Bewegte Experimente

Kaum einer verdient damit schon Geld, aber alle machen es: Videos sind der Trend im Internet. Jetzt schon möglichst viele Nutzer gewinnen, auf dass irgendwann auch die Werbeindustrie mehr Gefallen an Bewegtem im Netz findet. Während zumindest bei Fernsehmachern Einigkeit über ein Mindestmaß an technischer Qualität ihrer Filme herrscht, ist im Netz alles möglich: Von Hochglanzproduktionen bis zum verwackelten Handyvideo ist alles dabei. Doch welche Strategie steckt dahinter? Gilt es, das Fernsehen zu kopieren? Oder gelten für Videos im Netz eigene Gesetze?

„User verzeihen kleine technische Mängel im Netz eher als im Fernsehen“, meint Jochen Wegner, Chefredakteur von „Focus Online“. Dennoch warnt er vor amateurhaften Experimenten: „Profi-Qualität ist zwingend – als journalistisches Medium können wir keine, YouTube‘-Ästhetik bieten“.

Profi-Ansprüche. Ähnlich sieht das „Spiegel Online“, die sich an Fernsehen- Produktionen orientieren. „Wir glauben, dass man nicht hinter bestimmte optische, technische und vor allem journalistische Standards zurückfallen sollte“, sagt Matthias Ziemann. Er ist geschäftsführender, leitender Redakteur bei „Spiegel TV“ – das Unternehmen beliefert die Schwesterfirma mit Bewegtbild, wobei Ziemann dieses Wort nicht gerne hört. „Ich finde das Wort Bewegtbild nicht so glücklich – das verwischt den Unterschied zwischen professionell hergestellten Inhalten und all dem, was Amateure ins Netz bringen „, betont er.

Konkret bedeutet das: Die Webvideos für „Spiegel Online“ drehen keine Videojournalisten (VJs) im Alleingang. Gedreht wird mit Reporter, Kameramann und Assistent. Oder es sind zwei Reporter gemeinsam unterwegs, von denen einer die Kamera bedient. „Wir gehen davon aus, dass wir eine gewisse technische Qualität liefern müssen. Ob der Nutzer das auch wirklich erwartet, ist eine andere Frage“, erklärt der Redakteur. Von Printjournalisten, die unterwegs ihr Video-Handy zücken, hält er überhaupt nichts.

Ganz anders ist das bei „Bild“. Hier wurden die Redaktionen mit dem Kamerahandy N95 von Nokia ausgestattet. Chefredakteur Kai Diekmann erwartet von seinen Redakteuren, dass sie von Terminen möglichst auch bewegte Bilder für „Bild.de“ mitbringen (s. a. Interview S. 32 ff). Für Volontäre steht an der „Axel Springer Akademie“ dementsprechend „Handy Reporting“ auf dem Ausbildungsplan. Am Anfang experimentierte „Bild“ mit einer moderierten Sendung. „Bild live“ war ein Promimagazin, zwei Mal am Tag produziert. Hohe Kosten, wenige Zuschauer – so lässt sich dieses Experiment zusammenfassen. Seitdem ist sich Kai Diekmann sicher, dass ein Format im Internet nicht moderiert werden muss.

Bei „Spiegel Online“ sieht man das anders. Fünf Mal am Tag gibt es eine von Moderatorinnen präsentierte Nachrichtensendung – prominent platziert auf der Startseite. Über ein Nachrichtenformat hatte auch Katharina Borchert, Online-Chefredakteurin der WAZ, nachgedacht. Letztlich sprachen einige Gründe dagegen. Das große Verbreitungsgebiet der WAZ hätte ein sehr großes Team an Videojournalisten erfordert. Kurze Einspieler wären somit nur teuer selbst zu produzieren gewesen. Außerdem seien Nachrichtenvideos nur für sehr kurze Zeit interessant, sodass keine Chance bestehe, genug Zuschauer zu erreichen, um das Video mit Werbung refinanzieren zu können. Letztlich gab es auch niemanden aus dem Team des WAZ-Portals „DerWesten“, der aus dem Stand in der Lage gewesen wäre, so zu moderieren wie ein Fernsehprofi. „Warum also ein Fernsehformat kopieren, an das Nutzer einen Anspruch haben, den wir aber gar nicht erfüllen können?“ fragt Borchert.

Eigene Formate. Stattdessen setzen die Essener neben Videos aus ihrer Kooperation mit dem WDR auf Eigenproduktionen der VJs der Online-Redaktion und auf Stücke, die von Printredakteuren in fünf Pilot-Lokalredaktionen produziert werden. Magazinbeiträge zu Themen, die längere Zeit interessant sind. Meist werden diese Filme aber nicht von einem Off-Sprecher vertont, sondern der Film lebt stattdessen nur von den O-Tönen der entsprechenden Protagonisten – oder aber von Musik. Das verkürzt die Produktionszeit, und kein Redakteur muss sich als ungeübter Sprecher versuchen.

„Video im Web ist nicht einfach billiger gedrehtes Fernsehen, das kann nicht funktionieren“, ist sich Katharina Borchert sicher. Fürs Web seien eigene Formate nötig. Und da wünscht sich die Online-Chefredakteurin mehr Mut in den Verlagen. Ein eigenes Format ist seit Mitte August „Lost in Deutschland“. Hier erforscht ein Brite in jeder Folge die Eigenheiten der Deutschen – exklusiv produziert von Mario Sixtus‘ Firma „Blinkenlichten“ für „DerWesten“.

Vor ihrer WAZ-Zeit hat Katharina Borchert selbst Erfahrungen mit kreativen Videos gesammelt. Ihr Interview als Bloggerin Lyssa mit Angela Merkel 2006 gehört immer noch zu den meistgesehenen Videos auf der Plattform „Sevenload“. Geschäftsführer und Gründer Ibrahim Evsan freut sich über solche Videos. „Bei schlechter Qualität schaltet nämlich kein Werbekunde Spots davor“, sagt er. Verwackeltes ohne nennenswerten Inhalt, was auf Videoplattformen häufig zu finden ist, sei nicht zu vermarkten. Evsan rät Journalisten, zu ihren Themengebieten Videos zu produzieren und diese dann bei einer Plattform wie „Sevenload“ hochzuladen. Als PR in eigener Sache und mögliche Einnahmequelle, wenn die Plattformen wie „YouTube“ in den USA beginnen, die Produzenten der Videos an den Werbeeinnahmen zu beteiligen.

Was die Länge der Videos im Internet angeht, gibt es seiner Ansicht nach keine universelle Regel. „Wenn es spannend ist, dann ist die Länge egal“, ist sich Evsan sicher. Wobei er dazu rät, längere Videos in kürzere Einzelclips zu teilen – auch mit dem Hintergedanken, dass sich vor jeden Einzelclip ein Werbespot schalten lässt.

Modell Moderation. Auch Ralf Klassen, Leiter der Abteilung „Digital TV“ bei „stern.de“, hat nichts gegen längere Videos im Internet. Seit Ende 2007 wird auf der Seite verstärkt Bewegtbild angeboten. Neben Einzelclips gibt es aber auch ein moderiertes Kinomagazin oder die Video-Kolumne „Was guckt Kühn?“, in der „Stern“-Redakteur Alexander Kühn Tipps zum abendlichen Fernsehprogramm gibt. „Beim Web-TV bekommen auch Leute vor der Kamera eine Chance, die es im klassischen Fernsehen nicht vor die Kamera schaffen würden“, sagt Klassen.

Auch Jochen Wegner hat bei „Focus Online“ sehr gute Erfahrungen mit Redakteuren vor der Kamera gemacht: „Die User lieben Formate wie den Autotest, Klickdown‘ oder, Mattings Warentest‘, die Redakteure ohne TV-Attitüde, dafür mit immensem Fachwissen selbst präsentieren“. Eine Chance also für Journalisten, ihre Sachkompetenz auch in Videos zu beweisen. Oder wie Harald Martenstein oder Matthias Matussek über Videoblogs zu Online-Stars zu avancieren.

Auch Ralf Klassen plädiert für Videos in fernsehähnlicher Qualität. Auch um die eigene Marke nicht zu beschädigen: „Der, Stern‘ muss auch im Netz gut aussehen“, betont der Redaktionsleiter. Nur in seltenen Fällen schlage der Inhalt die Form. So zum Beispiel, als ein Redakteur ein Interview mit dem Dalai Lama drehen konnte. Mit einer günstigen Consumerkamera. „Ein wackliges Bild oder einen nicht ganz perfekten Ton verzeiht man bei so etwas“, glaubt Klassen. Zwar gibt es auf „stern.de“ eine eigene Rubrik „Web-TV“, Ralf Klassen legt aber Wert darauf, dass die Videos nicht nur in der separaten Rubrik, sondern auch als Ergänzung neben dem entsprechenden Text und den dazugehörigen Bildern stehen. Das sehen auch Kai Diekmann und Katharina Borchert ähnlich.

Wenn man sich auf Internetseiten umschaut, sieht man, dass das jedoch noch nicht immer gelingt: Teilweise gibt es im Video die gleichen Informationen wie daneben im Text. Unnötige Redundanz! Und so wartet im Netz die nächste Herausforderung auf die Anbieter: Nicht einfach nur Filme bereitzustellen, sondern die bewegten Bildern sinnvoll mit allen anderen Inhalten zu verknüpfen. Wenn das gelingt, dann zweifelt niemand mehr daran, dass das Internet dem Fernsehen in vielen Pu
nkten weit überlegen ist.

Erschienen in Ausgabe 9/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 30 bis 31 Autor/en: Matthias Morr. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.