Ran an die Bestie!

War das, was die Sender vor, aber vor allem während der Krise geleistet haben, vernünftig?

Hermann-Josef Tenhagen: Die ARD berichtet ja vor der „Tagesschau“ regelmäßig in fünf Minuten über die Börse. Da wird schon relativ viel zur Kursentwicklung einzelner Firmen erklärt, aber es fehlen Zusammenhänge. Gleichzeitig ist dieses Format das einzige Instrument, in dem sich das Fernsehen quasi täglich mit den unseren Alltag bestimmenden Finanzmärkten auseinandersetzt. Als dann die Krise kam, wurde das Thema zu einem großen, während es davor für die Chefredakteure offenbar keins war – weil die Finanzmärkte angeblich nicht sexy genug seien.

Und in der Krise, als auch die Chefredakteure angesprungen sind?

Da haben die Sender zwar einiges sehr gut aufgearbeitet, wie den Kollaps von Lehman Brothers. Insgesamt war mir der Alarmton aber einfach zu laut. Und die Grenze war für die Kollegen immer dann erreicht, wenn es darum ging zu erklären, was an der Börse wirklich passiert. Da wurde nicht auseinandergehalten, wer da eigentlich agiert. Die Börsianer sind für mich zu sehr im Schatten geblieben. Da hat keiner aus dem Inneren der Bestie berichtet. Das hätte ich mir aber gewünscht. Ich glaube auch, dass es dafür die richtigen Leute in den Sendern gäbe, sogar bei n-tv und N24. Man müsste sie nur mal machen lassen.

Ihnen wird also im Fernsehen nicht genug über den Finanzmarkt berichtet?

Richtig. Bei „Plusminus“ und „Wiso“ wird der Schleier zwar immer mal wieder ein bisschen gelüftet – und das machen die dann auch sehr gut. Wie aber etwa die Kapitalmärkte grundsätzlich funktionieren, das große Ganze also, wurde mir bisher viel zu selten erklärt. Ein Beispiel: Die Immobilienkrise in den USA war spätestens 2006 evident. Dazu hätte ich gerne einen Film gesehen.

Warum kommt so etwas nicht?

Schwer zu sagen. Ich habe vor zwei Jahren auf einer Veranstaltung des „Netzwerk Recherche“ zum Wirtschaftsjournalismus von Fernsehkollegen gehört, die Sender wollten nur noch Verbraucherstücke haben. Gleichzeitig haben offenbar viele die Segel gestrichen, wenn es darum geht, eine schöne Geschichte zu erklären. Beispiel „Heuschrecken“: Es gab zwar immer wieder exemplarische Filme darüber, wie Hedgefonds einzelne Betriebe auseinandergenommen haben. Aber wo die ihr Geld herhaben, wie dieser Milliarden-Markt funktioniert und ob das was für den kleinen Mann ist oder nicht, hat niemand aufgegriffen. Solche Dinge anschaulich zu machen, dafür gibt es im deutschen Journalismus auch keine Tradition. Die muss aber her!

Statt aufwendiger Filme wurden jetzt Sondersendungen und Talkshows gefahren, überwiegend mit Experten wie Ihnen. Hat den Sendern Kompetenz gefehlt?

Nein. Da gibt es zwei andere Probleme. Zum einen haben die Bankiers gekniffen. Von denen wollte sich niemand grillen lassen. Und dann haben sich die Sender auch gefragt, wer zur Finanzkrise etwas Unabhängiges sagen konnte. Wir, die Stiftung Warentest, sind das nun mal, weil wir keine Anzeigen im Blatt haben. Deshalb können wir uns allein dem Leserinteresse widmen. Das schafft Glaubwürdigkeit.

Andere Kollegen sind nicht objektiv, weil ihre Häuser von Werbung leben?

Da geht es ja nicht um für Anzeigenkunden genehme Berichte. Der Effekt ist ein ganz anderer: Wenn viele Anzeigen auf Börsengänge hinweisen, berichten sie eben häufiger über Börsengänge und das im Zweifel sogar am Interesse der Leser vorbei. Zeitungs-, aber auch Fernsehredaktionen waren kleinteilig an der Börse dran, dass ihnen der Schritt zurück schwerfällt.

Damit sind Sie der mediale Gewinner der Krise, oder?

Na ja. Jetzt haben hoffentlich viele Leute mitbekommen, dass es bei der Stiftung Warentest Leute gibt, die sich mit den alltäglichen Finanzproblemen beschäftigen. Dann würden wir mittel- und langfristig als Zeitschrift und Stiftung profitieren. Unsere Erfahrung zeigt aber: Kurzfristig nützen uns Probleme an den Finanzmärkten nicht. Nur weil wir viel Aufmerksamkeit bekommen, verkaufen wir ja noch lange nicht mehr am Kiosk.

Daniel Bouhs ist freier Journalist in Berlin und Redaktionsmitglied von mediummagazin. Kontakt. redaktion@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 11/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 28 Autor/en: Interview: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.