Holger Schmale von der „Berliner Zeitung“ ist so einer, der das Bild vom Hauptstadtjournalisten auf Anhieb gerade rückt: kollegial, fair, unprätentiös – das Gegenteil eines Journalisten vom Typ „Wichtigtuer“. Oder Gunter Hofmann, Chef-Korrespondent und langjähriger Hauptstadtbüroleiter der „Zeit“, der unaufgeregt und hämefrei auch Anekdoten über den einen oder anderen Spitzenpolitiker erzählen kann. Aber auch Berlins Senatssprecher Richard Meng, SPD-Fraktionssprecher Lars Kühn oder Tissy Bruns vom „Tagesspiegel“ gäben sicherlich feine Kollegen ab, von denen sich noch einiges über das geheimnis- umwitterte Verhältnis von Medien und Politik lernen ließe – wenn man zur „Kommunikationsblase“ Berlin gehören würde. Wenn.
33 Interviews für unsere Studie liegen hinter uns – das heißt: 33 von langer Hand geplante Gespräche, die im Schnitt ein- bis eineinhalb Stunden dauerten, und in denen wir den Mängeln und Widrigkeiten im Hauptstadtjournalismus auf den Grund gingen. Niemandem, selbst Vertretern der Kommunikationswissenschaft nicht, die Journalisten gelegentlich – und zu Recht – als praxisfern und blutleer brandmarken, wird normalerweise ein solcher Blick hinter die Kulissen des emsigen Medientreibens gewährt. Hinter das subtile Räderwerk eines mächtigen Antriebssystems, das den politischen Apparat erst so richtig auf Touren bringt, auch wenn das wohl kein Politiker jemals so deutlich zugeben würde.
Wir hatten also die Gelegenheit, uns im Auftrag des Netzwerks Recherche ins Feld der aktiven Politikberichterstattung zu stürzen, das heißt: Wir haben 28 Redaktionsstuben von innen gesehen – darunter luxuriöse 80-Quadratmeter-Salons wie auch nackte Bürowaben, kaum größer als ein japanisches Hotelzimmer. Wir waren in etlichen Redaktionen zu Gast, in Fraktionen, Bundesministerien und im Kanzleramt, und durften das Arbeitsumfeld unseres Gegenübers genauer erforschen. In allen Gesprächen ging es darum, mehr über die Leitmedien und Recherchebesonderheiten Ber- lins, die politische Kommunikation und das Selbstverständnis der Hauptstadtjournalisten zu erfahren, über das bisher vor allem vage Vermutungen statt empirischer Wahrheiten existieren.
Exklusiver Zugang. Erstmals erhielten Forscher wie wir Einlass in die Hauptstadtbüros der Leitmedien und damit Einblick in sehr unterschiedliche Redaktionskulturen: Nico Fried empfängt uns in der Französischen Strasse 47, im komfortablen Hauptstadtbüro der „Süddeutschen Zeitung“ im dritten Stock direkt über dem Restaurant „Borchardt“, Treffpunkt vieler Prominenter aus Politik, Medien und Showbiz. Fast erschlagen hätte uns die gediegene „FAZ“-Repräsentanz mit Gemälden von Adenauer und Erhard an den Wänden – eine Oase unweit der pulsierenden Friedrichstraße. Auch die Büros von Ulrich Deppendorf (ARD) und Peter Frey (ZDF) kommen – ganz öffentlich-rechtlich – eher geräumig daher.
Dagegen entspricht das professionelle Gewusel in den vollklimatisierten Newsrooms der Agenturen Reuters, AP und dpa eher dem Eindruck des akuten Geschwindigkeitsrausches, in dem sich der Hauptstadtjournalismus derzeit befindet. Weitaus beengter müssen dagegen Regionalkorrespondenten wie Thomas Wittke („Bonner General-Anzeiger“) und Dieter Wonka („Leipziger Volkszeitung“) in ihren Schuhkarton-gro- ßen Zimmernim Haus der Bundespressekonferenz (BPK) klarkommen. Einige wenige Gespräche wurden auf neut- ralem Boden geführt, der aber so neutral gar nicht war: Mit Medienberater Michael Spreng, „Stern“-Redakteur Jens König, damals noch bei der „taz“, und Tissy Bruns trafen wir uns im legendären „Café Einstein unter den Linden“, der edlen „Kantine“ des Politikbetriebs.
Anderswo, in einem eher charakterlosen Neubau unweit des Gebäudes der Bundespressekonferenz, wurde bei unserem Besuch handfest mit Schlagbohrmaschine an den räumlichen Synergieeffekten zwischen „Frankfurter Rundschau“ und „Kölner Stadtanzeiger“ gewerkelt. Ein ganz anderes Bild bot das Privatbüro des „Bild“- und „Bunte“-Kolumnisten Mainhardt Graf von Nayhauß-Commons über dem bekannten Restaurant „Dressler“, auf dessen unscheinbarer Couch schon so mancher Promi zum exklusiven Face-to-Face-Interview Platz genommen hat. Das Sofa dient dem 81-jährigen Veteran übrigens auch zum Übernachten. So schwankte die Gesprächsatmosphäre häufig zwischen Eiseskälte wie beim Gespräch mit dem Lobbyisten (und Ex-„Spiegel“-Redakteur) Jürgen Hogrefe vom Energieriesen EnBW und Behaglichkeit wie im Interview mit Gerhard Hofmann, dem ehemaligen Chefreporter von RTL/n-tv, inmitten afrikanischer Kunst auf Leopardenfellsesseln in dessen Wohnung in Berlin-Wilmersdorf.
Turbotempo. Alle Berichterstatter sahen sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert: Regionalkorrespondenten klagen über Diskriminierungen, Vertreter der tonangebenden Leitmedien über den Geschwindigkeitsrausch. Während den einen die erforderliche Durchschlagskraft fehlt, um Eindruck auf Politiker zu machen, nützen den anderen selbst hohe Auflagen und prominente Sendeplätze nichts, um der Kanzlerin ein Statement abzuringen; denn Angela Merkel setzt immer häufiger auf Video-Podcasts, statt sich den Fragen von Journalisten zu stellen. Was überdies zu kurz kommt, das wurde in allen Gesprächen betont, ist die Selbstreflexion der Akteure und die Kritik an der eigenen Branche. Auch die vergangenes Jahr so zahlreich erschienenen Bücher (s. a. mm-Titel 11/2007), die auf Missstände im Hauptstadtjournalismus aufmerksam machten, haben daran wenig geändert: Allzu häufig landeten die Bände mit der Bemerkung, das sei alles richtig und wichtig und bekannt, ungelesen in den Regalen der Betroffenen. Der Beschleunigungs- und Konkurrenzdruck im elektronisch dominierten Alltagsgeschäft wurde von vielen Befragten hervorgehoben: Man befinde sich in einem Hamsterrad, aus dem auszubrechen kaum möglich sei. Folglich sind investigative Recherchen, engagierte wie unabhängige Kontrollen politischer Prozesse und Sachthemen nach Meinung der Beteiligten immer seltener zu leisten.
Gleichzeitig ist das Verhältnis zwischen Medien und Politik von einer starken Ambivalenz gekennzeichnet: Während sich auf Branchen-Events, in Hintergrundkreisen und in der Bundestagskantine eifrig geduzt wird, rücken immer häufiger Tabu-Themen ins Rampenlicht, da sich selbst renommierte Qualitätsblätter nicht gegen das forsche Agenda Setting des Boulevards wehren können, sondern mitschwimmen müssen im Strom politisch entbehrlicher Themen wie Seitensprünge und sexuelle Neigungen von Spitzenpolitikern. Das professionelle Vertrauensverhältnis von Journalisten und Politikern ist zunehmend zerrüttet und kaum noch reparabel. Kein Wunder also, dass sich die Politik immer bedeckter gibt, wenn sie sich erklären sollen. Matthias Machnig, einst Wahlkampfmanager der SPD-Kampa und schon länger Staatssekretär im Bundesumweltministerium, hielt es nicht für nötig, nach mehrmaligen Interviewanfragen persönlich abzusagen. CDU-Sprecher Uwe Barner überraschte mit der Aussage, er gebe grundsätzlich keine Interviews. Nur Matthias Graf von Kielmansegg, Leiter des Planungsstabes im Kanzleramt, bat dagegen höflich um Verständnis, dass es nicht zu seinen Aufgaben gehöre, die Politik der Bundesregierung zu interpretieren. Vielerorts Misstrauen und ein gewisses Unbehagen, sich in die Karten schauen zu lassen, auch beim „Spiegel“: Autor Matthias Geyer und das neue Chefredakteursgespann, Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron, sagten höflich, aber bestimmt, ab.
Ambivalente Autorisierung. Noch eines mussten wir zu unserer Verwunderung feststellten: Zwar regen sich die Hauptstadtjournalisten in den Interviews immer wieder über die Autorisierungspraxis bei Politiker-Interviews auf und sehen ihre Unabhängigkeit durch ein „Zuckerbrot- und-Peitsche-Prinzip“, das Politiker sie gerne spüren lassen, untergraben. Andererseits machten gerade die Journalisten von der Autorisierung im Nachhinein regen Gebrauch: Im Rahmen der Studie bestanden ausnahmslos alle Befragten auf eine Absegnung der Gespräche und spielte
n sogar mit dem Gedanken, ihre Interviews wieder zurückzuziehen, weil sie nicht mehr zu den Äußerungen stehen wollten. Büroleitern wie Brigitte Fehrle von der „Zeit“ und Thomas Kröter von der „Frankfurter Rundschau“ war dieser Rückzug aber schließlich doch offenbar so peinlich, dass sie nach mehrmaliger Aufforderung ein stark entschlacktes Interview freigaben.
Erschienen in Ausgabe 7/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 60 bis 62 Autor/en: Stephan Weichert und Leif Kramp. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.