Werbefreie Zone?

Mathias Döpfner hat seinen eigenen Kopf. Mitte Juni ließ er das seine Wettbewerber wieder einmal spüren. Gerade verfielen die Verleger in Feierlaune, weil die Ministerpräsidenten einen Kompromiss zum Stopp der geächteten Online-Expansion von ARD und ZDF gefunden hatten (siehe Kasten), da meldete sich der smarte Springer-Chef zu Wort. Es sei „lebensfremd“, ätzte Döpfner im „Spiegel“, „wenn man eine neu entstehende multimediale Welt durch Überwachungsgremien und Abmahnungen regulieren will.“ Stattdessen forderte er grünes Licht für den Web-Eifer der Öffentlich-Rechtlichen – bei völligem Verzicht auf Werbung und Sponsoring auf allen Kanälen.

So manchem deutschen Printmanager dämmert inzwischen: Der Vorstandsvorsitzende des „Bild“-Konzerns hat recht. Die zeitfressende Lobbyarbeit des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) bei den Ministerpräsidenten, das Gezerre um Feinheiten und Formulierungen für den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, hat zwar die digitale Ausbreitung der Öffentlich-Rechtlichen fürs Erste gedrosselt, die eigentlichen Probleme der Verlagsmanager aber nicht gelöst: Weder wächst dadurch der Deutschen Lust an der Tageszeitung noch steigen die Werbeumsätze der Verlage.

Und schon lange wechselt kein einziger junger Mensch zum Portal seiner Regionalzeitung, nur weil ARD.de und ZDF.de abgespeckt werden.

Die Generation Online tickt völlig anders. Zwar konsumiert sie überwiegend Internet-Angebote wie Fernsehen, wie die neueste JIM-Studie vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest belegt; doch bereits 25 Prozent, vor allem die 14- bis 17-Jährigen, sind aktiv am Web 2.0 beteiligt – Tendenz steigend. Sie produzieren mehrmals pro Woche ihr eigenes Medium, ihre eigene „digitale Zeitung“, laden Bilder, Videos, Musikdateien hoch oder schreiben Beiträge in Blogs und Newsgroups. Den Rest der Freizeit tummeln sie sich in Communities. Von all dem werbefinanzierten Up- und Downloaden, Messengen, Chatten und Skypen profitieren in der Regel nicht die Zeitungsverleger (auch nicht ARD und ZDF), sondern amerikanische Konzerne. In den USA flossen vergangenes Jahr 40 Prozent aller Online-Werbeausgaben der Suchmaschine Google zu.

Wie die Generation Online denkt und agiert, konnte die Zeitungszunft im Juni beim Kölner Printgipfel des Medienforums NRW erfahren. Auf dem Podium saß Lars Hinrichs, 31 Jahre, Gründer der Web-Kontaktbörse Xing, das mit 420.000 zahlenden Mitgliedern mehr Abonnenten hat als „Stern“ oder „Spiegel“. Hinrichs erzählte, dass er seit 1989 online sei und eine Zeitung nur in die Hand nehme, wenn er sie kostenlos im Flugzeug bekomme. Morgens ein Blick in die wichtigsten Blogs und in „Spiegel online“ – das reiche ihm. Welche Tipps er Verlegern geben könne, damit ihre Online-Zeitungen erfolgreich würden, wollte der Moderator wissen. Hinrichs schaute verblüfft: „Ich denke, keine.“

Lag ZDF-Intendant Markus Schächter vielleicht doch nicht so falsch, als er die Verleger mahnte: „Bewachen Sie nicht die falsche Tür! Der Wettbewerb gegen die Qualitätsmedien wird in Zukunft erheblich stärker sein als der Wettbewerb zwischen den Qualitätsmedien im Netz“?

Hinter den Kulissen beginnt die Front zwischen den Zeitungsunternehmen und den Öffentlich-Rechtlichen bereits zu bröckeln. Privatunternehmer gehen vorsichtig auf Kuschelkurs zu den Intendanten. Seit Mitte Juni kauft die mächtige WAZ-Gruppe Regionalbeiträge vom WDR und veröffentlicht sie auf ihrer Website DerWesten.de. Preis: Angeblich 900 Euro pro Tag für zehn Beiträge. „WAZ“-Chefredakteur Ulrich Reitz sieht darin die logische Konsequenz der medialen Entwicklung: „Jeder Verlag muss sich in der Lokalredaktion Bewegtbildkompetenz aneignen. Da führt kein Weg dran vorbei.“ Für WDR-Chefin Monika Piel ist die Kooperation „ein ganz normales Verwertungsgeschäft“: Sie sei inzwischen mit fünf weiteren Verlegern im Gespräch.

Ähnliche Verhandlungen laufen derzeit offenbar auch zwischen der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“ (HNA) und dem Hessischen Rundfunk (s. a. Seite 28f.). Mit wem auch sonst? Nirgendwo gibt es eine ähnliche Auswahl an professionellen Video-Lokalberichten wie in den Länderredaktionen von ARD und ZDF. „HNA“-Verleger Dirk Ippen, ein Mann mit viel Gespür für gute Geschäfte, setzte bisher bei seinen Blättern wie „Münchner Merkur“ eher auf Eigenproduktionen der Lokaljournalisten. Beobachter bezweifeln allerdings, dass der Weg über Laienkameraleute auf Dauer den wachsenden Qualitätsstandards im Web standhalten kann.

Horst Pirker, Präsident der global tätigen Zeitungsorganisation IFRA und Chef des österreichischen Medienhauses Styria Media AG („Die Presse“), das sich selbst längst „Content Company“ nennt, warnt davor, einem blinden Online-Aktivismus anheim zu fallen. Und auf keinen Fall solle man die Jugend als potenzielle Kundschaft der gedruckten Blätter aufgeben: „Ich empfehle den Verlegern, sich so um die Zeitungen zu kümmern, als gäbe es die digitale Welt nicht, und so um die digitale Welt, als hätten die Zeitungen keine Zukunft.“ Es gehe darum, sich neuen Erlösmodellen für Zeitungen zu öffnen und dem Medienverhalten der nachwachsenden Generation, die gute Information zum Nulltarif gewohnt ist, Rechnung zu tragen. Pirker schreibt der Zeitung drei Leben zu: Erstens als Kaufzeitung – eine „überreife“ Spezies. Zweitens als Hybridmodell wie die Schweizer Tageszeitungen „Le Matin“ (kostenpflichtig) und „Le Matin bleu“ (kostenlos, für Jugendliche). Drittens als werbefinanzierte Gratiszeitung wie der „San Francisco Examiner“, 1865 gegründet und seit 2003 umsonst.

Grund für Zuversicht. „1995 hat Bill Gates gesagt: Die Zeitung ist im Jahr 2000 tot“, sagt Pirker. „Ich wette, Gates stirbt eher als die Zeitung.“ Tatsächlich ist Zuversicht angesagt. Denn während in Gates Heimatland USA nur noch 19 Prozent der 18- bis 34-Jährigen ab und zu zur Zeitung greifen, sind es in Deutschland über 50 Prozent. Erstmals seit Jahren weist diese Altersgruppe sogar wieder leichte Zuwächse auf. Ein Grund: Die deutschen Verlagshäuser haben in den vergangenen 15 Jahren laut BDZV weit über 100 eigene redaktionelle Print-Angebote für junge Leser entwickelt – in den USA stürzten sich die Verlage dagegen mit größter Verve aufs Web.

Pirkers Prognose stützt die Thesen des Springer-Chefs Döpfner. Würden ARD und ZDF auf die rund eine halbe Milliarde Euro Werbeeinnahmen verzichten, könnte dieses Geld zumindest teilweise den Printmedien zukommen. Und damit wäre das zweite und dritte Leben der Zeitungen ein gutes Stück sicherer – egal, was die Öffentlich-Rechtlichen im Internet veranstalten. Die Frage ist nur, wie geschlossen die Verleger und die Befürworter der Döpfner-These diesmal auftreten werden.

Linktipps:

Die JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest ist abrufbar unter: www.mpfs.de/index.php?id=110

Infos zum Kölner Printgipfel des Medienforums NRW: www.medienforum.nrw.de/de/kongress/programm.htm

Erschienen in Ausgabe 7/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 27 Autor/en: Rolf-Herbert Peters. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.