Nägel mit Köpfen

Nägel mit Köpfen zu machen ist ein schönes Bild für die Arbeit von Journalisten – schließlich geht es um Qualität. Sachverhalte müssen zugespitzt werden, der professionelle Blick trennt Wesentliches von Unwesentlichem. Der Volksmund verbindet mit Nägeln allerdings noch andere Bilder: das von den „vernagelten" Zeitgenossen etwa. Oder das von dem Menschen mit dem Hammer in der Hand, für den Probleme in charakeristischer Weise ihre Form verändern.

Leider beschreiben diese Bilder Journalisten ebenso treffend wie das eingangs erwähnte. Wirkliche Innovationen, die von der Redaktion ausgehen, sind in Medienhäusern Mangelware. Dies könnte – verückterweise – nicht zuletzt an den hohen Qualitätsstandards liegen.

Der Harvard-Business-School Professor Clayton M. Christensen beschrieb erstmals 1997 ein Phänomen, das er „Innovator’s dilemma" nannte: Großartige Firmen ruinierten sich selbst, indem sie nach herkömmlichen Regeln alles richtig machten – sich beispielsweise an den Bedürfnissen ihrer Kunden orientieren.

Christensen ging es in seiner Analyse um den Umgang von Industrieunternehmen mit Technik. Technologien teilt er dabei grob in zwei Klassen: „Aufbauende", die bestehende Verfahren auf hohem Niveau immer weiter verbessern, und „Unterbrechende", die einen ganz neuen Ansatz versuchen. Letztere sind in der Regel billiger, einfacher, kleiner und oft bequemer zu bedienen. Sie sind jedoch bei der Einführung mit gleicher Regelmäßigkeit qualitativ schlechter als der bestehende Standard, weshalb sie von Profis abgelehnt werden.

Dieses Modell erklärt hervorragend, warum beispielsweise Kodak nicht zum Vorreiter bei der Einführung von digitalen Kameras geworden ist – schließlich war (und ist vielleicht in den Augen einiger Profi-Fotografen) die Auflösung viel zu pixelig –, warum Sony seine Minidisk durchsetzen wollte und die Einführung von Festplattenrecordern ebenso wie den iPod verpasste (Argument: Speichersicherheit) oder warum nicht die Telekom eigene Handys auf den Markt gebracht hat (wer will schon in so schlechter Sprachqualität mit all den Funklöchern telefonieren …).

Die aufgeführten Beispiele zeigen eines deutlich: diese Unternehmen haben die Einführung neuer Techniken nicht verschlafen. Sie haben sie durchaus wahrgenommen und mit guten Argumenten verpasst. Sie konnten sich die Dynamik und das Tempo nicht vorstellen, mit dem zwar günstige, aber qualitativ minderwertige Produkte den Kinderschuhen entwachsen und auf Grund ihrer sonstigen Qualitäten – z. B. klein, einfach zu bedienen, komfortabel zu nutzen auf Grund von Portabilität – nicht nur neue Käuferschichten erschließen, sondern die Kundenbasis des Marktführers überzeugen und so das eigene Geschäft eruieren.

Medienhäuser könnten angesichts der sich ändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Mediennutzungsgewohnheiten in einer vergleichbaren Situation stecken. Die relative Nutzungsdauer der klassischen Medien geht seit Jahren zurück. Studien wie die ARD/ZDF-Langzeitstudie „Massenkommunikation" zeigen deutlich, dass sich das Mediennutzungsverhalten der heute unter 30-Jährigen signifikant von älteren Generationen unterscheidet. Das Internet hat ungeheuer an Bedeutung gewonnen, was natürlich zu Lasten anderer Medien geht. Gänzlich neue Nutzungsformen entstehen. Man denke nur an MP3-Player oder auch an Gratiszeitungen, die in europäischen Nachbarländern die bezahlten Blätter als meistgelesene Tageszeitungen bereits abgelöst haben oder auf dem Weg dorthin sind.

Finanzkräftige Verlagshäuser in Deutschland versuchen das Innovationsdefizit im eigenen Haus durch Beteiligungsprogramme an externen Kleinunternehmen zu bekämpfen. Dies können Journalisten in der Regel nicht. Aber neue Ideen fördern, junge Kollegen und Nicht-Profis einbinden, Produkte für Nichtleser entwickeln, Experimente auf allen Kanälen zulassen – den Freiraum dazu können und müssen sich Journalisten im Inte- resse ihrer eigenen Zukunftsfähigkeit schaffen. Dabei geht es in erster Linie um Organisationsformen. Insofern ist es essenziell notwendig, dass Führungskräfte ein Klima für Innovation schaffen, ja geradezu einfordern.

Google verlangt von seinen Mitarbeitern, dass 20 Prozent ihrer Arbeitszeit für Projekte verwendet werden, die nicht mit der Tagesroutine zu tun haben. Dies führt keineswegs zum Däumchendrehen, sondern zu einem Leistungsdruck ganz anderer Art: erstens muss die reguläre Arbeit ohne Zusatzentlohnung so organisiert werden, dass sie tatsächlich bewältigt werden kann – und zweitens muss am Ende etwas präsentables Neues stehen. Dies kann alleine im stillen Kämmerchen ausgebrütet, in Zusammenarbeit mit Kollegen oder vielleicht auch mit Menschen ganz abseits der Alltagsarbeit entwickelt werden.

Erschienen in Ausgabe 12/2008 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 36 bis 37 Autor/en: Katja Riefler. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.