Nordischer Erfindergeist

Alles Gute kommt von oben: Der hohe Norden hat sich als beliebte Pilgerstätte für Journalisten und Verleger etabliert. Das skandinavische Zeitungsdesign genießt traditionell hohes Ansehen, in den vergangenen Jahren haben sich die Nord- europäer aber auch in anderen Bereichen als besonders innovativ und findig präsentiert. Pendlerzeitungen, Gratiszeitungen mit Hauszustellung und Qualitätsanspruch sowie Leserreporter sind nordische Entwicklungen des vergangenen Jahrzehnts, die mit Verzögerung auch auf Mitteleuropa übergegriffen haben.

Auch ich wollte während einer Studienreise durch Skandinavien von innovativen Redaktionen und Journalismusschulen lernen.

Die Qual der Wahl begann bei der Auswahl – zu viele für eine vierwöchige Tour. Die Fülle – ein möglicher erster Hinweis, dass die Vermutung stimmt, der Norden habe eine spezielle Innovationskraft. Doch noch ist nichts geprüft. Dank eMail und der offenen nordischen Mentalität war das Organisieren einfach. Alle hießen mich spontan willkommen. Die Gespräche dauerten mehrere Stunden, die Kaderleute waren vorbereitet, sie ließen sich während des Gedankenaustauschs und den Führungen durch die Redaktionen nicht durchs Handy stören. Diese Verhaltensformen könnten zwei Gründe sein für die Innovationskraft der Skandinavier: Die Offenheit und die Konzentration auf das, was man gerade tut. Doch es spielen noch andere Aspekte eine Rolle. Fünf Thesen, warum die Kollegen in Nordeuropa Trends setzen und so viel Entwicklungskraft entfalten.

1. Optimismus – Keine Zweifel an der Zukunft des Journalismus

Grundsätzlich spürte ich einen großen Glauben an die Zukunft des Journalismus. Dafür wird hart gearbeitet und dafür wird immer wieder auch einiges verändert. „Es ist heute die wichtigste Aufgabe von Führungsleuten, allen bewusst zu machen, dass sie dauernd auf Neues gefasst sein müssen. Was heute richtig ist, kann morgen überholt sein. Wir müssen uns mit kritischer Offenheit auf Veränderungen einlassen," sagt Lars Jespersen, Chefredakteur der oft besuchten dänischen Regionalzeitung „Nordjyske". Dieser Aspekt wird überall betont. Und gekoppelt mit der Forderung nach Leadership und professionellem Management. „Wechsel ist heute ein Lifestyle, Wechsel ist ein Prozess, nicht ein Projekt", so Jesperson weiter. Gleichzeitig betont er, dass nicht alles verändert werden muss. Dass es sehr gut zu bewerten und abzuwägen gilt, wo und vor allem wann eine Neuerung sinnvoll ist. Möglicherweise ist es diese Sorgfalt, die bewirkt, dass viele der skandinavischen Medienschaffenden sich für ein multimediales Arbeiten gewinnen ließen. Pflicht war es nirgends, sanften Druck gab es indes schon. Nochmals Jesperson: „Wir versuchen es mit Motivation – gemäß dem Vierergespann: Vertrauen, Druck, Ziele, Lohn."

2. Flache Hierarchien

Auffällig sind zudem die flachen Hierarchien. Bei „Bergens Tidende" sagt man, der Chefredakteur sei „vom Boss zum Leader zum Coach" geworden. Das zeigt sich auch in der redaktionellen Anordnung. Überall gibt es Großraumbüros, der Chefredakteur sitzt da irgendwo. Bei „Bergens Tidende" hat er immerhin einen Fensterplatz – die meisten anderen allerdings auch. Als einziges Alleinerkennungsmerkmal orte ich bei ihm eine rote Rückseite beim PC-Monitor. Und auch das mag Zufall sein. Allerdings werden auch im Norden an wenige – meist ältere – Redakteure Konzessionen gemacht und ihnen Einzelkojen zugewiesen. Doch bei den Rundgängen werden diese stets leise belächelt.

Die offene Raumaufteilung, die in den meisten neu organisierten Redaktionen zu sehen ist, ist Teil eines bewussten Managements. „Journalismus ist Kommunikation", sagt Grig Grimelid, Ressortleiter Politik bei „Bergens Tidende". Diese beginnt mit der ersten Idee. Man redet miteinander, diskutiert, streitet, sucht nach Lösungen. Und dies im Idealfall über Funktionen hinweg. Dabei sind flache Hierarchien förderlich. Sie haben aber möglicherweise noch einen weiteren Effekt: Die Mitarbeitenden fühlen sich mehr verpflichtet zu eigener Kreativität.

3. Pragmatismus

Die Kreativität ist gut eingebettet in die recht pragmatische Vorgehensweise. „Versuche es, statt immer darüber zu sinnieren", so ein Motto. Und da meine ich auch ein relativ unverkrampftes Zugehen auf die Leser, Zuhörer, Zuschauer zu sehen. Das Berufsbewusstsein ist offenbar groß genug. Man befürchtet nicht den Prestigeverlust, wenn man sich stark – auch – am Gegenüber orientiert, wenn man die Artikel mit wirklich großen Fotos ergänzt oder sich überlegt, welche Serviceleistungen die Nutzerinnen und Nutzer schätzen. So ist es möglich, dass in Schweden eine Lokalzeitung den Nacht-Webdienst für viele andere kleine übernimmt – eine einzelne Redaktion könnte sich den 24-Stunden- Betrieb kaum leisten.

Dieser Pragmatismus fördert wahrscheinlich auch das intensivere Zusammenarbeiten mit Technologieunternehmen. Schwedens „Dagens Nyheter" („DN") spannt mit Telenor und Nokia zusammen und lässt maßgeschneiderte Lösungen erarbeiten – beispielsweise, dass „DN" gleich beim Einschalten aufscheint und bei einem bestimmten Mobiltelefon als Bookmark installiert ist. Zwar hat man noch kaum ein Geschäftsmodell – und die Nachfrage ist noch bescheiden. Aber man wartet nicht, man will Trendsetter sein – und deshalb in einem ersten Schritt den Kunden die Angst vor der Technik nehmen.

4. lebenslanges Lernen

Und schließlich ist wohl wieder eine Frage der Grundeinstellung, dass alle, wirklich alle Gesprächspartner in den Redaktionen von Weiterbildung reden. Ohne dass ich sie darauf anspreche. In Skandinavien hat Schulung einen hohen Stellenwert, man muss nicht alles wissen, aber man ist interessiert zu wissen. Beim „Svenska Dagbladet" höre ich den Satz: „Wenn man etwas Neues lernt, gewinnt man auch den Respekt dafür." Das zeigt, es geht nicht nur und nicht so sehr um die Erweiterung handwerklicher oder technischer Kompetenzen. Es geht um die Haltung, die Einstellung. Beim Kader und bei den Journalisten. Alle besuchten Redaktionen organisieren Workshops für ihr Management – nicht Ein-Tages-Kurse, sondern eine Woche. Beim „Svenska Dagbladet" genossen vergangenes Jahr alle Redakteure eine zweiwöchige Weiterbildung zum Thema neue Medien. Dabei ging es, so Martin Jönssen, „um das Gefühl fürs Netz. Wir wollen, dass das neue Lust und Freude macht."

5. Gesunder Ehrgeiz

Man kann einwenden, dass all diese Möglichkeiten einfacher zu realisieren sind als bei uns, da im Norden mehr öffentliche Gelder in die Medien fließen. Mag sein, dass finanzielle Mittel einiges erleichtern. Doch Geld allein schafft selten ein innovatives Klima. In Skandinavien meine ich neben der beschriebenen Offenheit, dem Pragmatismus, der Sachorientierung noch einen Grund gespürt zu haben:

Einen gesunden Ehrgeiz statt fal- scher Bescheidenheit. Man will der Beste oder der Erste sein oder zumindest bei den Besten dabei sein. Nicht nur in der Region. Sondern im Land. Oder gar international. Dafür leistet man einiges. Wenn dann Awards gewonnen werden, werden die- se stolz gezeigt, in der Redaktion und den Lesern und Zuschauern. Auch die- se schätzen es, wenn sie zum Kreis eines ausgezeichneten Mediums gehören.

Erschienen in Ausgabe 12/2008 in der Rubrik „Special“ auf Seite 50 bis 51 Autor/en: Sylvia Egli van Matt. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.