Privilegierte Milieus

Herr Dr. Ziegler, als Absolvent der Henri-Nannen-Schule mit Startjahr 2005 muss ich Teil der Befragten sein. Der Befund über mich lautet: Durchschnittlich bin ich ein Beamtensohn, neige den Grünen zu und halte mich für ein bisschen elitär. Mögen Sie den Typen, den Sie da ermittelt haben?

Peter Ziegler: Mögen ist zunächst keine wissenschaftliche Kategorie. Die Frage ist doch, welchen Typ von Journalisten diese Schulen hervorbringen. Wer Hunderte von Konkurrenten hinter sich gelassen hat, bei dem kann sich schon ein gewisses Überlegenheitsgefühl einstellen – das ist wiederum menschlich. Bei den Berufen der Eltern der Befragten dominiert tatsächlich der Beamte. Der Beruf des Arbeiters kommt bei den Vätern kein einziges Mal, bei den Müttern selten vor.

Warum entstammen Journalisten und Journalistenschüler überwiegend dieser Schicht?

Im Auswahlverfahren spielt Begabung, aber auch die richtige Ausstrahlung eine sehr wichtige Rolle. Damit werden jene Milieus privilegiert, in denen Begabung früh gefördert wird. Anhand des Habitus erkennen sich die Angehörigen der gleichen Schicht: Souveränes Auftreten, ähnliche Lebensläufe mit frühen journalistischen Ambitionen führen zur gleichen Chemie zwischen Aspirant und Auswahlkommission.

Haben Sie ein elitäres Standesbewusstsein bei den Absolventen bemerkt?

Ja, durchaus! Immerhin weit mehr als ein Drittel der Befragten stimmt der Frage, ob sie Teil einer Elite sind, zu. Standesbewusstsein drückt sich auch in Netzwerken aus, die die Schulen hervorbringen. Viele Absolventen erreichen nach einiger Zeit Schlüsselpositionen im Journalismus.

Sie vertreten die These, Journalisten als Angehörige der Mittelschicht berichteten selten über Unterprivilegierte, weil sie mit diesen auch privat nur selten in Berührung kämen. Das müsste ja im Umkehrschluss heißen, dass niemand über Politik berichten kann, der keinen Abgeordneten privat kennt.

Immerhin fast zwei Drittel der Befragten geben an, Menschen zu kennen, die staatliche Transferleistungen wie ALG II beziehen. Die entscheidende Frage ist, ob dies zu einem entsprechend ausgeprägten Rollenselbstverständnis als Anwalt der sozial Schwachen führt. Das Ergebnis ist ernüchternd.

Sie beklagen einen unterentwickelten anwaltlichen Journalismus. Welche Art Journalisten wünschen Sie sich?

Es gibt nicht das Idealbild des Journalisten. Klar ist doch aber: Je mehr in Deutschland sich die Schere zwischen Arm und Reich öffnet, desto eher ist anwaltschaftlicher Journalismus wünschenswert. Wenn Journalisten in ihrer Arbeit nur widerspiegeln, was an gesellschaftlicher Ungleichheit und Machtverhältnissen ist, dann wird sich das Bestehende verfestigen. Die ehemaligen Journalistenschüler könnten ihre reale Gestaltungsmacht viel intensiver nutzen und die Teilhabe jener ermöglichen, die kaum oder gar nicht medial durchdringen.

Erschienen in Ausgabe 11/2008 in der Rubrik „Special“ auf Seite 76 bis 76 Autor/en: Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.