Gefährliche Lücken in der „Privacybox“

Keine Frage: Die Vorratsdatenspeicherung gefährdet den Informantenschutz, macht investigatives Arbeiten enorm schwer und verhindert letztlich, dass Journalisten ihre Kontrollfunktion wahrnehmen können. Außer Frage steht auch: Die umfassende Mail-Überwachung, wie sie nicht nur von Geheimdiensten, sondern teilweise auch von privaten Auskunfteien betrieben wird, macht Informantenschutz zu einer riskanten Angelegenheit. Auch flächendeckende Handyüberwachung und damit verbundene Bewegungsprofile von Journalisten und Informanten sind einer kritischen Berichterstattung nicht gerade förderlich.

In unserem Hause haben wir deshalb für investigative Projekte eine klare Richtlinie entwickelt: Keinerlei elektronische Kommunikation, nur persönliche Treffen mit Informanten sind erlaubt. Allenfalls kann ein Treffpunkt per Postkarte verschlüsselt vereinbart werden. Sämtliche Daten, die einen Rückschluss auf Informanten zulassen, werden nur verschlüsselt auf externen Festplatten gespeichert. Diese Festplatten sind je nach „Gefährdungslage" bei einem Notar, einem Rechtsanwalt oder im Tresor einer Bank (möglichst in der Schweiz) sicher verwahrt. Nur stundenweise, wenn damit unbedingt gearbeitet werden muss, stehen diese Datenspeicher auch einmal in den Räumen unserer Produktionsgesellschaft oder des Medienbüros. Damit konnten wir bei den Recherchen zum elektronischen Personalausweis oder zur Internet-Zensur in China unsere Informanten genauso schützen wie bei der Berichterstattung zum Cyberkrieg im Kaukasus. Für Geheimdienste und Spione aller Art waren diese Daten unerreichbar, und das bleiben sie auch. Die Informanten konnten sich in jedem Fall auf absolute Verschwiegenheit und weitreichenden Schutz verlassen.

Augenwischerei. Doch dieser Schutz droht aufgeweicht zu werden, und zwar nicht nur von Geheimdiensten oder Spionen..

So hat im Sommer der Berliner Journalist Burkhard Schröder, der auch unter dem Kürzel „burks" scheibt, für einen Verein, der sich ausgerechnet „German Privacy Foundation" nennt, eine „Privacybox" für die anonyme und vorratsdatenfreie Kontaktmöglichkeit von Informanten zu Journalisten vorgestellt.

Das Prinzip dahinter: Wer als Informant mit einer Redaktion oder einem Journalisten in Kontakt treten will, nutzt das mit jedem Browser zu erreichende Web-Formular des Vereins, das auf einem Server in Berlin aufliegt, wählt ein Pseudonym und kann eine Mail samt 600 Kilobyte großem Anhang an einen Journalisten oder eine Redaktion schicken. Die Daten werden mit OpenPGP verschlüsselt. Die Konsequenz: Informanten wird auf diese Weise vorgegaukelt, sie könnten via Internet einen Kontakt zu Journalisten herstellen, der nicht rückverfolgt werden kann. Den Informanten wird Anonymität vorgetäuscht.

Diese Anonymität kann jedoch leicht aufgehoben werden, denn die IP-Päckchen, die vom häuslichen oder firmeneigenen Rechner des Informanten zum Server mit dem Webformular geschickt werden, enthalten natürlich die Absenderadresse. Die Rückverfolgung vom Server zum Informanten stellt nicht einmal für völlig unbedarfte Ermittler ein Problem dar. Dass auch mit OpenPGP verschlüsselte Dateien prinzipiell entschlüsselt werden können, und dieser Entschlüsselungsvorgang nur eine Frage von Zeit und Aufwand ist, sollte gleichfalls erwähnt werden.

Schutzrechte. Jedenfalls wird, wer verantwortlich im investigativen Bereich arbeitet, stets berücksichtigen, dass jede elektronische Kommunikation prinzipiell unsicher ist und für sensible Recherchen nicht taugt. Unsere Informanten haben ein Recht auf umfassenden Schutz.

Erschienen in Ausgabe 10/2008 in der Rubrik „Service“ auf Seite 78 bis 78. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.