Spanien
Unfreiwillige Prominenz
Merten Worthmann, Barcelona
Telma Ortiz ist eine spanische Entwicklungshelferin. Zuletzt war sie auf den Philippinen im Einsatz. Gerade verbringt sie in Toledo mit Mann und Kind den Mutterschutz. Trotz ihres unspektakulären Lebens führt sie parallel einen Prozess gegen 57 Medien, darunter große Verlagshäuser und Fernsehanstalten, um ihnen künftig jegliche Berichterstattung aus ihrer Privatsphäre zu untersagen. In erster Instanz hat sie den Prozess vor Kurzem verloren, da die Richterin sie als eine Person von „öffentlicher Projektion“ ansah. Die- se „Projektion“ wuchs ihr ebenso unwillkürlich wie unfreiwillig 2003 zu, nachdem sich ihre Schwester Letizia mit Spaniens Thronfolger Felipe verbunden hatte. Als Schwester der künftigen Königin wurde Telma Ortiz automatisch prominent und ist seither dauerhaft interessant für Spaniens sehr hartnäckige Boulevardjournalisten. Deren Nachstellungen in Bild und Ton haben selten etwas mit Berichtspflicht zu tun und sind oft erstaunlich unverschämt, weshalb auch viele seriöse Journalisten im Grunde auf Ortiz‘ Seite waren – obwohl ihnen der präventive Maul- bzw. Kamerakorb, für den die Klägerin stritt, eigentlich nicht recht sein konnte. Telma Ortiz ist inzwischen in die zweite Instanz gegangen. Sie hat Caroline von Monacos erfolgreiche Klage gegen die Boulevardpresse vor dem Europäischen Gerichtshof vor Augen. Und sie hatte sich in der ersten Instanz nur mangelhaft vertreten lassen, ohne ihr Klagepotenzial auszuschöpfen. Darauf wies nicht nur die Richterin in der Urteilsbegründung hin, sondern auch die seriöse Presse. Die spanische Regierung bemüht sich derweil um die Ausarbeitung eines „Journalismus-Statuts“, das Rechte und Pflichten der Zunft klarer als bisher regeln soll. Hoffentlich wird das vor allem Menschen wie Telma Ortiz dienen – und weniger dem Abschirmen von Politikern.
Internet: http://www.elpais.com/elpaismedia/ultimahora/media/200805/15/sociedad/20080515elpepusoc_1_Pes_PDF.pdf
Belgien
Flanderns neue Pressepolitik
Alois Berger, Brüssel
Der flämische Innenminister Marino Keulen will Korrespondenten jetzt besser betreuen: Die ausländischen Journalisten in Belgien müssten besser informiert werden, wie es wirklich zugeht im Land. Denn was sie über den flämisch-wallonischen Dauerkonflikt schreiben, meint Keulen, das sei immer nur die Sichtweise der frankophonen Seite. Wenn Korrespondenten beispielsweise behaupten, dass der flämische Innenminister drei gewählten Bürgermeistern aus den Brüsseler Randgemeinden die Ernennung verweigert, weil sie im Gemeinderat auch französische Wortmeldungen zuließen, dann sei das nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit sei, dass der Innenminister gute Gründe und das Recht auf seiner Seite habe. Und der Innenminister hat auch gleich eine Erklärung für die einseitige Berichterstattung: Die meisten Korrespondenten in Brüssel verstünden nur französisch und nicht niederländisch und informierten sich deshalb nur in frankophonen Zeitungen. Und die seien schließlich parteiisch. Deshalb will Keulen jetzt ausländische Korres- pondenten gezielt einladen, um ihnen Flandern zu erklären. Er will sogar einen Sprecher nur für die internationale Presse abstellen. Der darf dann auf Englisch erklären, warum im Gemeinderat von Wezembeek flämisch geredet werden muss, obwohl nur jeder zehnte Wezembeeker Flame ist.
Internet:
http://www.marinokeulen.be
Polen
Immer schön lächeln
Paul Flückiger, Warschau
Alles sollte anders werden – vor allem normal. Und solche persönlichen Briefings für die Auslandpresse wie dieses, gäbe es nun regelmäßig, lächelte Polens frisch gewählter Regierungschef Donald Tusk die versammelten Kollegen an. Und wir alle freuten uns: Endlich keine Kartoffelkriege mehr, endlich keine beleidigten Leberwürste á la Kaczynski, endlich keine Attacken mehr gegen die einheimische und ausländische schreibende Zunft. Und so kam es denn auch. Tusk lächelte hier, Tusk lächelte dort, gab allen polnischen Tageszeitungen Interviews, lächelte in Vilnius, im Vatikan, in Berlin und Moskau und alle waren happy. Endlich! Polen wollte doch zu Europa gehören, Polen hatte also doch normale Politiker, es geht also auch ohne Geschrei. Derweil allerdings stapelten sich bei Tusks Pressesprecherin die Interviewanfragen der Auslandkorrespondenten. Und sie stapelten sich in deren Vorzimmer. So sei eben die Politik des Premiers, hieß es auf Anfrage, Interviews würde er fast keine geben. Man solle doch vielleicht einmal Tusks Kanzleichef anrufen und ihm Bedürfnisse und Funktion der Auslandpresse erklären, hieß es das x-te Mal später. Sie sei ja auch nur eine kleine graue Maus im Staatsapparat, hieß es noch entschuldigend. Tusks Kanzleichef ist seitdem ebenso wenig erreichbar wie sein Chef. Doch immerhin – dieser lächelt zumindest. Und ist eigentlich nie beleidigt, egal, was man schreibt.
Internet: www.tusk.pl
Philippinen
Man spricht deutsch
Hilja Müller, Manila
Ich kann mich noch gut an meine Nervosität erinnern, als ich erstmals einen Senator auf Englisch interviewte. Mein Schulenglisch war zwar nicht schlecht, aber da auf den Philippinen Englisch die zweite Landessprache ist, hatte mir der Senator doch einiges voraus. Galant half er mir über sprachliche Stolpersteine hinweg. Das ist jetzt etwa fünf Jahre her und ich denke längst nicht mehr darüber nach, dass ich alle Recherchen für meine deutschsprachigen Artikel auf Englisch mache. Dennoch war der Auftrag, dem Thema „Germanistik in Asien“ nachzuspüren, eine sehr willkommene Abwechslung. Herrlich, einfach mal wieder alles in der Muttersprache erledigen zu können! Und voller Überraschungen: Da schwäbelt die Leiterin einer hiesigen Sprachfakultät charmant durchs Telefon. Der Deutsch-Professor an der University of the Philippines, der eigentlich ein Anglist ist, entpuppt sich als möglicher Studienkollege an der Goethe-Universität in Frankfurt. Und dann all diese brillant formulierten eMails aus Vietnam, Indien oder Japan. An den Antworten habe ich lange gefeilt. Als Muttersprachlerin will man sich schließlich keine Blöße geben, so wurde der Rechtschreib-Duden zum konstanten Ratgeber. Nun ist der Artikel bald fertig. Schade nur, dass er auf Englisch erscheinen wird, Auftraggeber ist nämlich die Asia Pacific Times.
Internet:
www.asia-pacific-times.com
China
Ungewohnte Offenheit
Ruth Kirchner, Peking
So etwas hatten wir noch nicht erlebt. Die Soldaten am Eingang des Flüchtlingslagers Mianyang wollten nicht einmal unsere Ausweise se- hen. Ein freundliches „Willkommen im Stadion“ und schon waren wir drin. In dem Stadion kampieren immer noch Tausende Menschen – Opfer des schweren Erdbebens in Südwestchina vom 12. Mai. Wir waren angereist, um mit Flüchtlingen über ihre Zukunft, die staatliche Hilfe, den Tod von Angehörigen sprechen. Dass die Überlebenden uns neugierig begrüßen würden, hatten wir erwartet. Nach der Katastrophe haben viele das Bedürfnis zu reden. Aber die Offiziellen? Ausgerechnet in China?
Doch im eigens eingerichteten Pressebüro wurden wir mit offenen Armen empfangen. Es folgten ein Rundgang, Interviews mit Überlebenden (ohne Aufpasser) und ein ungewöhnlich offenes Gespräch mit einem Parteisekretär, der für die Verwaltung des Lagers aus dem Ruhestand geholt worden war. Kein einziges Mal nahm Parteimann Liu den chinesischen Politjargon von der „harmonischen Gesellschaft“ in den Mund. Offen schilderte er die Probleme bei der Versorgung der Menschen. Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus. So einfach kann man selten in China als Korrespondentin arbeiten. Aber die neue Medienfreiheit hat auch ihre Grenzen. Am gleichen Tag, berichtete uns ein Kollege vom britischen „Guardian“, wurden in der Region mehrere Korrespondenten festgehalten oder behindert. Denn mit den aufgebrachten Eltern, deren Kin
der in den Trümmern von billig gebauten Schulgebäuden umgekommen waren, sollte halt doch niemand reden.
Internet: http://www.chinaview.cn/08quake/
Norwegen
Benimmregeln in der Talkshow
Clemens Bomsdorf, Oslo
Auch in Norwegen hat der deutsche Elektronikkonzern Siemens einen Korruptionsskandal. Wie im Heimatland von Siemens ist das auch in Nordeuropa ab und an Medienthema. So in einer der norwegischen Talkshows: Drei Gäste hatte der Talkmaster zu sich geladen. Doch wer Anne Will & Co. vor allem anschaut, weil die Gesprächspartner immer mal wieder so schön ruppig miteinander umgehen und sich ins Wort fallen, der wird die norwegische Talkshow-Variante nicht mögen. Um nämlich in der Diskussion an die Reihe zu kommen und den anderen Gesprächspartnern etwas entgegnen zu können, galt es nicht etwa laut zu schreien oder zu unterbrechen. Stattdessen ging es in der Sendung zu wie in der Grundschule: Per Handzeichen meldeten sich die drei Talkshowgäste brav, wenn sie etwas zu sagen hatten.
Internet: http://e24.no/it/article2447249.ece
Serie
Die Nachrichten rund um den Globus aus verschiedenen Ländern werden regelmäßig in „medium magazin“ veröffentlicht. Die Autoren sind Mitglieder von Weltreporter.net. Homepage: www.weltreporter.net, eMail: cvd@weltreporter.net.
Erschienen in Ausgabe 7/2008 in der Rubrik „Weltreport“ auf Seite 72 bis 73. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.