Der innere Schweinehund ist mein bester Freund", sagt ARD-Urgestein Werner Sonne und dürfte damit vielen Journalisten aus dem Herzen sprechen. Natürlich sei es schwer, sich nach einem Zehn- oder Zwölf-Stunden-Tag im Büro zum Sport zu motivieren, so Sonne. Trotzdem schnürt der 61-jährige Berlin-Korrespondent des ARD-„Morgenmagazins" zwei bis drei Mal pro Woche seine Turnschuhe und joggt fünf bis zehn Kilometer – entweder durch das Regierungsviertel und den Berliner Tiergarten oder im Südwesten der Hauptstadt in der Nähe seines Wohnortes. Gemeinsam mit vier Kollegen aus dem Hauptstadtstudio des öffentlich-rechtlichen Senders nahm er im Mai dieses Jahres am „5×5-Kilometer-Firmenlauf" durch den Tiergarten teil – mit neuem Hausrekord, wie Sonne stolz erzählt.
Mit dem Laufen angefangen hat der TV-Journalist während seiner Arbeit als Auslandskorrespondent. „Auf dem Höhepunkt der Joggingwelle bin ich 1978 in die USA gekommen", erzählt Sonne, der damals in Washington für den WDR-Hörfunk tätig war. „Davon habe ich mich mitreißen lassen".
Journalisten wie Werner Sonne, die aus eigenem Antrieb heraus Sport treiben, scheinen in Deutschland eher eine Seltenheit zu sein. „Es gibt kaum jemanden, der etwas aus Eigeninitiative heraus macht", sagt Beatrice Stöldt. Stöldt ist unter anderem Betriebsärztin beim Burda-Verlag in Offenburg und kümmert sich dort anderthalb Tage pro Woche um Wehwehchen und Krankheiten der etwa 2000 Verlagsmitarbeiter am Standort. Die schlimmen Unfälle passieren in der Produktion, sagt Stöldt. Journalisten kämen eher mit den „üblichen Kleinigkeiten", wie Kopfschmerzen, Schnupfen, Rückenbeschwerden, Bauchschmerzen und Augenproblemen, zu ihr.
Doch auch gegen diese vermeintlichen „Kleinigkeiten" wollen die großen deutschen Sender und Verlage etwas tun und bieten Gesundheitsangebote für ihre Angestellten an – und das nicht aus gutem Willen, sondern aus eigenem Interesse: Wer fit ist, arbeitet konzentrierter und hat weniger Fehltage durch Krankheiten. Ob private Fernsehsender wie die ProSiebenSat.1-Gruppe oder das DSF, öffentlich-rechtliche Sender wie der Hessische Rundfunk oder Verlage wie die Axel Springer AG, DuMont Schauberg oder Bauer (s. a. Beispiele S.75) – die Unternehmen starten Aktionen ganz nach dem Motto: Wenn die Journalisten nicht zu den Sportangeboten hingehen, holen wir die Kurse eben in die Redaktion. Zudem setzen die Sender und Verlage Anreize zu mehr Bewegung und beteiligen sich zum Beispiel an Kosten für Besuche in Fitnessstudios.
Vorreiter in Sachen betrieblicher Gesundheitsförderung waren die öffentlich-rechtlichen Sender. Bereits seit den 50er-Jahren gibt es beispielsweise die Sportgemeinschaft Bayerischer Rundfunk (SGBR). Der eingetragene Verein wird finanziell vom Sender unterstützt, ist aber ansonsten unabhängig. 19 Sportarten werden angeboten.
Jürgen Krüger, Multimedia-Redakteur, leitet die Sparte Volleyball. Ungefähr 30 Mitarbeiter, darunter mehrheitlich Journalisten, gehören zum Volleyballteam der SGBR, acht bis zwölf nehmen durchschnittlich am Training teil, das immer donnerstags von 19 Uhr bis 21 Uhr läuft. Bei vier bis sechs Turnieren startet das Team im Jahresverlauf. Gerade bereitet man sich auf das ARD-/ZDF-Volleyballturnier Anfang November in Baden-Baden vor, bei dem etwa 200 Spieler an den Start gehen.
„Man muss ein bisschen Sport machen, wenn man den ganzen Tag sitzt", erklärt Krüger seine Motivation zur regelmäßigen Bewegung. Mittlerweile hat er auch einen gewissen Ehrgeiz entwickelt, das Team ständig zu verbessern. Auf den Gängen des Bayerischen Rundfunks hält er Ausschau nach neuen Talenten. „Wenn sich herausstellt, dass jemand Volleyball spielt, wird der angesprochen", sagt Krüger. Zudem leistet sich das Team einen eigenen Trainer. Diese Zusatzausgabe ist unter anderem auch deswegen möglich, weil der Mitgliedsbeitrag mit neun Euro pro Jahr überschaubar ist.
Doch auch die private Konkurrenz kümmert sich um die Gesundheit ihrer Angestellten. Die ProSiebenSat.1-Gruppe beispielsweise nimmt seit vier Jahren mit 150 Mitarbeitern an der Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit" einer großen deutschen Krankenkasse teil. Im Firmen-Intranet können sich die Angestellten „Pauls Schreibtisch-Übungen" anschauen und so während der Arbeit am Bildschirm etwas für ihre Rücken- und Nackenmuskulatur tun. Yoga- und Pilateskurse werden bezuschusst, ebenso wie die Mitgliedschaft in Tanzschulen, Tennisklubs und Fitnessstudios. Wer radelnd oder joggend zur Arbeit kommt, kann sich im Unternehmen duschen. Zu Beginn jeder Woche stellt der Sender außerdem „Gemeinschaftsobst" zur Verfügung.
Der Verlag Motor Presse Stutt- gart (u. a. „Auto Motor Sport", „Men’s Health"), der etwa 800 Mitarbeiter am Standort Stuttgart beschäftigt, bietet für seine Mitarbeiter einen kostenlosen Gesundheitscheck. Beim erstmals ausgerichteten verlagsinternen Gesundheitstag am 22. Juli konnten eine Ernährungsberatung sowie Hör- und Sehtests gemacht werden.
Zwischenzeitlich ist der Sinn solcher Gesundheitsangebote auch beim Gesundheitsministerium angekommen. Ab 1. Januar 2009 werden „Leistungen des Arbeitgebers, die den allgemeinen Gesundheitszustand der Arbeitnehmer verbessern, bis zu einem Betrag von 500 Euro von der Steuer freigestellt". Der Staat unterstützt die Unternehmen, weil sie identische Interessen verfolgen. „Wir möchten, dass die Menschen möglichst lange arbeitsfähig bleiben", sagt Monika Hommes, Referatsleiterin für Gesundheitsförderung und -prävention im Gesundheitsministerium und verweist auf die Verbreitung chronischer Erkrankungen und den demografischen Wandel. Diese Faktoren würden es nötig machen, sich verstärkt um die Gesundheit der Erwerbstätigen zu kümmern. Dazu zählen neben den üblichen Sport- und Fitnessangeboten auch Seminare zur gesunden Kantinenkost oder Kurse zur Verbesserung der unternehmerischen Führung, sagt Hommes. Denn auch der Führungsstil eines Vorgesetzten könne krank machen.
Das bestätigt auch Beatrice Stöldt. Neben den körperlichen Beschwerden wie eine Erkältung, ausgelöst durch die Klimaanlage im Büro, sieht sie vor allem psychische Erkrankungen als Ursache für Fehlzeiten bei Journalisten. Die seelische Belastung, ausgelöst durch den herannahenden Drucktermin oder den Redaktionsschluss, könne zum Burnout und schließlich zu Depressionen führen, so Stöldt (s. a. MediumMagazin 3/2008). Psychischen Erkrankungen sei durch flexible Arbeitszeiten und Betriebsklimaanalysen mit Vorgesetztenschulungen zu begegnen. „Damit könnten sich Firmen viele Fehlzeiten ersparen", sagt die Ärztin.
Stöldt empfiehlt darüber hinaus Entspannungsübungen, um den psychischen Stress abzubauen. „Das ist gerade für Leute im Büro ganz wichtig – sonst wird man irgendwann vom Stress aufgefressen", sagt die Medizinerin. Yoga, Tai Chi oder Pilates seien dafür geeignet. Außerdem rät Stöldt zu Ausdauersportarten wie Radfahren oder Joggen. Durch den Stress während der Arbeit werde Adrenalin ausgeschüttet und der Körper in eine Alarmbereitschaft versetzt. Die Muskeln spannen sich an, das Verdauungssystem werde blockiert. Diese Körperreaktionen – die den Urmenschen bei der Flucht vor wilden Tieren halfen – werden heutzutage mit dem Sitzen vor dem Computer beantwortet. Die sportliche Betätigung wirke wie ein Ventil, um die angestaute Aktivität im Körper he- rauszulassen, so Stöldt. Dafür reiche es, zwei Mal pro Woche für eine halbe bis eine Stunde Joggen zu gehen.
Dass Sport nicht nur hilft, Stress abzubauen, sondern darüber hinaus auch das Gehirn effektiver macht, hat Dr. Ralf Reinhardt von der Universität Ulm herausgefunden. Im April dieses Jahres hat der Dozent für Gesundheitsberufe am Uni-Klinikum gemeinsam mit Kollegen eine Studie präsentiert, wonach intensives Lauftraining schon nach sechs Wochen das visuell-räumliche Gedächtnis, die Konzentrationsfähigkeit schult und zudem für positive Stimm
ung sorgt. Reinhardt betont jedoch, dass man die Leistungsfähigkeit des Gehirns mit viel Sport nicht grundlegend verbessern könne. „Aber sie können das Maximale herausholen, es tunen", sagt der Wissenschaftler. Sportliche Journalisten leben nicht nur gesünder sondern sind unter Umständen auch klüger.
Kein Wunder also, dass die Angebote in den Medienunternehmen gut angenommen werden. Beatrice Stöldt, Betriebsärztin beim Burda-Verlag, sagt: „Die Angebote, die der Verlag macht, sind immer gut besucht." Das sind beispielsweise Kurse zur Rauchentwöhnung, Seminare zur gesunden Ernährung und Yoga-Kurse im Haus. Beim Springer-Verlag haben allein in diesem Jahr rund 1500 Mitarbeiter an dem Gesundheitsprogramm unter dem Motto „Auf die Plätze fertig fit!" teilgenommen. Besonders beliebt seien die Angebote zur Rückenschulung und die Kochworkshops, heißt es.
Über zu wenig Zulauf kann sich auch Peter Hinze nicht beklagen. Er ist Redakteur im Ressort Modernes Leben beim Nachrichtenmagazin „Focus". Zusammen mit seiner thailändischen Frau hatte Hinze die Idee, Massagen für Mitarbeiter anzubieten. Der Burda-Verlag stellte dem Ehepaar zwei ungenutzte Büroräume im Münchner Redaktionshaus zur Verfügung, die „asiatisch eingerichtet" und zum „Office Spa" umgebaut wurden. „Uns war es wichtig, dass sich die Redakteure nicht im Büro vermuten", sagt Hinze. Seit Anfang Februar kneten nun drei Masseusen an zwei Tagen in der Woche für 19 Euro pro halbe Stunde geschundene Journalistenrücken und -nacken. Hinze koordiniert im Hintergrund die Termine. Das koste ihn 15 Minuten seiner wöchentlichen Arbeitszeit, sei aber mit der Chefredaktion abgestimmt. Dass Bedarf besteht, merkt Hinze an den Rückmeldungen, wenn er per E-Mail neue Massagetermine ankündigt. „Die sind relativ schnell zu", sagt der Journalist und verweist auf einen Kundenstamm von etwa hundert „Focus"-Mitarbeitern.
Zurück zum Schweinehund von Werner Sonne: Der ist gerade im Winter besonders hartnäckig, wenn es nach Dienstschluss dunkel ist und die Laufstrecken vereist sind. „Dann weiche ich gelegentlich auf das Laufband im Fitnessclub aus", sagt der ARD-Journalist, der das regelmäßige Laufen zum „Stressabbau" und zum „Konditionsaufbau" nutzt. Auf Sonnes Gesundheit scheint das positiv zu wirken. „Ernsthaft krank war ich noch nie", sagt er. Ein Traum für jeden Arbeitgeber.
Erschienen in Ausgabe 10/2008 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 72 bis 75 Autor/en: Tobias Winzer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.