Die Lehre aus der Krise

Am Sonntag, 12. Oktober, bricht Michael Opoczynski seinen Urlaub ab. Kurz zuvor hatte der Leiter der ZDF-Verbraucherredaktion „Wiso“ noch mit Nikolaus Brender telefoniert. Sein Chefredakteur und er waren sich einig: In der Sendung am nächsten Abend musste das Stammgesicht wieder auf dem Schirm sein – mit Kollegin Valerie Haller, die „Oppo“ eigentlich vertreten sollte. Titel der Sendung: „Angst ums Geld.“

In den Tagen vor der Sendung brach der Deutsche Aktienindex ein. Gut einen Monat zuvor machte Lehman Brothers pleite. Dann stürzte erst die USA in eine Finanzkrise, wenig später die übrige Welt. Weil plötzlich ganze Investmentbanken förmlich in sich zusammenbrachen, war auch das Geld der Anleger in Gefahr.

Die Sender rüsteten auf. Weniger die Privaten, dafür umso mehr die Öffentlich-Rechtlichen: Die ARD fuhr mehrere „Brennpunkte“ und rückte mit „Hilfe, wer rettet unser Geld?“ sogar eine Sondersendung in die Prime-Time. Auch das ZDF legte diverse „Spezials“ auf, titelte sie gar mehrfach „Das Krisenprotokoll – Hoffnung nach dem Crash!“. Doch die Bilanz ist ernüchternd. Auf schlechte Nachrichten hatten die Deutschen keine Lust: Weder „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ noch „heute“ und „heute-journal“ konnten in der Hochzeit der Krise spürbar mehr Zuschauer gewinnen. Auch „Morgenmagazin“ und „Mittagsmagazin“ legten nicht wirklich zu. Teilweise schalteten sogar weniger Menschen ein als üblich.

ZDF-Chefredakteur Brender erklärt sich das so: „Diese Krise ist für die Leute auch nur eine von vielen.“ Das sei – „möglicherweise“ – auch der Grund, warum die Nachrichtensendungen in der Zuschauergunst nicht schlagartig zugelegt hätten.

Dafür ist folgendes Phänomen umso interessanter: Die Medienforschung beider Sender registrierte zwischen dem 15. September (Lehman-Pleite) und dem 19. Oktober (zwischenzeitliches Ende der DAX-Talfahrt) bei allen politischen Talkshows ebenso eine Steigerung der Einschaltquoten wie – wenn auch in geringerem Maße – bei den Verbrauchermagazinen. Die medialen Gewinner der Finanzkrise heißen also: Anne Will, Maybrit Illner und Frank Plasberg – aber auch Michael Opoczynski.

Vor allem Illners Quote legte zu – um knapp zwei Prozentpunkte (Marktanteil 14,3 Prozent) im besagten Zeitraum. Der Grund ist wahrscheinlich, dass ihre Sendung sich konsequenter als jede andere Talkrunde mit der Finanzkrise beschäftigte. Bereits am 18. September setzte sie ihr erstes Thema zur Finanzkrise („Was ist los in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft?“), „Anne Will“ folgte erst am 5. Oktober („Turbo-Kapitalisten außer Rand und Band“).

Formatfragen. In den vergangenen Wochen haben die Programmplaner aber auch gelernt, dass Zuschauer in Zeiten der Krise gerne Fragen loswerden. Deutlich häufiger als sonst wurden etwa Call-Ins genutzt. Als „Finanztest“-Chef Hermann-Josef Tenhagen im „ARD-Morgenmagazin“ Rede und Antwort stand, liefen in der Kölner Redaktion gut 1.600 Wortmeldungen auf (s.a. Interview Seite 29).

Eine andere bemerkenswerte Zahl ist diese: Die Zuschauer des ZDF, die sich am 13. Oktober in einen eintägigen „Chat-Marathon“ einwählen konnten, stellten den fünf bereitstehenden Experten mehr als 3.000 Fragen.

Für die Redaktionen war dieser Ansturm, nicht zuletzt aber das Thema an sich, eine Belastungsprobe. Bei der, so ist bei Opoczynski rauszuhören, nicht alles rund lief. Er sagt mit bemerkenswerter Offenheit: „Ich habe in den vergangenen Wochen eine Unterversorgung an Kollegen festgestellt, die sich mit Zusammenhängen in der Finanzwelt und der Finanzpolitik beschäftigen.“ Deshalb plädiert er dafür, „solche Kollegen dauerhaft zu uns zu holen und ihnen Sendeflächen zu geben“.

Konkret schwebt ihm zusätzlich zu seinem Verbrauchermagazin, das wie das ARD-Pendant im Krisenzeitraum einen Prozentpunkt mehr Quote holte, ein neues Format für Wirtschaftspolitik und die Hintergründe der Finanzwelt vor.

Sein Chefredakteur sieht dafür allerdings keinen Bedarf. Für Brender gehören Wirtschaftsexperten in alle Redaktionen. Beispiel Marietta Slomka: eine Volkswirtin. Wirtschaft ziehe sich heute eben durchs ganze Programm. Als Lehre aus der Finanzkrise setzt Brender auf mehr Dokumentationen oder, wie er sagt: „Langzeitbeobachtungen der Wirtschaft“ – ausdrücklich auch in der Prime-Time.

In der ARD sehen sie ebenfalls keinen Bedarf an weiteren Regelsendungen für Wirtschaftsthemen. Der Chefredakteur des Saarländischen Rundfunks, Norbert Klein, der in den vergangenen Wochen ARD-Chefredakteur Thomas Baumann vertrat, spricht von einem „anderen Gewand“ der Wirtschaftsberichterstattung. „Wir beziehen uns eben nicht nur auf Börsenkurse und politische Entscheidungen, sondern bringen das dem Verbraucher nahe, indem wir zeigen, was das für den Geldbeutel der Leute bedeutet.“ Sendungen wie „Plusminus“, aber auch die Politmagazine wie „Monitor“, seien also der richtige Weg. Mehr Personal sei auch nicht nötig, meint Klein. Er sehe jedenfalls „keinen Mangel an Wirtschaftsredakteuren“ in der ARD.

Kritik gibt’s trotzdem – auch von prominenter Stelle. WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn etwa würde gerne die 40-sekündige Schalte an die Börse in den „Tagesthemen“ streichen. Er sagt: „Ich bin generell der Ansicht, dass wir die Wirtschaft in unseren Programmen nicht nur aus der Börsenbrille sehen dürfen.“ Er wünscht sich deshalb „eine realitätsnahe Berichterstattung, die den Unternehmer und Verbraucher zeigt statt nur die Kurse“.

Erschienen in Ausgabe 11/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 26 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.