leisten. „Wir sind ja auch am nächsten Tag noch da.“ Eines der Erfolgsrezepte sei deshalb auch, schon mal Geschichten zurückzuhalten, um dann bei der nächsten besser versorgt zu werden. Das alles natürlich auf die Gefahr hin, dass ein Konkurrent der schnellen Schlagzeile wegen trotzdem zuschnappt.

Kurz darauf arbeitet man aber ohnhin wieder miteinander: So geht der ehemalige Lokalzeitungs- und heute Magazinredakteur Spilcker bei Themen wie Terrorverdächtige in Deutschland oder Wirtschaftskriminalität auf die Kollegen vor Ort zu. Recherche im Lokalen sei nach wie vor vielerorts zu beobachten. Und die Lokalredakteure kennen sich vor Ort im Zweifel eben besser aus. „Aber“, sagt Spilcker, „manche Zeitungen schöpfen ihr Potenzial bei Weitem nicht aus.“ Er vermutet, das habe bei einigen Blättern sicher auch damit zu tun, dass Redaktionen „zu nahe an lokalen Größen dran sind“. Die genannten Beispiele aber zeigen, wie es auch anders funktionieren kann. Viele Blätter müssen sich nämlich überhaupt nicht hinter den überregionalen Titeln verstecken.

Erschienen in Ausgabe 7/2008 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 18 bis 23 Autor/en: Daniel Bouhs Mitarbeit Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.