Auf dem Weg zur Verfassungsklage

Der Widerstand von Medienverbänden gegen das geplante BKA-Gesetz wächst. Die Organisationen erwägen inzwischen sogar eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. „medium magazin" hatte bereits in der August-Ausgabe ein brisantes Detail des Gesetz-Entwurfs (BKA-E) enthüllt: In Paragraf 20 u wird der Informantenschutz faktisch abgeschafft. Journalisten, die über Terrorismus berichten, können gezwungen werden, ihre Quellen offenzulegen. Wer sich weigert, muss mit Beugehaft, Zwangsgeld und Redaktionsdurchsuchungen rechnen. Bei einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsinnenausschusses am 15. September kritisierten hochrangige Juristen den Entwurf als verfassungswidrig. Professor Christoph Gusy (Universität Bielefeld) meinte, der Gesetzentwurf werde „dem Schutz der Presse, wie er namentlich vom Bundesverfassungsgericht jüngst wieder vorgegeben worden ist, in keiner Weise gerecht". Professor Hansjörg Geiger, ehemals Präsident des Bundesnachrichtendienstes, kritisierte, dass künftig eine Verwaltung statt eines Gerichtes darüber entscheiden könne, ob ein so hohes Gut wie der Informantenschutz gelte oder nicht.

Wolfgang Wieland, Fraktionssprecher der Grünen für innere Sicherheit, zieht nach der Anhörung das Fazit: „Die Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten und andere Berufsgruppen geht so weit, dass sie einer Abschaffung gleichkommt. Dies hat auch die Mehrheit der Experten bei der Anhörung im Innenausschuss so eingeschätzt. Das werden wir nicht hinnehmen. Ein Anti-Terror-Gesetz darf nicht zum Anti-Presse-Gesetz werden."

Die Innenexpertin der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz, fordert deshalb: „Das BKA-Gesetz muss von der Bundesregierung zurückgezogen werden. Mit kosmetischen Reparaturen ist es nicht getan. Die FDP-Fraktion wird dem BKA-Gesetz insgesamt ihre Zustimmung verweigern." Vertreter von Medienverbänden waren zu der Anhörung nicht geladen. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) hatte zwar nach der Veröffentlichung im „medium magazin" noch versucht, einen Termin zu erhalten – jedoch vergeblich.

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) regt jetzt an, notfalls eine Verfassungsklage einzureichen. „Wir werden es nicht hinnehmen, falls diese Regelung den Bundestag und Bundesrat passieren sollte", so DJV-Sprecher Hendrik Zörner. Man werde in diesem Fall mit anderen Verbänden über eine Verfassungsklage beraten. Der Justiziar des BDZV, Burkhard Schaffeld, stimmt zu: „Dieser Schritt ist denkbar." Christoph Fiedler, Leiter Medienpolitik beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, sagt: „Wir stehen der Idee positiv gegenüber." Dorothee Bölke, Hamburger Anwältin für Medienrecht empfiehlt, in die verfassungsrechtliche Prüfung ein weiteres Gesetz einzubeziehen: Das Zollfahndungsdienstgesetz (ZFdG). Die umstrittene Regelung ist nämlich bereits – offenbar weitgehend unbemerkt – in ein Gesetz eingeflossen: Seit Sommer vergangenen Jahres dürfen die Ermittler nach dem ZFdG entscheiden, ob Journalisten ihre Quellen geheim halten können – oder nicht. Grünen-Sprecher Wieland: „Journalisten werden in die Holzklasse abgeschoben, ihr Zeugnisverweigerungsrecht wird bis zur Unwirksamkeit verdünnt."

Die Aufregung war programmiert, aber weitgehend überflüssig. Seit dem 20. September wird jeweils samstags in ausgewählten Berliner Bezirken die „Berliner Morgenpost Wochenend-Extra" verteilt. Auflagenhöhe: 1 Million Exemplare. Der Verlag Axel Springer kommunizierte, bei der 16-seitigen Zeitung, die von der Deutschen Post verteilt wird, handele es sich um ein „neuartiges Zeitungskonzept". Kurz darauf präzisierte man diese Aussage. Es handele sich um eine „neuartige Zeitungskonzeption eines Anzeigenblatts". Vorausgegangen waren eilige Meldungen, Springer starte eine Gratiszeitung. Doch das G-Wort ist ein Reizwort in Deutschland. Wo Umsonst draufsteht, ist nicht unbedingt Gratiszeitung drin.

Der Start der „Wochenend-Extra", für die Artikel aus der „Berliner Morgenpost" der vorausgegangenen Woche zu einem „Best Of" zusammengestellt werden, ist eine Reaktion auf den Berliner Verlag. Der hatte Anfang September den Erscheinungstag seiner Anzeigenzeitung „Berliner Abendblatt" (1,2 Millionen Auflage) von Mittwoch auf Samstag verlegt. Springer gibt in der Hauptstadt mit der „Berliner Woche" (1,46 Millionen Exemplare) ein weiteres Anzeigenblatt heraus, das zur Wochenmitte erscheint.

Die Entscheidung, eine kostenlose Wochenendausgabe zu publizieren, ist somit eine klassische Maßnahme, um den Markt in Berlin abzustecken. Auch „Sächsische Zeitung" und „Frankfurter Neue Presse" experimentieren mit Sonderausgaben, die mit Inhalten der Mutterzeitung bestückt sind. Man wolle neue Zielgruppen ansprechen, zusätzliche Erlösquellen durch das Anzeigengeschäft erschließen und die Markenbekanntheit der „Morgenpost" steigern, heißt es bei Springer. Ein Risiko für die Operation „Wochenend-Extra" könnte allerdings darin bestehen, dass die Marke einer lange eingeführten Kaufzeitung wie der „Berliner Morgenpost" auf ein Anzeigenblatt ausgedehnt wird. Die Leser könnten sich so in der ohnehin schon weit verbreiteten Sicht bestärkt sehen, dass Inhalte quasi umsonst zu haben sind.

Erste Reaktionen seien „sowohl seitens der Leser als auch seitens der Anzeigenkunden sehr positiv", sagt Springer-Sprecher Dirk Meyer-Bosse. Das Extrablatt hebe sich „wohltuend" von klassischen Anzeigenblättern ab, so eine Rückmeldung an den Verlag aus dem Markt. Auf Grund großer Nachfrage sei der Umfang der Zeitung von 16 auf 20 Seiten erhöht worden.

Echte Gratiszeitungen – täglich an Pendler verteilt – wie sie in den meisten Ländern der Welt verbreitet sind, machten rund 23 Prozent aller Zeitungen auf der Welt aus, sagte Gavin O´Reilly, Präsident des Weltverbands der Zeitungen, auf dem Jahreskongress des BDZV in Berlin. Trotzdem wird immer deutlicher, dass das Geschäftsmodell Gratiszeitung in konjunkturschwachen Zeiten bedroht ist. Am 1. September machte die dänische „Nyhedsavisen" dicht, sie hielt sich zwei Jahre am Markt. Von 320 Gratistiteln in Europa schrieben 70 Prozent rote Zahlen, so der niederländische Medienexperte Piet Bakker.

Erschienen in Ausgabe 10/2008 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 8 bis 8 Autor/en: Christian Meier. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.