Im Reich der Zwischentöne

Unter konspirativen Umständen, zusammengepfercht in einem kleinen Zimmer unseres Pekinger Hotels, findet unsere wohl eindrucksvollste Begegnung statt. Wir treffen den Menschenrechtsanwalt Teng Biao. Die Hitze treibt uns Schweißperlen auf die Stirn. Die Klimaanlage muss ausbleiben, weil sonst ein Surren auf den Tonbändern bliebe. Wir fürchten, die Staatssicherheit könne unser Treffen stören, deshalb haben wir uns für das Hotelzimmer statt eines Cafés entschieden. Der 34-jährige Teng hat Erfahrungen mit ausländischen Medien und mit der Staatssicherheit. „Ich habe keine Angst, verhaftet zu werden“, sagte er. „Ich bin darauf vorbereitet.“ Als Intellektueller sei es jedoch seine Pflicht, für die Menschenrechte in China zu kämpfen.

Wenige Tage später verliert Teng Biao seine Anwaltslizenz. Das liegt jedoch nicht an unserem Treffen, sondern an seiner Bereitschaft, Tibeter zu verteidigen, die bei den Unruhen im Frühjahr verhaftet wurden. Von „tagesthemen.de“ bis zur „Financial Times Deutschland“ – unser Interview wird flächendeckend in Deutschland gedruckt. Gute Schlagzeilen gibt das Gespräch reichlich her. Teng nutzte die Gelegenheit, um das Internationale Olympische Komitee und westliche Regierungen zu kritisieren. „Sie üben nicht genügend Druck auf die chinesische Regierung aus“, sagt er.

Bürokratische Hürden. Bei anderen der rund 30 Interviews, die wir in China führen, ist es schwieriger, eine Botschaft herauszufiltern: Vor allem bei Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, bei Greenpeace oder einer Hilfsorganisation für Wanderarbeiter, fallen die Antworten langatmig aus. Wenn es um politische Themen geht, winden sich die Gesprächspartner. Sie bewegen sich in sensiblen Bereichen und müssen, anders als Teng, immer wieder die Behörden um ihre Existenzberechtigung bitten. „Die politische Drohkulisse ist immer vorhanden“, sagt Laurent Martinez von der „Passauer Neuen Presse“. Martinez ist einer von insgesamt 16 Teilnehmern, die vom 21. Mai bis 1. Juni 2008 in den Olympia-Städten Peking und Qingdao, sowie im südlichen Hangzhou der Frage nachgingen, inwiefern das offizielle Motto der Olympischen Spiele zutrifft: „Eine Welt, ein Traum“. Die Reise war von journalists.network ausgeschrieben worden, ein Zusammenschluss junger Journalisten mit Sitz in Berlin. Die Gesprächspartner – Intellektuelle und Künstler, Bauern und Manager – lassen eher unterschiedliche Träume und Sichtweisen erkennen, jedenfalls was wirtschaftliche, harmlose Themen betrifft. Bei politischen Fragen äußern sich die meisten wohlwollend über die Kommunistische Partei (KP).

Hier zwischen den Zeilen zu lesen, ist nicht die einzige Herausforderung auf der Reise. Entgegen dem Versprechen der chinesischen Regierung, zu Olympia die Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten zu erleichtern, mussten wir sogar sehr viel mehr Unterlagen als früher bei der chinesischen Botschaft in Berlin und beim Pekinger Organisationskomitee für Olympia (Bocog) einreichen. Das Bocog verlangte genaue Angaben zu jedem Medium, ein Empfehlungsschreiben der Chefredaktion, Lebensläufe aller Teilnehmer, Buchungsbestätigungen der Hotels und eine Aufführung der Recherchethemen. Dagegen hatten bei vorigen Chinareisen von journalists.network eine Teilnehmerliste und die Einladung einer Institution ausgereicht.

In China selbst konnten wir uns weitgehend frei bewegen. „Es hat mich überrascht, dass ich überall offen drehen durfte“, sagt Gesa Eberl, Reporterin und Moderatorin bei RTL. Anderen geht es ähnlich. „Ich dachte, dass ständig jemand von der Regierung uns begleitet“, sagt Imke Schridde, Reporterin beim Rundfunk BerlinBrandenburg. Nichts dergleichen ist der Fall. Das größte Problem für ausländische – und für einheimische – Journalisten ist nicht die direkte Intervention durch Behörden. Gewaltanwendung, etwa um ein Kamerateam davon abzuhalten, Proteste zu filmen, ist die Ausnahme. Zensur funktioniert viel subtiler und ist damit schwieriger zu erkennen. Journalisten können alle Fragen stellen, sie bekommen auch Antworten. Allerdings fallen diese meist recht einheitlich aus. Niemand kritisiert die Partei direkt. Alle loben den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt, bei dem, na klar, auch ein paar Fehler gemacht werden. Aktivisten wie Teng Biao, der mutig Position gegen das politische System bezieht, sind selten.

Subtile Einflussnahme. „Selbstzensur ist das größte Problem in China“, sagt ein chinesischer Reporter, der für die renommierte Zeitschrift „Nanfang Zhoumo“ („Südliches Wochenende“) arbeitet. Wir treffen ihn und andere Kollegen auf der Dachterrasse einer Pekinger Bar. Er erzählt: Einmal in der Woche schaut ein Funktionär der Propagandaabteilung vorbei und gibt die Index-Themen bekannt. Mal sind es genaue Angaben von Schulen, die bei dem Erdbeben in Sichuan auf Grund schlechter Bausubstanz einstürzten, mal sind es verbotene Kinofilme. Die Vorgaben sind in der Regel nie schriftlich. Wer die rote Linie des Erlaubten überschreitet, droht, seinen Arbeitsplatz zu verlieren oder sogar verurteilt zu werden. Auf diese Weise schafft die Regierung ein Klima der erzwungenen freiwilligen Selbstbeschränkung. Alle helfen, die schöne neue Welt der KP zu konstruieren.

Die Propaganda-Funktionäre machen es einem heute leichter, an die Existenz dieser schönen neuen Welt zu glauben. Noch vor zehn Jahren reagierten Uniformierte in altkommunistischer Manier auf kritische Fragen einfach gar nicht (wenn sie überhaupt Fragen zuließen). Heute sprechen in den USA geschulte PR-Strategen mit charmantem Lächeln zitierfähige Sätze in die Mikrofone. Menschenrechte? „Natürlich gibt es da noch Verbesserungsbedarf“, sagt etwa Sun Weide, Sprecher des Bocog. Der Karrierediplomat, akkurater Seitenscheitel, himmelblaues Hemd, ist ein Paradebeispiel für die schöne neue Welt. Blitzlichter oder Fangfragen beirren ihn nicht. „Natürlich sind Demonstrationen während der Spiele in Peking erlaubt“, sagt er. „Aber vorher bedarf es einer Genehmigung.“ So ist es doch überall, in Deutschland und in China.

Noch Fragen? Ja, haben wir! Vor allem wundert uns, wie sehr sich deutsche Unternehmen der politischen Bitte-keine-Fragen-Kultur in China angepasst haben, die ja – siehe oben – bereits von viel geschickteren PR-Strategien abgelöst wird.

Beim Termin mit Volkswagen China beispielsweise sollen wir uns zunächst eine 25-minütige PowerPoint-Präsentation anschauen. Zeit für Fragen: fünf Minuten. Wenig Begeisterung für heikle Fragen, etwa zur umstrittenen Entwicklungszusammenarbeit zwischen Deutschland und China, zeigt auch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Die Leitung verliert sich lieber in den Details der laufenden Projekte, als politische Aussagen zu machen. Kein Wunder, dass Elke Pickartz, freie Wirtschaftsjournalistin, da wie die anderen Reiseteilnehmer den Eindruck gewinnt: „Bei deutschen Unternehmen herrscht offenbar eine größere Angst, etwas Falsches zu sagen, als bei den Chinesen selbst.“ Während sich China – zumindest formal – westlichen Standards im Umgang mit der Presse anpasst, nehmen ausländische Unternehmen vor Ort landestypische Gewohnheiten an. Wandel durch Handel nennt man das, unter verkehrtem Vorzeichen.

Erschienen in Ausgabe 7/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 70 bis 71 Autor/en: Kirstin Wenk. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.