Querdenker gesucht

Was erwarten jungen Journalisten von ihrem Beruf � welche Chancen und Defizite sehen sie? Dazu hat „medium magazin“ drei junge Kollegen und einen Chefredakteur, der viel mit jungen Autoren arbeitet, zu einer Roundtable-Diskussion gebeten: Die freie TV- und Buchautorin Julia Friedrichs, Zeitungsvolont�rin Tina Groll, Ex-„Spiegel“-Redakteur Dominik Cziesche (derzeit Student in Hardvard) und „Neon-„Chefredakteur Timm Klotzek. Gleich zu Beginn steht in der Gespr�chsrunde eine Sorge im Mittelpunkt: Machen sich die Medien ihr Gesch�ft nicht selbst kaputt? Timm Klotzek meint etwa: „Immer mehr Menschen werden „was mit Medien“ machen. Wenn wir aber so weitermachen wie die Generation vor uns, dann haben wir irgendwann nur noch die H�lfte der Auflage und ein Viertel des Geldes.“ Dann, mahnt er, gehe es den Medien an den Kragen.

Wo besteht Handlungsbedarf? Die Strukturen in den Redaktionen, die nicht nur jungen Journalisten wenig Spielraum zum Querdenken und Entwicklungspotenzial lassen, war schnell eines des Hauptkritikpunkte in der Runde.

Dominik Cziesche beispielsweise sieht einen Aufholbedarf der Medienbranche bei professioneller Personalf�hrung. Zum einen erfolge die Rekrutierung nach wie vor oft zuf�llig, mit zu unscharfem Blick f�r die Notwendigkeit verschiedener Profile, die heute f�r erfolgreiche Medienprodukte notwendig seien. Zum anderen gebe es auch Defizite bei der Mitarbeiterentwicklung: Gute Leute verlangten von ihrem Beruf die M�glichkeit, permament dazuzulernen, etwa durch Weiterbildungen, regelm��ige Feedback-Gespr�che oder Auslandsaufenthalte � etliche Branchen seien da schon weiter. „Es geht nicht darum, mit ihren Spitzengeh�ltern mitzuhalten, sondern um die Chance, weiter zu wachsen.“

Julia Friedrichs, die im Fr�hjahr mit ihrem Buch „Gestatten, Elite“ Furore gemacht hat, reibt sich an Cziesches Forderung nach einer gezielteren Nachwuchsrekrutierung, um die Besten der Besten in die Branche zu holen. Wichtiger findet sie, dass junge Journalisten schon fr�h besser gef�rdert w�rden: „Mir hat viel geholfen, dass mir in meinen ersten Stationen �ltere Kollegen nicht nur gezeigt haben wie es funktioniert, sondern mir auch etwas zugetraut haben.“

Die Forderung nach „besseren Entwicklungsperspektiven“ teilt sie jedoch mit Cziesche. Aus eigener Erfahrung: Nach ihrem Volontariat hat sie sich bewusst gegen eine Festanstellung entschieden. Denn beim Fernsehen bedeutet Redakteurst�tigkeit vorwiegend Programmplanung und Schreibtischarbeit, w�hrend meist freie Mitarbeiter die Beitr�ge und Filme produzieren. F�r viele Verantwortliche sei der Status des Freien jedoch leider nur ein Provisorium, das man durchleidet, bis man irgendwann Redakteursweihen erlangt. „Das finde ich eine falsche Gewichtung.“

Tina Groll, als Volont�rin einer Lokalzeitung nicht verw�hnt von aufwendigen Produktions- und Rechercheetats wie beim „Spiegel“ oder WDR, f�nde es schon „toll, wenn wir �fter Tagungen und Kurse besuchten k�nnten. Denn f�r Aus- und Weiterbildung werde zu wenig getan in der Medienbranche. Dazu nennt sie einen weiteren Kritikpunkt: „Das System stellt schon heute in der Ausbildung die Weichen zu Arbeitstieren, nicht zu Querdenkern.“

Das sieht Timm Klotzek als Chefredakteur in seiner Arbeit mit vielen jungen Autoren best�tigt. Er beklagt einen mangelnden Mumm: „Viele sind zu stromlinienf�rmig“, berichtet der Co-Chef von „Neon“ von t�glichen Themenangeboten, die sich viel zu sehr an vorangegangenen Heften orientierten. „Ich w�re echt dankbar, wenn jemand zu mir kommen und f�r seine eigenst�ndige Idee k�mpfen w�rde“. „Neon“ hat jetzt f�nf Recherche-Stipendien ausgeschrieben, jeweils mit 10.000 Euro dotiert � f�r Klotzek ein Versuch, mehr Mut zu ungew�hnlichen Wegen zu f�rdern.

Was macht guten Journalismus aus? „Schneller, tiefer, leidenschaftlicher, ber�hrender, �berraschender muss all das werden, was wir anbieten, “ nennt Timm Klotzek als Kriterien. „Sich plagen wollen f�r einen guten Text“, meint Tina Groll, und „nat�rlich Recherche! Die muss erst gelernt werden, und zwar von der Pieke auf � und nat�rlich bezahlt. Doch was n�tzt all die Recherche, wenn das kritische, eigenst�ndige Denken fehlt? Die Frage, warum jemand Journalist werden m�chte, sollte noch viel dringender gestellt werden“, fordert sie.

Ohne so etwas wie Haltung, betont wiederum Dominik Cziesche, bleibe Journalismus blutleer: „Haltung ist wichtig, weil sie ein Medium unterscheidet, weil die Leute das Interesse an Politik verlieren, wenn Politik nicht eine leidenschaftliche Auseinandersetzung ist � eine vorget�uschte, erzwungene Neutralit�t kann schnell langweilig werden; und Haltung macht uns auch glaubw�rdiger. Mir ist ein Journalist lieber, der sich der Brille, die er aufhat, bewusst ist, und dies transparent macht, als einer, der auf seine Inhalte einen objektiven Wahrheitsanspruch erhebt.“

Haltung, das ist ihm wichtig, sei aber nicht zu verwechseln mit Ideologie, denn ein Ideologe stelle sich nicht infrage. Sich und seine Arbeit zu hinterfragen, sei heute aber wichtiger denn je: „Wir Journalisten werden k�nftig offener mit unseren Defiziten umgehen m�ssen, um glaubw�rdig zu bleiben. Das Modell des allwissenden Journalisten wird es immer seltener geben“.

Friedrichs w�nscht sich dar�berhinaus einen ernsthaften, relevanten und unterhaltsamen Journalismus. Was sie darunter versteht?, „Der gr��te Fehler, den wir machen k�nnen, ist Relevanz und ernsthafte Geschichten mit Unattraktivit�t gleichzusetzen“, pr�zisiert die Autorin, die sich nicht nur mit dem Elite-Nachwuchs, sondern viel mit den Schw�chsten unserer Gesellschaft besch�ftigt. Deshalb m�sse man auch in harten, schwierigen Geschichten Mut zu Situationskomik zeigen und es zulassen, dass der Zuschauer mal lachen kann. Wichtig f�r Friedrichs: „Dabei darf nat�rlich nicht der Respekt vor den Protagonisten der Geschichte verloren gehen. Aber nur weil die vielleicht arm sind, muss doch nicht die ganze Geschichte nur schlimm und grau ausfallen.“ Damit steht sie nicht allein in der Runde. Das Problem, so beklagt auch Klotzek, der Chefredakteur in der Runde, liegt nicht am Mangel an Humor, sondern der Bereitschaft der Verantwortlichen, ihn zulassen. Und Cziesche erg�nzt: „Wenn wir vier junge Journalisten f�r etwas mehr Unterhaltung in unseren Medien pl�dieren, werden wir doch ganz schnell in diese RTL2-Ecke gesteckt, in die wir nat�rlich nicht geh�ren.“

Was muss anders werden? Tina Groll w�nscht sich zudem mehr Reflektion gerade im Tageszeitungsjournalismus: „Wir h�ngen noch immer zu sehr an diesem Stadtchronistentum“. Sie beschleiche „manchmal das Gef�hl, dass wir nur wiedergeben, was wir sehen und h�ren und zu wenig einordnen“. Das gelte besonders f�r politische Ereignisse: „Heute muss alles sofort raus � auch wenn wir selbst noch nicht wissen und erkl�ren k�nnen, was da gerade geschieht.“ Das Problem gehe noch tiefer, meint Cziesche: „Vieles von dem, was wir als Chronistentum bezeichnen, ist doch nur ein Chronistentum �ber Events, die erst f�r uns, f�r die Berichterstattung kreiert wurden.“ Journalisten folgten zu oft einem vermeintlichen Mainstream. „Ich glaube, uns fehlt manchmal der Mut, „Nein“ zu sagen“. Das sieht Klotzek �hnlich, der einen Gro�teil der Politikverdrossenheit auf die stark ritualisierte Berichterstattung aus Berliner Politiker-Perspektive zur�ckf�hrt.

Cziesche erg�nzt: „Vielleicht sind viele Journalisten selbst schon zu sehr politikverdrossen geworden.“ Als Indiz daf�r macht er eine „F�lle von Texten aus, in denen sich Kollegen �ber das Privatleben von Politikern oder den Politikbetrieb insgesamt lustig machten � in seri�sen Zeitunge
n wie in der Yellow Press.“ Die Herausforderung f�r Journalisten m�sse viel mehr darin liegen, auch vermeintlich langweilige, komplizierte politische Prozesse interessant zu gestalten statt sie nur ins L�cherliche zu ziehen. Das betrifft die Inhalte wie die Formate, denn grunds�tzlich verk�rze sich die Aufmerksamkeitsspanne gerade bei jungen Leuten: „Man mag das beklagen � oder sich so darauf einstellen, dass man sie durch neue Formen an herk�mmliche Inhalte heranf�hrt“, meint Cziesche.

Wie so etwas aussehen k�nnte, hat Friedrichs vorgemacht: Beim WDR hat sie zusammen mit Kollegen das TV-Magazin „Echtzeit“ aufgebaut, quasi ein „Monitor“ f�r junge Erwachsene: „Bei uns ist Politik nicht, wenn jemand mit einem Dienstwagen vorf�hrt, sondern das, was von den Entscheidungen bei den Leuten ankommt“. Das Magazin, das im Fr�hjahr auch auf dem Entwicklungssendeplatz in der ARD lief, widmet sich vor allem der sogenannten Lebenswirklichkeit der jungen Generation. „Echtzeit“ begleitete etwa eine alleinstehende Mutter, die gleichzeitig ein Studium meistert oder einen jungen Soldaten im Einsatz in Afghanistan. „Im Prinzip machen wir Fernsehen komplett aus der Sicht von jungen Leuten“, sagt Friedrichs. F�r sie und ihre Team-Kollegen sei der Mensch, um den es geht, „die eigentliche Geschichte � und keine Dreingabe, um einen Bericht zu personalisieren, so wie der Reporter sich eine These oder Dramaturgie von vorneherein zurechtgelegt hat. „

Nat�rlich brauche diese Art Journalismus Zeit � wie es nun mal eben eine intensive Besch�ftigung mit den Menschen und ihren Geschichten bedinge. „Ich glaube aber, dass manche Journalisten einfach zu bequem sind und sich diese Zeit nicht nehmen wollen“, sagt Friedrichs. Als Beispiel kritisiert sie das auch bei Dokumentarfilmen immer st�rker verbreitete Prinzip „Casting“, bei dem mehrere Protagonisten wie f�r Kinofilme vorab getestet werden, ob sie publikumswirksam in Szene zu setzen sind. „Das wird den Menschen nicht gerecht“.

Verderben die Sitten? Nicht nur bei jungen Kollegen, aber besonders dort, hat Friedrichs noch ein ganz anderes Problem verortet, das ihr besonders wichtig ist: „Vieles nennt sich ja inzwischen Journalismus, was gar kein Journalismus ist. Vielen Freien ist gar nicht klar, dass PR und Journalismus zwei unterschiedliche Berufe sind � auch Kollegen, die gut im Gesch�ft sind.“

Das sei ebenfalls eine Frage der Haltung,, meint Friedrichs: „Wenn Journalisten sich kaufen lassen von Auftraggebern, die sie k�dern, die Grenzen zwischen PR, Werbung und Journalismus aufzuheben. Uns muss daran gelegen sein, den Leuten zu erkl�ren, warum es sich noch lohnt, f�r Journalismus zu zahlen.“

Wenn aber Zeitungen f�r eine komplette Seite nur 500 Euro zahlen, „nehmen die doch in Kauf, dass sich ihre Autoren andere Einkommensquellen erschlie�en m�ssen.“ Ihr w�rden „nach wie vor zu wenig Kollegen laut sagen, dass unter diesen Bedingungen ein Qualit�tsjournalismus nicht immer m�glich ist.

Klotzek findet, die Leute w�rden sich mit den teils niedrigen Honoraren zu schnell abfinden, und dann Pressearbeit und Journalismus zugleich betreiben. Zwar habe er damit grunds�tzlich kein Problem, wenn freie Journalisten gleichzeitig PR machen � „wenn das sauber getrennt wird und den Redaktionen, f�r die sie arbeiten, bekannt ist“. Als Beispiel nennt er, wenn jemand f�r einen Schuh-Hersteller die Pressearbeit betreuen und gleichzeitig in Magazinen �ber Musik schreiben w�rde. Doch das eigentliche Problem sei vielf�ltiger: „Viele freie Autoren sind � krisenbedingt und gepr�gt von schlechter Bezahlung, unzuverl�ssigen Auftraggebern � ihrer F�higkeit beraubt worden, gro� und leidenschaftlich zu denken. Wie Fond-Manager streuen sie ihre Ideen gleichm��ig auf mehrere Abnehmer, halten Kontakt zu jedem und geh�ren doch zu niemandem. Schade finde ich das. Und auch verst�ndlich.“ Der „Neon“-Chef bef�rchtet gar, dass ob „der traurigen wirtschaftlichen Bedingungen das Verst�ndnis f�r wirklich gute Geschichten verloren gehen k�nnte“.

Welches know-how brauchen Journalisten heute? Crossmedia, Social-Communities, Videojournalismus, Internet-Recherche: Schlagworte, die zum Journalismus von morgen geh�ren wie das ABC und auch in der Diskussion unumstritten zur Professionalisierung der Branche. Doch �ber das Wie gingen die Meinungen auseinander. Groll und Friedrich hingegen lehnen das all-in-one-Prinzip, wie es beispielweise Videojournalismus bedeutet, ab: „Ich finde diesen Weg, alles an einer Produktion selbst zu machen, komplett falsch. Darunter leidet nur die Qualit�t.“ (Friedrichs). Klotzek pl�diert entschieden f�r mehr crossmediale Kompetenzen, schon allein um sich als Journalist keiner Chancen zu berauben: „Die meisten Journalisten werden sich k�nftig bei jeder Geschichte �berlegen m�ssen, welche Plattformen sie bedienen k�nnen“, sagt Klotzek. Dazu seien crossmediale Kompetenzen heute unverzichbar. Gerade f�r die unter Auflagenverlusten �chzenden Tageszeitungen biete das aber auch neue Chancen. Gute Bl�tter w�rden angesichts der Online-Konkurrenz schon jetzt magaziniger.

Cziesche sieht das �hnlich, betont aber zugleich: „Es h�ngt nicht nur am Geld, ob eine Zeitung das reine Abpinseln von Agenturmeldungen �berwindet. In den meisten anderen Berufen, in die der durchschnittliche Hochschulabsolvent geht, steht Weiterbildung ein Berufsleben lang auf der Agenda. Wenn man eine andere Leserschaft erreichen will, muss man sich deshalb �berlegen, wie man seine Journalisten in diese Richtung qualifiziert.“

Klotzek weist auf den internationalen Kontext des „www hin: „Das Netz hat zu einer Leerstelle gef�hrt. Da stellen sich pl�tzlich Fragen wie: Wer wertet eigentlich aus, was es da alles im Netz gibt, wer kann sich beispielsweise in arabischen Foren bewegen?“

Dabei w�rden Redaktionen doch nur davon profitieren, wenn sie das Internet f�r ihre Arbeit richtig nutzten. Bei „Neon“ geh�rt zur selbstverst�ndlichen t�glichen Aufgabe, die Internetforen auf „Neon.de“ zu scannen: „Zu schauen, wor�ber unsere Leser diskutieren, bringt uns enorm weiter.“

„Rein in die social communities, ganz klar � aber nicht nur im Web, sondern auch bei den nicht-virtuellen Menschen. Reporter sein, losgehen, rausgehen, hingehen,“ sieht hingegen Tina Groll als ihre prim�re Aufgabe. �hnlich wie Friedrichs, die bei Kollegen eher zu viel Besch�ftigung mit dem Internet als zu wenig beobachtet: „“Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es oft besser ist, einmal anzurufen, als drei Tage im Internet zu recherchieren. F�r das Buch zum Beispiel war es einfach n�tig, viel Zeit mit den Sch�lern und Studenten zu verbringen, wirklich hinzufahren.“

Dagegen hat Timm Klotzek wiederum seine eigenes Heilmittel entwickelt: Er macht am Schreibtisch h�ufiger Browser und Outlook zu und setzt auf bewusste „Entschleunigung“: „Dieses Gef�hl, man m�sse st�ndig auf dem Laufenden sein: es tr�gt.“ Stattdessen versucht er zwischendurch, einfach mal nur aus dem Fenster zu schauen, gar nichts zu machen, um nachzudenken: „Und was soll ich sagen: Das ist gar nicht so einfach.“

Erschienen in Ausgabe 9/2008 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 20 bis 23 Autor/en: Moderation und Text Annette Milz und Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.