Diagnose

Hört bloß auf zu jammern (,SZ‘)!

Irgendwann war Frank Schirrmacher so weit, dass er in einem seiner Feuilletons die Aufzucht von Truthähnen mit der Krise am Finanzmarkt verglich und mehr oder weniger insinuierte, dass es nun bald für alle zur Schlachtbank gehe. Und wer’s nicht glaubt, der kann ja mal die anderen Zeitungen lesen, in denen es vor apokalyptischen Artikeln seit Monaten nur so wimmelt.

Man hätte ja glauben können, dass die Journalisten ein wenig schlauer geworden wären. Dass sie aus der Situation im Jahr 2001 gelernt hätten, dem Jahr des großen Crashs, der jetzt im Rückblick ganz klein aussieht. Damals hatte das mediale Wehklagen über die Rezession eben diese noch einmal gehörig befeuert und den Lesern jeden Tag so viel Angst eingejagt, dass sie jeden Cent sparten, anstatt in ein Abo zu investieren. Dabei hatten die Wirtschaftsredaktionen die Jahre zuvor noch die dubiosesten Geschäftsmodelle gefeiert, um dann ganz erstaunt zu sein, als die schönen Anzeigen all jener Murks-Firmen aus dem Internet und windiger Rechtevermarkter wie EM-TV plötzlich ausblieben. Da setzte unter Journalisten und Verlegern, die ihren Lesern sonst so gern Flexibilität am Arbeitsmarkt und im Leben predigen, ein Heulen und Zähneklappern ein, dass es einem peinlich war, zu dieser Jammer-Branche zu gehören. Aber immerhin hatte man die Hoffnung, dass die nächste Krise, wenn schon nicht antizipiert, so doch mit wesentlich mehr Anstand bewältigt wird.

Weit gefehlt. Gegen den Orkan an Larmoyanz, der derzeit durch die Blätter fegt, war die Krisenberichterstattung von 2001 fast ein Ausbund an Optimismus. Von Juli bis Mitte November erschien das Wort „Rezession" allein in der „Süddeutschen Zeitung" in 399 (verschiedenen!) Artikeln, das Wort „Wirtschaftskrise" immerhin noch in 182. Am 13.11. beschäftigten sich 18 Artikel mit der wirtschaftlichen Schieflage – im Politikteil, im Feuilleton, im Vermischten und natürlich in der Wirtschaft. Bei der „Welt" sah es mit rund 300-maliger Nennung des Wortes Rezession ähnlich schlimm aus, den Vogel schoss die „FAZ" mit über 500 Rezessionen ab. So schafft man wie damals die psychologischen Voraussetzungen, damit die Krise noch schlimmer wird. Die Medien verkünden schlechte Nachrichten, die Leser reagieren und behalten ihr Geld, und schon sind noch schlechtere Nachrichten da, die man verkünden kann. Auch eine Art Schweinezyklus.

Die Journalisten haben so gar nichts gelernt aus den früheren Krisenzeiten. Diesmal staunten sie jahrelang über die Tollkühnheiten der Hedgefonds, nun schreiben sie jeden Tag, dass alles noch viel schlimmer ist, als man dachte. Aber wurde überhaupt gedacht? Lieber als die tollen Infografiken über die US-Immobilienkrise, die nun in die Blätter gerückt werden, hätte man vor einem Jahr mal ein paar mahnende Zwischenrufe gehabt. Und vor allem weniger Gläubigkeit den Wirtschaftsinstituten gegenüber, deren erratische Prog- nosen immer noch so regelmäßig wie der Wetterbericht abgedruckt werden. Damit soll gar nicht gesagt sein, dass die Lage nicht bedrohlich ist, aber sie ist nie so, dass man in jeder Nachrichtenspalte Weltuntergangsstimmung verbreiten müsste. Dabei klagen ausgerechnet die Verlage, die in den vergangenen Jahren ganz gut verdient haben, am meisten. Ausgerechnet die „SZ", die mit dem Verkauf von Filmen, Büchern und Weinflaschen inzwischen eine Art Tchibo der Branche geworden ist, greint am lautesten und stellt harte Einschnitte in Aussicht. In der Krise werden ihre Manager in schöner Regelmäßigkeit geschmacklos. Vor sechs Jahren, als bereits mächtig gekürzt und entlassen werden musste, wurden viele der Betroffenen nicht mal von der Chefredaktion oder der Geschäftsführung über ihren Abgang informiert – das ließ man lieber die Ressortleiter machen. Redakteuren, mit denen man doch sprach, bläute man ein, dass jeder, der auf Abfindung klagt, nie wieder Land sieht. Und auch diesmal machen die Redaktionsleiter der Wirtschaft den Ackermann und schicken eine degoutante E-Mail an die verschreckten Kollegen, in der sie sich dreist erkundigen, ob nicht jemand etwas anderes vorhat, als bei der „SZ" zu arbeiten. Gutes Krisenmanagement sieht anders aus. Zumal sich der verloren gegangene Stil inzwischen auch in manchen journalistischen Objekten des Hauses nicht mal mehr mit der Lupe finden lässt: In einem am Reißbrett zusammengeschluderten Blatt wie dem Elternheft „Wir", in dem „SZ"-Redakteure schildern, wie sie sehr zum Gaudi ihres Nachwuchses auf allen vieren durch die Wohnung kriechen, jedenfalls nicht.

Aber anstatt gegen eine solche Aufweichung der Marke aufzubegehren, klagt das Gros der „SZ"-Belegschaft lieber darüber, dass sich im neuen Hochhaus die Jalousien selbstständig machen und überhaupt die ganze Meister-Eder-Haftigkeit der alten Schreibstube fehlt. Dabei kann dem Laden Licht und Luft nur guttun.

Man hat sowieso den Eindruck, dass die kurze Inkubationszeit, in der die Krise die Zeitungen erreicht haben soll, wohl auch dem Kalkül der Manager entspricht, um nie gewollte Objekte nun endlich auf Eis zu legen – bei der „SZ" ist das die Sonntagsausgabe, bei Gruner + Jahr verunglückte Neuheiten der letzten Jahre, die CEO-Chef Bernd Kundrun – der Krise sei Dank – nun ohne Gesichtsverlust einstellen kann. Und Turkey-Schirrmacher? Der fängt mangels einer Strategie bei der „FAZ" schon mal an, sinnvoll zu sparen und lässt seinen Sohn im Feuilleton schreiben. Über das Computerspiel „World of Warcraft", dessen feindliche Umgebung Schirrmacher senior aus dem echten Leben schon kennt.

Erschienen in Ausgabe 12/2008 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 76 bis 77. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.