Angesteckt vom Wahlkampf-Fieber

Sarah Palin will nicht, dass Kinder in der Schule über Evolution lernen. Palins Tocher hatte eine heimliche Affäre mit einem schwarzen Rapper aus Los Angeles. Barack Obama ist ein radikaler Muslim, dessen Wahlkampagne von reichen Geldgebern aus China finanziert wird. Während des Wahlkampfes zirkulieren in den USA zahllose E-Mails, die mit waghalsigen Behauptungen für die eine oder andere Seite Stimmung machen.

Alles Lüge. Die Website Factcheck.org überprüft seit fünf Jahren die Aussagen von Politikern auf ihren Wahrheitsgehalt. In der heißen Phase des US-Wahlkampfes hat man sich nun auch einige der hartnäckigsten Internet-Gerüchte vorgenommen. Mit ausführlichen Zitaten aus Zeitungsarchiven, eigenen Interviews und öffentlichen Dokumenten belegt das siebenköpfige Factcheck-Team dabei regelmäßig, dass die E-Mail-Schmierkampagnen allesamt auf falschen Tatsachenbehauptungen basieren. Auch die offiziellen Wahlwerbe-Spots der beiden Kandidaten werden von Factcheck.org immer wieder ins rechte Licht gerückt.

Geleitet wird Factcheck.org von Brooks Jackson, der mit 32 Jahren Berufserfahrung ein Veteran des politischen Journalismus ist. „Ich hab‘ schon immer Spaß daran gehabt, zu recherchieren und Fakten zu enthüllen", erklärt er zu seiner Motivation. Jackson glaubt jedoch, dass die US-Medien die Suche nach der Wahrheit in den letzten Jahren vernachlässigt haben. „Als ich bei CNN war, war dies ein Teil unserer täglichen Arbeit", so Jackson, der in den Neunzigern als Reporter für den Sender arbeitete.

Mit der zunehmenden Boulevardisierung der US-Nachrichtensender wurden rechercheintensive Themen aus dem Programm geschmissen. Für die Überprüfung politischer Tatsachenbehauptungen war plötzlich kein Platz mehr. Factcheck.org wird von Stiftungen finanziert, um diese Lücke ohne Rücksicht auf Quoten und Umsätze schließen zu können. Brooks Jackson ist über diese Rolle als Lückenbüßer nicht eben glücklich. Sein Urteil: „Die großen News-Medien sollten sich schämen, dass es uns überhaupt gibt."

Langsam scheint diese Kritik anzukommen. Die „Washington Post" startete anlässlich des Präsidentschaftswahlkampfes ein Blog, das sich nun Tag für Tag den kleinen und großen Lügen des Wahlkampfes widmet. Die „St. Petersburg Times" widmete dem Thema sogar gleich eine eigene Website. Dass beide Zeitungen dazu aufs Web setzen, ist kein Zufall. Online kann mit zahlreichen Links und ausführlichen Texten widerlegt werden, was sonst schnell unhinterfragt als O-Ton akzeptiert wird. Jackson gibt diese Entwicklung Hoffnung: „Unser größter Erfolg wäre, wenn wir Medien zu ähnlichen Projekten inspirieren könnten und damit überflüssig würden."

Zurück zu den Wurzeln. Factcheck.org und seine Nachahmer sind nur ein Beispiel für die durch den US-Wahlkampf angestoßene Renaissance des politischen Journalismus im Netz. Auch unter Bloggern bemüht man sich in diesem Wahlkampf vermehrt darum, aus der eigenen Selbstreferenz auszubrechen. Besonders eindrücklich geschieht dies derzeit bei der „Huffington Post", die 2005 als eine Ansammlung liberaler Blogs gegründet worden war. Die Website ist bekannt für ihre Partei ergreifenden Artikel, die gerne mal die sonst so heilige Grenze zwischen Bericht und Kommentar verwischen. Die Titelseite der „Huffington Post" erinnert dabei oft an britische Boulevard-Blätter – etwa, wenn dort in großen Buchstaben an McCains Verstand gezweifelt wird.

Doch die lauten Töne dieser Schlagzeilen sollten nicht davon ablenken, dass sich die „Huffington Post" seit ihrer Gründung deutlich verändert hat. Die Website besitzt mittlerweile nicht nur eine eigene Redaktion, sondern auch ein ehrgeiziges Bürgerjournalismus-Projekt namens Off The Bus. Mehrere Tausend Freiwillige helfen der Website mit gezielten Rechercheaufträgen dabei, Details des Wahlkampfes einzufangen, die den Reportern der etablierten Medien verborgen bleiben. So war die „Huffington Post" beim Parteitag der Demokraten mit 200 Bürgerreportern präsent.

Off The Bus setzt auf ein traditionelles Redaktions-Modell, um die Flut der so gewonnenen Informationen zu sichten. „Auf vielen Bürgerjournalismus-Websites kann man schreiben, was man will", erklärt dazu Marc Cooper, der für die redaktionelle Koordination von Off The Bus verantwortlich ist. „Bei uns muss man einen gewissen Mindeststandard einhalten." Dazu gehört, dass Bürgerreporter Beziehungen zu politischen Kampagnen offenlegen müssen. Gleichzeitig will man nicht auf die Mithilfe von Partei-Funktionären verzichten. „Wir möchten sehr gerne von Leuten aus der Obama-Kampagne hören", erklärt Cooper. Anstelle von Neutralität setze man auf Transparenz. „Darin unterscheiden wir uns von den traditionellen Medien", so Cooper.

Angst vor dem Fremden. Unbezahlte Amateure und eindeutige Parteinahme – das kommt nicht überall gut an. Besonders harte Kritik gab es in den letzten Wochen aus Deutschland. So bezeichnete Josef Joffe die „Huffington Post" in einem Leitartikel der „Zeit" jüngst als „Schmarotzerpflanze", die von der Arbeit anderer profitiere. Marc Cooper ist derartige Stimmen aus den USA bereits gewöhnt. „Das ist vergleichbar mit der Wut eines gewissen nordeuropäischen Volkes auf türkische Einwanderer", scherzt er. „Wer sind diese Einwanderer, die mir meinen Job wegnehmen? Es ist die Angst vor dem Unbekannten."

Zustimmung bekommt Cooper dafür vom Online-Politik-Experten Micah Sifry, der den US-Präsidentschaftswahlkampf für Techpresident.com analysiert. „Es ist sehr hart für traditionelle Nachrichtenmedien, auf diese Trends zu reagieren", glaubt Sifry.

Die Politik scheint sich dagegen schnell an die neuen Online-Medien gewöhnt zu haben. McCains Wahlkampagne führt laut Sifry regelmäßig spezielle Telefonkonfernzen für Blogger durch, und auch von Obamas Seite gebe es rege Kontakte zu Bloggern und Bürgerjournalisten. „Beide Kampagnen versuchen, sowohl Journalisten als auch Blogger mit maßgeschneiderten Informationen zu versorgen", weiß er zu berichten. Dies gelte umso mehr für Online-Medien, die eindeutig Partei ergreifen. „Die Kampagnen verstehen, wie wertvoll ihnen wohlgesinnte Medien sind", so Sifry. Angst vor Manipulationen durch derart parteische Online-Medien hat Micah Sifry jedoch nicht. Sein Fazit: „Ich habe viel Vertrauen in die Intelligenz der Leser."

Linktipp

Das Fact-Checking-Blog der „Washington Post" findet sich unter: http://blog.washingtonpost.com/fact-checker/

Die Website der „St. Petersburg Times" steht unter http:// www.politifact.com.

Erschienen in Ausgabe 10/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 56 bis 56 Autor/en: Janko Röttgers. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.