Jüdisches Prag

Was genau denn das für eine Zeitung sei, für die ich da schreibe, fragt mich die Dame am Telefon, bevor sie sich endgültig auf eine Verabredung einlässt. Eine Woche später dann, als ich zum vereinbarten Termin komme, die nächsten Sicherheitsmaßnahmen: Am Tor steht kein Name, dafür ist die Auffahrt mit einer Schranke und einer versenkbaren Mauer versperrt, das Pförtnerhäuschen ist gepanzert. „Wir brauchen hier maximale Sicherheit", sagt die Leiterin des neuen jüdischen Seniorenheims in Prag dann achselzuckend. Der Rechtsextremismus ist auch in Tschechien auf dem Vormarsch, und ihre Einrichtung ist symbolträchtig: Es ist das erste Mal, das eine jüdische Gemeinde in den neuen EU-Ländern das Geld für ein eigenes, nagelneues Seniorenheim zusammenbekommen hat – und es ist einer der wenigen Orte überhaupt, wo so viele Holocaust-Überlebende auf engstem Raum zusammenleben. Mit dem Touristenstrom, der sich ganzjährig durch das jüdische Viertel in Prag schiebt, verdient die Gemeinde das Geld für die einmalige Einrichtung. Die Heimbewohner sind die letzten Zeugen des jüdischen Prags von früher, als die Stadt noch das europäische Zentrum des liberalen Judentums war – und da schließt sich der Kreis zu den Touristen, die auf der Suche nach dem nicht mehr vorhandenen Flair des jüdischen Viertels denjenigen ihren Lebensabend finanzieren, die das pulsierende Leben noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen.

Internet: www.kehilaprag.cz

Erschienen in Ausgabe 10/2008 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 61 bis 61 Autor/en: Kilian Kirchgeßner, Prag. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.