Intelligente Alleskönner

„Vision und Wirklichkeit klaffen im digitalen Deutschland auseinander"

Hartmut Scheffler

Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts TNS Infratest, das u. a. die Studie „(n)onliner-Atlas" und den TNS Convergence Monitor herausgibt.

„Wir leben in einer Übergangsphase von der analogen in eine digitale Fernsehwelt. Junge Menschen verbringen immer mehr Zeit im Internet, aber auch dort nutzen sie teilweise TV-Inhalte, diese haben bloß eine andere Form. Die Medien können sich also gegenseitig befruchten. Microsoft-Chef Steve Ballmer glaubt, dass es in zehn Jahren keinen Medienkonsum mehr gibt, der nicht über ein IP-Netzwerk kommt. Unsere Studie zeigt: Es geht es in diese Richtung, aber der Prozess wird länger dauern. Ein Indiz: Nur ein Drittel der von uns befragten Deutschen hat von IPTV schon mal gehört, und von denen wiederum weiß die Hälfte nicht, was der Begriff bedeutet. Die Mercer-Studie von 2006 erwartete für 2008 schon 1,2 Millionen deutsche IPTV-Haushalte, tatsächlich sind es wohl eher 200.000. Der Hauptgrund ist das im internationalen Vergleich sehr vielfältige Free-TV-Programm. Das wird wohl auch in Zukunft die Erfolgschancen von IPTV beeinträchtigen. Der Rückstand liegt aber auch an der bisher mangelhaften Kommunikation. Die Befragten zeigten sich durchaus interessiert an IPTV, wenn man ihnen die Vorteile erklärt. Ganz anders beim Handy-TV – das ist ein Angebot auf der Suche nach einem Bedürfnis."

„Du sollst meine Zeit nicht stehlen!"

Timucin Güzey

Head of Xenion Wiesbaden, der Online-Agenturzweig der Media-Agenturgruppe Aegis Media Deutschland.

„Natürlich verfolgen wir als Kommunikationsagentur mit großem Interesse die Entwicklungen der digitalen Medien. Insbesondere der Bereich Mobile zeigt neue Perspektiven auf, die im Markt zwar seit Jahren diskutiert werden, aber jetzt erst richtig greifen. Das Handy etabliert sich zunehmend zu einer Schnittstelle für Kommunikation und Entertainment, beflügelt von Produkteinführungen wie dem iPhone. Wir haben in einer Marktforschungsstudie gemeinsam mit Vodafone, der IP und unserem Kunden Opel getestet, in welchen Situationen und Formen Handybesitzer gerne Mobile TV nutzen möchten. Die Nutzung hat vor allem eskapistische Motive: Langweilige Wartesituationen sollen überbrückt werden. Favorisiert werden kurze Formate, in die man jederzeit einsteigen kann. Das hat Implikationen für mobile Programme. Gewünscht werden vor allem 10- bis 30-minütige Formate aus den Genres Nachrichten, Comedy und Boulevard. Wenig Interesse besteht an Spielfilmen und Serien. Auch die Werbung muss kurz sein. Auf dem Handy gilt ein Grundsatz für Werbungtreibende: Du sollst meine Nutzungszeit nicht stehlen!"

„TV-Produzenten werden zu Multiplattform-Produzenten"

Claire Tavernier

Senior Executive Vice President von FMX (London), der Geschäftsbereich Neue Plattformen der weltweit operierenden britischen Produktionsfirma FremantleMedia (größtes Erfolgsformat: „Pop Idol" / „DSDS", das in 41 Länder verkauft wurde).

„In Großbritannien werden in diesem Jahr die Werbeeinnahmen im Internet mit 3,56 Milliarden Pfund die TV-Werbeeinnahmen (3,39 Milliarden Pfund) erstmals überholen. Das ist eine beunruhigende Tendenz für TV-Produzenten. Wir haben bei FremantleMedia deshalb drei Strategien entwickelt: Wir recyceln unseren TV-Content, wir verlängern TV-Formate auf digitalen Plattformen und wir schaffen neue Inhalte für digitale Plattformen. Letzteres ist am schwierigsten, weil wir dafür auch neue Geschäftsmodelle entwickeln müssen. Wir glauben nämlich nicht mehr, dass die Nutzer bereit sind, für Inhalte im Netz zu zahlen – das sind sie offensichtlich nicht. Wir glauben aber sehr wohl, dass Fernsehen noch sehr lange der primäre Weg sein wird, um ein großes Publikum zu erreichen. Gemeinsame Erlebnisse machen Fernsehen relevant. Diese Erlebnisse in einen neuen Kontext auf digitalen Plattformen zu überführen, dabei neue nicht-lineare Formen des Geschichtenerzählens zu entwickeln, die jeweils für spezielle Zielgruppen relevant sind, das sind unsere Herausforderungen."

„Medienkonvergenz muss erlebbar werden"

Stefan Arbanowski

Director Competence Center Smart Environments. Er koordiniert die Aktivitäten des FOKUS Media Interoperability Lab des Fraunhofer Instituts in Berlin (MIL). Mit Partnern aus Industrie und Forschung arbeiten Wissenschaftler im MIL an der Integration traditioneller Broadcast Systeme mit Next Generation Networks.

„Medienkonvergenz ist als Schlagwort in aller Munde. Wir bewegen uns auf einem riesigen technologischen Schlacht- feld. Aber: Konvergenz bedeutet, nicht nur technische Möglichkeiten zu schaffen, sondern sie auch für die Nutzer verstehbar, erlebbar und benutzbar zu machen. In unserem Konvergenzprojekt haben wir ein mögliches Fernseh- und Werbeszenario einer nicht mehr allzu fernen Zukunft inszeniert. Mit der TV-Fernbedienung melde ich mich als User an, kann zwischen Live-TV und Video-on Demand wechseln. Auf Grund meiner Vorauswahlen bekomme ich persönliche Empfehlungen für weitere Filme. Ich kann den TV-Bildschirm für Instant Messaging und Live-Chat nutzen und anderen Nutzern Fotos, Filme oder Videos empfehlen. Die Werbung ist per Targeting auf mich persönlich zugeschnitten. Werbung im Live- oder On Demand-TV-Programm ist mit interaktiven Zusatzfunktionen hinterlegt, die ich anklicken kann, Bestellbutton inklusive. Meine Medien- und Wareneinkäufe kann ich im virtuellen Einkaufswagen kontrollieren. Abgerechnet wird über mein persönliches Konto."

„Enriched TV ist die Weiterentwicklung des Fernsehens"

Michael Heise

Leiter Produktmanagement bei RTL interactive in Köln, verantwortlich für die Online-Angebote und das Casual Games Angebot www.rtlspiele.de. ; davor arbeitete er für die Pixelpark AG.

„Das RTL ab dem Jahr 2008 ist ein professionelles werbefinanziertes Bewegtbild im linearen TV und im enriched TV – das sind nicht-lineare Abrufangebote oder themenbasierte Communities. Die Marke RTL funktioniert auf allen Kanälen, nur die Nutzungssituationen sind verschieden. Auf unsere Plattform RTLnow stellen wir mittlerweile über 90 Prozent unserer Formate als "7 Day Catch Up Free TV" zur Verfügung. Ab 2009 wird das noch einfacher sein. Wir haben eine Vision vom "besseren Fernsehen": Der Zuschauer will nicht erst über Portale gehen müssen, sondern er will mit einem Tastendruck zwischen linearem und nicht-linearem Angebot wechseln können. Wir werden für das enriched TV auch neue Werbeformen entwickeln, zum Beispiel den EPG im gebrandeten Skin oder Widgets für den Desktop. Und ab Ende 2009, nach Einführung der neuen EU-Richtlinie, wird es auch Product Placement geben."

„Meine Spülmaschine spricht mit meiner Waschmaschine"

Frank Thomsen

Partner des Münchner Innovationsbüros future matters, das sich unter anderem mit künstlicher Intelligenz und zukünftiger Mediennutzung befasst.

„Zukünftig werden die Mediennetze so intelligent sein, dass die Inhalte ihre passenden Nutzer selber finden. Um weiterhin produktiv sein zu können, werde ich einen persönlichen intelligenten Inhaltsmanager brauchen, der intuitiv bedienbar ist und mir Arbeit abnimmt. Alle Datenströme werden IP-basiert alle Inhalte auf alle Medien übertragen. Niemand wird mehr Fernsehsendungen mit dem Videorekorder aufnehmen, alles wird online jederzeit abrufbar sein. Brillen erzeugen virtuelle Displays im dreidimensionalen Raum. Das Handy verbindet sich mit anderen Displays und überträgt zum Beispiel Handy-TV auf meine Brille. Die OLED- und LCD-Technologie wird so günstig sein, dass wir Displays auch als Tapete nutzen werden. Auch unsere Elektrogeräte werden sich untereinander vernetzen. Meine Spülmaschine wird sich mit meiner Waschmaschine abstimmen, gemeinsam werden sie günstige Wasser- und Stromtarife finden und nutzen. TV und Radio als Live-Medien werden jedoch den Alltag immer noch strukt
urieren und vor allem bei großen Live-Ereignissen wie Wahlen oder Fußball-Turnieren Gemeinschaftserlebnisse erzeugen.

Ulrike Langer ist Redaktionsmitglied von „mediummagazin" und freie Medienjournalistin in Köln. eMail: redaktion@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 12/2008 in der Rubrik „Special“ auf Seite 48 bis 48 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.