Was viele Journalisten und Verleger in Deutschland immer noch für die Gegenwart halten, beschreibt der Medienmogul Rupert Murdoch schon als Geschichte aus einer vergangenen Zeit. „Es war einmal", sagte er in einem Radiovortrag im November 2008, „eine Welt, in der sich die Medien und die Unterhaltungsindustrie darauf verlassen konnten, dass die gewaltigen notwendigen Eingangsinvestitionen poten- zielle Mitbewerber abschrecken würden. Doch in vielen Bereichen sind die Einstiegsschranken niedriger denn je – und die Chancen für tatkräftige und kreative Menschen größer denn je. Die Technik erlaubt es kleinen Leuten jetzt, das zu tun, wofür einst riesige Konzerne nötig waren. Sehen Sie sich den, Drudge Report‘ an. Matt Druge erstellt eigentlich keine eigenen Inhalte. Er sucht Inhalte, die er interessant findet und stellt sie auf eine der einfachsten Seiten, die es im Internet gibt. Die Leser kommen, weil sie seinem Urteil trauen. Und er beweist, dass ein gutes Urteil über den Nachrichtenwert einen Wert hat. Mit seiner einzelnen Internetseite hat Drudge es geschafft, alle führenden Medienunternehmen – meine eingeschlossen – herauszufordern. Und er hat es mit minimalen Anlaufkosten getan: einem Computer, einem Modem und ein bisschen Platz auf einem Server."
Matt Drudge ist das dramatischste Beispiel dafür, was ein einzelner Journalist ohne jeden Verlag im Rücken im digitalen Zeitalter erreichen kann: vom Gelegenheitsarbeiter, der die Nachtschichten im Kiosk macht und in einem Ein-Zimmer-Appartement wohnt, zum Millionär mit zwei Villen; vom Freak, der Klatsch und Tratsch in einer obskuren Newsgroup verbreitet, zu einem der einflussreichsten Journalisten der Welt, der als erstes über den Monica-Lewinsky-Skandal berichtete und heute Millionen Leser hat und von Präsidentschaftskandidaten umworben wird.
Nicht jede Geschichte von Journalisten, die die neue Möglichkeit nutzen, an den etablierten Verlagen vorbei ihr eigenes Ding zu machen, wird so märchenhaft verlaufen wie die von Matt Drudge.
Aber der Befund von Rupert Murdoch ist allgemeingültig: Die Grundlagen der Massenkommunikation haben sich dramatisch geändert. Jeder hat heute die Chance, mit geringsten Einsätzen ein größeres Publikum zu erreichen. Das macht Verlage und Medienunternehmen nicht überflüssig. Aber die Zeiten, in denen der einzige realistische Weg zu publizieren über sie führte, sind für immer vorbei.
In vergangenen Sommer hat Nate Silver das noch einmal eindrucksvoll bewiesen. Der Journalist und Wirtschaftswissenschaftler hatte sich in den Vereinigten Staaten einen Namen als Baseball-Experte gemacht, indem er Spielprognosen auf der Grundlage eigener statistischer Auswertungen abgab. Im März 2008 begann er, sein Wissen auf die Politik zu übertragen und in einem Blog namens FiveThirtyEight.com Wahlprognosen zu veröffentlichen. Nachdem er den Ausgang der Vorwahlen bei dem Demokraten teilweise besser vorhersagte als etablierte Wahlforscher und mit seinen Blogeinträgen transparent und pointiert die Entwicklungen diskutierte, wurde er zum Medienstar mit regelmäßigen Fernsehauftritten.
Dieses digitale Zeitalter hat gerade erst begonnen, aber es gibt heute schon ungezählte Beispiele dafür, wie Journalisten seine Möglichkeiten erfolgreich nutzen und ihre eigenen Verleger zu werden. Manche schaffen das in einer winzigen Nische, andere strahlen weit über ein Fachpublikum hinaus, aber gemein ist fast allen: es einfach zu machen.
Peter Turi ist so jemand. Während Medien-Fachdienste wie „w&v", „Horizont" und „kress" damit beschäftigt waren, zu verhindern, dass Leser, die nicht zugleich Abonnenten waren, auf ihre Inhalte zugreifen konnten, begann Turi einfach damit, in Form von Links all das kurz zu notieren, was sich Berichtenswertes in der Branche getan hatte, ergänzt um gelegentliche eigenrecherchierte Inhalte. Über die Qualität seiner Zusammenfassungen lässt sich streiten, aber dass sein turi2.de – angetrieben nicht durch große Investitionen, sondern die Leidenschaft und Ehrgeiz seines Namensgebers – heute in der Branche eine außerordentliche Aufmerksamkeit genießt, steht außer Frage. Aus dem Ein-Mann-Unternehmen ist inzwischen ein expandierender kleiner Betrieb mit mehreren Mitarbeitern geworden.
Wie behäbig dagegen der klassische Weg über einen Verlag sein kann, zeigt das Medienportal „Meedia" von Dirk Manthey: Während Turi einfach loslegte, schraubte Mantheys Team Ewigkeiten hinter verschlossenen Türen, um am Ende mit einer teuer produzierten und trotzdem halbgaren Website auf den Markt zu kommen, der die Seele fehlt und bei der es an vielen Stellen hakt.
Der Einzelkämpfer gegen den millionenschweren Verleger: in der neuen digitalen Welt duellieren sie sich auf Augenhöhe, und der Sieger steht keineswegs vorher fest.
In Zukunft werden Starjournalisten wie Heribert Prantl, Harald Martenstein oder Nils Minkmar es sich ganz selbstverständlich aussuchen können: Ob sie die Annehmlichkeiten einer Festanstellung wählen oder die Freiheiten nutzen, die ihnen das selbstständige Publizieren bietet. Solche Journalisten werden zu ihren eigenen Marken, die neben denen der Medienunternehmen bestehen. Das Publikum wird ihnen folgen, und die Verlage werden sich darum reißen, ihre Texte zweitverwerten zu dürfen.
Aber auch Berufsanfänger können von der Leichtigkeit des Publizierens im Internet profitieren. Für manche wird es der attraktivere und erfolgversprechendere Weg zu sein, sich einen Namen zu machen und ein Publikum zu erschreiben, als sich jahrelang für eine Lokalzeitung vom Kaninchenzüchterverein zur Karnevalsveranstaltung zu schleppen.
Es ist erstaunlich, in welch geringem Maße deutsche Journalisten, auch junge, von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen. Manche Journalistenschüler wirken, als seien sie nicht Journalist geworden, um zu publizieren, sondern um eine Festanstellung bei der Seite 3 der „Süddeutschen" zu bekommen.
Dabei ist gerade das von vielen von ihnen höchst abschätzig betrachtete Bloggen so unendlich reizvoll: Einerseits für einen selbst – um über die Dinge zu schreiben, die einen interessieren, unbeschränkt von den notwendigen Grenzen klassischer Medien, mit der Möglichkeit, mit publizistischen Formen zu experimentieren. Andererseits um das Publikum kennenzulernen, zu merken, welche Texte auf Resonanz stoßen, wie die Leser reagieren, was verstanden und was missverstanden wird.
Das Internet bietet diese Möglichkeit des Ausprobierens. Und es bietet andererseits die Chance, sich zusammen zu tun mit anderen Leuten, und gemeinsam ein Projekt auf die Beine zu stellen, das fehlt, das eine Alternative ist, für das Publikum und für einen selbst. Das wird selten leicht sein, aber es ist leichter denn je – auch wenn die Gründung einer Zeitschrift zumindest den Vorteil mitbringt, dass die Menschen bereit sind, Geld für sie auszugeben. Unter dem Manko, dass die Menschen erwarten, Inhalte online kostenlos zu bekommen, wird das Medium noch lange leiden.
Keine Frage: Es ist noch außerordentlich mühsam, mit Journalismus im Internet Geld zu verdienen, im Kleinen wie im Großen. Aber je mehr die Verlage in der einsetzenden dramatischen Krise die Honorare und die Qualitätsansprüche senken, umso größer wird der Anreiz, es auf eigene Faust zu versuchen – und die Wahrscheinlichkeit, dass es sogar gelingt.
Stefan Niggemeier ist freier Journalist und einer der bekanntesten Blogger Deutschlands ( www.stefan-niggemeier.de, www.bildblog.de) 2007 wählte ihn die mediummagazin-Jury zum „Journalist des Jahres".
Lesetipp:
Rupert Murdochs „Boyers Lectures" mit dem Titel „A Golden Age of Freedom":
http://www.abc.net.au/rn/boyerlectures/default.htm
Erschienen in Ausgabe 12/2008 in der Rubrik „Special“ auf Seite 38 bis 47 Autor/en: Stefan Niggemeier. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung de
r Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.