Billiges Ziel

Und,was ist nun mit McLuhan? Ist er immer noch tot?“, fragt der rumänische Kunstkritiker Radu Varia. Man kann Varia beruhigen. McLuhan ist nicht tot. Sein Slogan aus den 60-er Jahren „the Medium is the Massage“ (das Medium selber ist die Botschaft, nicht sein Inhalt), passt zu den Berichten über die Finanzkrise. Denn: Was sich hier in Print und TV zum Thema Nr.1 abspielt, beweist: McLuhan lebt.

So kriselt es nicht nur unter Banken, es kriselt auch unter Journalisten, die über sie berichten sollten.Ihr Job wäre es, die Misere zu erklären, zu Nutz und Frommen ihrer Leser. Stattdessen: Viel Emotion, wenig Information. Vor allem aber kaum Nutzen. Eigentlich möchte man wissen: Wie kommt man da heil wieder raus? Stattdessen erfahren wir genau, wie viel die Deutsche Bank ihren Vorständen zahlt. Josef Ackermann ist zur Zielscheibe der deutschen Neidgesellschaft geworden. Als Schweizer eignet er sich da besonders gut. Keine Talk-Show, in der wir alsbald beim Thema Managergehälter sind und das Empörungsritual seinen Lauf nehmen kann. Und der Applaus ist so pünktlich wie der der Claquere in der italienischen Oper. Nur: Fast alle, die da klatschen, haben mit der Krise entweder nichts zu tun oder waren so dämlich (vornehm ausgedrückt: nichtsahnend), sich auf Risiken einzulassen, die clevere Verkäufer im besten Gebrauchtwagenjargon ihnen angedreht haben. Und hier kämen Journalisten, Wirtschaftsjournalisten ins Spiel. Anstatt vorher zu warnen oder kritisch zu erklären, drücken sie hinterher auf die Tränendrüsen scheinbar Unbedarfter. Und das aus Motiven, die mit Journalismus wenig zu tun haben: der soll schliesslich aufklären, nicht maulen. Gleichwohl wird diese Form des Betroffenheitsjournalismus gerne geübt. Aus zwei Gründen.

Erstens aus egoistischen Motiven. Das Privatfernsehen macht es vor: Die Quote ist der eitle Gott. Hohe Qoute, gutes TV – schlechte Quote, schlechtes TV. Entscheidend über die Quote tun meist schlichte Gemüter. Je mehr gejammert wird (Tränen sind besonders gern gesehen), je empörender ein Sachverhalt, umso besser die Quote.Und für Print heisst das: Je simpler die Anklage, umso höher die Auflage. Und das Umgekehrte: Je kritischer die Meinung, umso verärgerter die Betroffenen, oftmals die eigentlich Schuldigen. Wer wagt schon, seinen Lesern zu sagen, dass sie selber die Probleme schaffen, die sie beklagen. Wer sich über Staus beschwert, vergisst, dass er selber Teil des Staus ist. Wer bei Aldi, Lidl & Co einkauft, trägt selber zum Zerfall des Wirtschaftssystems bei. Und wer nach riskanten Anlagepapieren giert, ist moralisch nicht besser als der skrupellose Verkäufer. Wer also die Börse mittels Derivaten zum Wettbüro verkommen lässt, ist selber mitschuldig. Da unterscheiden sich Anbieter und Nachfragen nicht.

Von alldem lese ich in der Wirtschaftspresse kaum ein Wort. Dass die lieben Kollegen aus Auflagengründen unpopuläre Meinungen vermeiden – geschenkt. Was schlimmer ist: Wenn dies aus mangelndem Sachverstand geschieht. Nehmen wir nochmals der Presse liebstes Ziel: DB-Ackermann. Seine Bezüge waren ja nur deshalb so hoch, weil die Bank mit riskanten Papieren hohe Gewinne machte, Papiere, die Anleger ihr begeistert aus den Händen rissen. Zur Schweinerei gehören immer noch zwei: die Anbieter und die Anleger.

Hilfreich wäre gewesen, wenn Journalisten ihren Lesern einmal die öknomischen Risiken erklärt hätten. Zum Beispiel, dass der Verzicht aller Banker auf jegliche Bezüge dem so beliebten Mann auf der Straße nichts gebracht hätte. Lediglich sein Neidpotenzial wäre auf null gesunken. Nicht so das Auflagenpotenzial. Das mag für Kaufzeitungen ein Anreiz sein. Eine seriöse Presse sollte da nicht mitmischen.

Kein Kollege hat mir mal erklärt, wo denn das viele Geld geblieben ist, an dem unsere Banken so üppig partizipierten. Ich vermute, es ruht im Keller, wird gehortet und der Bund steht mit seinem 700-Milliarden-Geschenk wie ein verschmähter Liebhaber da. Lediglich Staatsbanken mit ihren bankunerfahrenen Politikern unterliegen noch einer bescheidenen parlamentarischen Kontrolle. Eine journalistische Recherche habe ich darüber nicht gelesen. Dafür alles über Managergehälter. Ist ja auch einfacher zu schreiben.

Es ist nicht überraschend, dass der Rat eines quasi öffentlich-rechtlichen Kollegen während der heißen Krisentage gesucht wurde: Hermann-Josef Tenhagen. Sein Blatt „Finanztest“ will zwar auch Auflage machen, lebt aber nicht vom Anzeigengeschäft, braucht keine Anbiederungen, keine Vertriebsklimmzüge, um sich größer zu machen, als es ist. Tenhagen konnte beweisen, dass er ohne grossen Applaus etwas von der Sache versteht und dies auch sachlich, nicht populistisch rüberbringt.

Ein paar mehr Tenhagens täte uns, den Redaktionen und auch den Lesern gut …

Erschienen in Ausgabe 11/2008 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 29 bis 29 Autor/en: Adolf Theobald. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.