Mit Brachialgewalt

Ein Hauch Verzweiflung schwingt in dem Appell, den Axel Ganz formuliert: „Die Journalisten müssen uns mithelfen, ihre Zukunft zu gestalten. Es wird ihnen gar nichts anderes übrig bleiben, sonst wird es zu einem großen Blättersterben kommen." Ganz ist Aufsichtsratsmitglied von Gruner + Jahr und hat dem Vorhaben des Verlags, drei Redaktionen zu kündigen, um die Wirtschaftsmagazine und die „Financial Times Deutschland" aus einer Zentralredaktion heraus produzieren zu lassen, vorab zugestimmt. Ganz ist kein Manager, dem die Arbeit von Redaktionen fremd ist, er ist beides –Manager und Journalist. Und er argumentiert, die Einführung von Zentralredaktionen sei ein Trend, der aus der Gleichung folgt: „Erlöse minus Kosten gleich Ergebnis. Und wenn die Erlöse sinken – das Anzeigenaufkommen wird das alte Niveau nicht wieder erreichen, gleichzeitig schrumpfen die Auflagen – müssen die Kosten verringert werden."

Diese Geschichte handelt davon, wie das Modell dieser Zentralredaktion funktionieren soll. Sie handelt auch von der rechtlichen Machbarkeit der von G+J gewählten Methode und der Frage, welches Signal Europas größter Magazinverlag damit aussendet. Es geht um die Zwänge, die den Vorstand treiben, und darum, inwieweit Journalisten sich auf andere Arbeitsweisen einzustellen haben bzw. wie das Verhältnis von Journalisten und Verlagen zueinander überdacht werden muss.

Der 19. November 2008 war jener „Schwarze Mittwoch", an dem die Mitarbeiter von „Capital" und „Impulse" in Köln sowie „Börse Online" in München erfuhren, dass sie gekündigt werden. „Impulse" ist knapp rentabel, bei den beiden anderen Magazinen fallen niedrige einstellige Millionenverluste an, die ein potentes Haus wie G+J nicht schrecken dürften. Dennoch werden alle 110 Stellen gestrichen, zehn weitere bei der mit geschätzten acht Millionen Euro stark defizitären „FTD". Vom 1. März nächsten Jahres an werden die drei Wirtschaftsmagazine von einer gemeinsamen Redaktion in Hamburg erstellt. Einer 250-köpfigen Redaktion, die obendrein für die „FTD" arbeiten wird. Die Kölner und Münchner Kollegen, heißt es, können auf Stellen bei der Zentralredaktion hoffen. Was man so hoffen nennt: Für die neuen Stellen besteht keine Tarifpflicht, zudem wird den ehemaligen G+J-Mitarbeitern kein Vorrang vor externen Bewerbern eingeräumt. Ohnehin gilt, dass alle erst einmal gekündigt werden.

Da scheint viel Zynismus durch. Von Menschenschach ist die Rede. Hier entledigt man sich 110 Stellen, ein paar hundert Kilometer weiter bietet man zu schlechteren Bedingungen halb so viele neue an. Wie soll eine Redaktion überhaupt drei unterschiedlich positionierte Magazine, eines mit wöchentlicher, zwei mit monatlicher Erscheinungsweise, und eine Tageszeitung erstellen – ohne Qualitätsverlust? „FTD"-Chef Steffen Klusmann, bald oberster Chefredakteur dieses Konglomerats, der G+J Wirtschaftsmedien GmbH, hat sich das Modell ausgedacht. Er sagt: „Ich habe mir fest vorgenommen, erst mal die Klappe zu halten und stattdessen anhand guter Hefte zu beweisen, dass eine gemeinsame Redaktion funktioniert. Vorher glaubt mir das eh keiner."

G+J ist kein Vorreiter in Sachen Zentralredaktion und Sparen. Überall werden derzeit Budgets gekürzt, befristete Verträge nicht verlängert, Einstellungsstopps verhängt und entlassen. Denkverbote werden aufgehoben. Die WAZ-Gruppe – bei einer Ausgangslage von 30 Millionen Euro Verlusten – führt gerade eine Zentralredaktion ein und trennt sich von einem erheblichen Anteil ihrer Journalisten (s. Seite 24ff.), Springer hat es bei der „Welt"-Gruppe vorgemacht und damit getan, was zu Beginn der Neunzigerjahre höchstens bei Fernsehzeitschriften im Heinrich-Bauer-Verlag denkbar war.

Thomas Breyer-Mayländer, Professor für Medienmanagement in Offenburg, kennt das Thema seit den späten Achtzigerjahren, wo es Versuche dieser Art in den USA und Skandinavien gegeben habe. „Ich erwarte, dass dieser Trend sich fortsetzen wird". Angesichts immer engerer wirtschaftlicher Spielräume für die Verlage müsse die Kostenstruktur verbessert werden. Die Frage aus Managementsicht sei, „welche Prozesse sind kostengünstig und ermöglichen dennoch eine vernünftige Qualität." Für die Titel müsse das kein Profil- und Qualitätsverlust bedeuten, sagt Axel Ganz: „Der Rohstoff, die Information, ist in einem homogenen Feld wie dem Wirtschaftsjournalismus derselbe. Auch wenn „Capital" als klassisches Wirtschafts-, „Impulse" als Mittelstands-, „Börse Online" als Anlegermagazin und die „FTD" als Tageszeitung je andere Zielgruppen bedienen: „Die Unterschiede zwischen den einzelnen Titeln ergeben sich aus dem added value, also dem, was der einzelne Journalist mit seinem Wissen, seinem Herangehen an ein Thema da- raus macht."

Das sieht der langjährige Chefredakteur Werner Funk, der seinen alten Arbeitgeber Gruner + Jahr ob der Vorgehensweise „nur noch bedingt wiedererkennen" mag, ganz anders. Zwar schätzt er Steffen Klusmann, einst Vize beim „Manager Magazin", als jemanden, der beides kann, Zeitung und Magazin. Abgesehen davon, dass es sich nicht mit dem bei G+J bewährten Chefredakteurs-Prinzip vertrage, wenn „Chefredakteure zu Markenverantwortlichen degradiert werden", sagt er: „Jedes Magazin muss seine eigene Philosophie leben, sonst wird es austauschbar, dem Internet immer ähnlicher. Die Erfolgsgeschichte einer Zeitschrift ist die Erfolgsgeschichte ihrer Mannschaft, einer Mannschaft, die sich mit ihrem Magazin identifiziert. Alles, was von einer Zentralredaktion zu erwarten ist, ist, fürchte ich, eine einzige Mulche. Das werden, soweit sie es nicht schon sind, Blätter ohne Ecken, ohne Kanten, mit wenig Seele und damit überflüssig." Den Umstand ausgeblendet, dass einer dem anderen die Schuld für konzeptionelle Fehlentwicklungen bei „Capital" gibt, dürfte Funk dem früheren „Capital"-Chef Ralf-Dieter Brunowsky zustimmen. Der spricht von einer „Katastrophe": „G+J opfert praktisch drei Magazine, um den Jahresverlust der journalistisch zwar gut gemachten, aber defizitären, FTD‘ mit den bei den Magazinen eingesparten Stellen für ein Jahr auszugleichen." Es werde immer die Zeitung sein, die sich die guten Geschichten abgreife, da sie den größeren und aktuellen Bedarf habe, „der Rest wird als Müll bei den Magazinen entsorgt". Die „Panik" der Manager begründet er damit, dass sich G+J „aus Sicht von Bertelsmann von einem Geldbringer zur lame duck entwickelt hat, die nun in der Ecke steht, ohne Wachstumsperspektive, weder im In- noch im Ausland."

Die Zeiten, in denen Blattmacher wie Adolf Theobald eine Zeitschrift wie „Capital" mit ihrem Verständnis von Journalismus zu einer großen, profitablen Marke gemacht haben, waren andere. Deshalb muss nicht falsch sein, wenn er sagt, ihn schmerze, dass sich „,Capital‘ vom Journalismus der Arvato-isierung zugewandt" habe: Ganz nach Art der Bertelsmann-Tochter Arvato (ein Kommunikations-Dienstleistungsunternehmen), aus der der heutige Vorstandschef Hartmut Ostrowski hervorgegangen ist, würden „Abonnenten benutzt, um ihnen Dienstleistungen zu verkaufen. Leser erwarten von einer Zeitschrift etwas anderes." Die Umstrukturierung bedeute für die Titel „eine Einstellung auf Raten, dann zu geringeren Kosten". Die wahre Frage sei, was Bertelsmann mit seinen G+J-Anteilen plant, und ob Print für die Gütersloher noch ein Zukunftsmodell ist. „Natürlich wird es heißen, diese Zentralisierung sei der einzig richtige Weg gewesen, sonst wäre alles noch viel schlimmer geworden. Mag ja sein. Der Markt wird die Antwort geben".

Hinter der Kritik stecken auch Zweifel, ob ein Journalist gleichzeitig in Kategorien einer Tageszeitung und eines Magazins, in unterschiedlichen Marken und Erscheinungsrhythmen zu denken fähig ist. Andererseits: Muss das nicht jeder freie Journalist? „Freie Journalisten sind selbststä
ndige Unternehmer, die gelernt haben, sich auf unterschiedliche Kunden, Zielgruppen und Konzepte einzustellen. Redakteure können das nur bedingt, denn sie identifizieren sich voll und ganz mit ihrem Blatt und mussten solche Flexibilität bisher nicht lernen." Das sagt „brand eins"-Chefredakteurin Gabriele Fischer, deren Magazin der Spiegel-Verlag einst keine Zukunft gegeben hatte und das heute am Kiosk so viel wie „Impulse", „Börse Online" und „Capital" zusammen verkauft.

Für „brand eins" arbeitet nur eine Handvoll fest angestellter Redakteure. Wesentliche Säule sind freie Journalisten. Trotzdem hat das Magazin ein klares Profil. Ist demnach eine eingeschworene Redaktionstruppe gar nicht vonnöten für einen eigenständigen Zeitschriftencharakter? Das Problem sieht Fischer tiefer: Leider würde die überaus große Bedeutung der Identität eines Magazins „in vielen Verlagen ebenso vernachläs- sigt wie die Bedeutung des Lesers, der nicht mehr im Mittelpunkt der Anstrengungen steht, sondern nur noch Grundlage für das Anzeigengeschäft ist." Entsprechend verschwommen erscheinen ihr die Identitäten von „Capital", „Börse Online" und „Impulse" zu sein. Doch wenn mangelnde Identität das wahre Problem ist, ist es ihr ein Rätsel, „wie sich das ändern soll, wenn die Titel von einer Zentralredaktion gemacht werden, die sich per se nicht mit den Marken identifizieren kann."

Erst recht rätselhaft ist das, da der Verlag mit seinem Vorgehen die Belegschaft gegen sich aufgebracht hat. Die Krise habe eine „neue Eskalationsstufe" erreicht, in der Redaktionen keine „heilige Kühe" mehr seien. „Die Verlage sind gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, die nicht mehr im Konsens zu realisieren sind", sagt der Münchner Unternehmensberater Hans-Jörg Schmidt. Es kommt auf die Methode an: Einen Titel einzustellen, wie es immer wieder passiert, könne zwar bei dauerhaften Defiziten sinnvoll sein, sagt Schmidt. Doch das sei „kein langfristig unternehmerisches Handeln", denn „damit hätte der Verlag zwar keine Kosten mehr, aber eben auch keine Erlöse. Die Einrichtung einer Zentralredaktion ist dagegen eine unternehmerische, weil strukturelle Maßnahme." Die allerdings nur dann Sinn macht, „wenn die Qualität der Titel nicht in einem Maß sinke, dass es der Leser merkt."

Letztlich geht es um Einschnitte in Redaktionsabläufe, um neue Anforderungen an die journalistische Arbeit. Wenn also – wie Ganz es formuliert – die Journalisten mithelfen müssen, „ihre Zukunft zu gestalten", was bedeutet, dass sie den Verlagen Verständnis entgegenbringen sollen, dann sollten Verlage überdenken, wie sie im Gegenzug mit den Journalisten umgehen. Gabriele Fischer sagt: „Als Chef eines Teams kann ich nicht motivieren, ich kann nur aufhören zu demotivieren. Nur so kann ich dafür sorgen, dass die Eigenmotivation der Mannschaft bestehen bleibt. Ich frage mich, wie G+J seine Wirtschaftsmagazine retten will, wenn er gleichzeitig die Mannschaft mit Gewalt demotiviert."

Damit zum Kulturbruch, den G+J praktiziert, und zum in Kauf genommenen Imageschaden. Sein oberster Grundsatz unternehmerischen Denkens und Handelns lautet: „Gruner + Jahr steht für eigenständige, glaubwürdige und unabhängige Inhalte von höchster Qualität. Diese können nur in einer Atmosphäre, die pluralistisch, liberal und journalistisch unabhängig ist, entstehen." Weiter heißt es: „Der Schlüssel zum Erfolg sind die Mitarbeiter". Gesellschaftliche Verantwortung, Pflege des Betriebsklimas, Familienfreundlichkeit, dialogorientierte Führungskultur – alles Begriffe, die G+J für sich beansprucht. Sie wirken nun wie Lippenbekenntnisse. Ist das deutsche Arbeitsrecht schuld?

Heilige Kühe sind Redaktionen längst nicht mehr. Nach dem 11. September 2001, der ersten Anzeigenkrise, wurde in vielen Redaktionen entlassen. Sozialverträglich sollte es zugehen. Die Folge: Junge, ledige, kinderlose Journalisten mussten als Erste gehen, mag es auch weniger Leistungsbereite, weniger Motivierte gegeben haben: So verloren Redaktionen viel frisches Blut. In dieser Hinsicht mag das Vorgehen von G+J verständlich sein. Nur die Kündigung aller ermöglicht es, sich von jenen Mitarbeitern zu trennen, die verkrustete Strukturen mitgetragen haben mögen oder nicht motiviert sein dürften, sich, noch dazu für weniger Geld, auf völlig neue Arbeitsbedingungen einzustellen. Unter der Hand heißt es bei G+J, es sei eben juristisch unmöglich, jenen, die man behalten wolle, anzubieten, sie zu schlechteren Gehältern in der neuen Zentralredaktion weiter zu beschäftigen. Daher die Radikallösung. Kann G+J damit durchkommen?

Der Konzernbetriebsrat hat die Anwälte Klaus-Müller Knapp in Hamburg und Henner Wolter in Berlin engagiert. Die Mitarbeiter werden G+J mit Prozessen überziehen. Durchaus erfolgversprechend, sagt die Berliner Medienarbeitsrechtlerin Dorothee Höch. Im Kern, sagt sie, geht es um die Frage, ob die betriebsbedingte Kündigung aller Mitarbeiter wirksam ist. Das könnte sie nur sein, wenn der Betrieb stillgelegt wird.

Dagegen spricht, dass die Zeitschriftenmarken erhalten bleiben, es weiterhin einer Redaktion bedarf, die Chefredakteure – abgesehen von Klaus Schweinsberg, der bereits bei „Capital" gekündigt hat – dieselben bleiben und wohl auch PCs und Teile der Büroausstattung mit nach Hamburg umziehen.

Das alles sind Argumente für einen Betriebsübergang, die den Redakteuren die Weiterbeschäftigung sichern würde, zumal die Aufgaben der bisherigen Tochterfirmen von einer neuen GmbH unter demselben Konzerndach fortgeführt werden. Sollte sich erweisen, dass es dem Verlag nur darum ging, bisherige Leistungen nicht mehr zu zahlen, steht es gut um die Aussichten der klagenden Mitarbeiter auf Weiterbeschäftigung bei der neuen Zentralredaktion, und zwar zu denselben Bedingungen. Hoffen kann der Verlag darauf, dass sich Klagewillige auf einvernehmliche Aufhebungsverträge mit entsprechenden Abfindungen einlassen. Welche juristisch spitzfindige Konstruktion sich G+J auch gezimmert haben mag, sagt Höch: „Die Argumentation des Verlags bleibt definitiv problematisch".

Möglicherweise müssen sich Redaktionen anders strukturieren, möglicherweise stimmt, was Axel Ganz sagt, dass Zentralredaktionen ein Ausweg sind und bald etwas völlig Normales. Möglicherweise wird es andere Modelle geben, wie Redaktionen und Journalisten eine enge Zusammenarbeit gestalten können. Doch gerade in ökonomisch schwierigen Zeiten, in denen Verlage die Mithilfe der Journalisten einfordern, sollten sie anständig mit ihnen umgehen.

Erschienen in Ausgabe 12/2008 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 20 bis 22 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.