Platz in der Nische

Guter Journalismus lebt von guten Ideen. Diese stammen im Idealfall von motivierten Mitarbeitern. Die Umsetzung der Ideen zu neuen Projekten hält die Medienbranche in Gang. Sei es auf kleiner Ebene, etwa bei der Umsetzung einer neuen Serie, eines neuen Angebots für Leser innerhalb eines bestehenden Titels. Oder sei es auf größerer Ebene, etwa bei der Konzeption eines neuen Mediums, als gedrucktes Magazin, Sendung oder Online-Angebot.

Ein Blick auf die Situation der Medienbranche offenbart auf den ersten Blick Ideenarmut. Die Zahl wirklich interessanter Neuheiten beispielsweise auf dem Zeitschriftenmarkt ist überschaubar – trotz der großen Bandbreite am Kiosk. Auf Kongressen und Diskussionspodien landauf und –ab werden immer dieselben Erfolgsbeispiele herumgereicht: „Neon", „Landlust", „InTouch", „brandeins" oder „Cicero". Wirklich taufrisch ist allerdings keiner dieser Titel, so gut deren Erfolg für die Branche insgesamt auch ist. Hinter der vermeintlichen Ideenarmut steht ein Mangel an Risikobereitschaft und finanziellen Ressourcen in den Verlagen, originelle Ideen auch konsequent umzusetzen. Dazu kommt erschwerend die nun schon weltweite Rezession. In einer solchen Phase, die einen Einbruch der Anzeigenumsätze mit sich bringt, ist kaum damit zu rechnen, dass neue Projekte gestartet werden beziehungsweise Mitarbeiter eingestellt werden.

Für Journalisten stellt sich also die Frage: Was tun? Einsteiger brauchen einen Fuß in der Tür, von Personalabbau bedrohte Angestellte sollten nach möglichen Alternativen suchen, etablierte Kollegen müssen sich überlegen, ob sie lieber auf ihrer derzeitigen Position überwintern wollen oder ein Risiko eingehen und den Job wechseln. Aber wohin?

Ein Blick in das Jobportal auf www.newsroom.de (das wie das „Medium Magazin" zum Verlag Johann Oberauer gehört), vermittelt eine gute Übersicht, für welche Art von Jobs gerade Mitarbeiter gesucht werden bzw. in welche Projekte Medienhäuser aktuell investieren. Grundsätzlich überwiegen fast in jeder Woche die neu ausgeschriebenen Stellen für Mitarbeiter in Public Relations oder Marketing-Abteilungen gegenüber den rein journalistischen Stellen. Klassische Redakteurs- oder Reporterstellen sind im Vergleich zu crossmedial ausgerichteten Jobs in der Minderzahl. Und: Redakteure mit Fach- oder Spezialwissen sind mehr gefragt als Allrounder.

Natürlich gelingt es beispielsweise guten Nachwuchsjournalisten gelegentlich noch immer, direkt von der Journalistenschule zum „Spiegel" oder anderen Ikonen des Qualitätsjournalismus aufzusteigen. Doch etliche Journalisten, die als Idealvorstellung noch immer einen Posten vor Augen haben, auf dem sie vorzugsweise für ein gedrucktes Medium arbeiten, viel herumkommen und Zeit für große, investigative Geschichten haben, können sich diesen Traum abschminken. Denn Geld wird in vielen Verlagen derzeit in Internet-Projekte investiert – in dieses Medium wandert, wenn auch nicht so schnell wie erhofft, das Werbegeld. Mit klassischen Medien lässt sich zwar nach wie vor viel mehr Geld verdienen als mit Onlinemedien, trotzdem gilt das Web als Zukunft. Da der Kuchen insgesamt aber nicht größer wird, drücken Medienunternehmen bei ihren etablierten Umsatzbringern auf die Kostenbremse und verhängen reihenweise Einstellungsstopps. So geschehen u. a. bei der WAZ-Gruppe in Nordrhein-Westfalen, bei Gruner+Jahr, bei der „Frankfurter Allgemeinen" und beim Jahreszeiten-Verlag (u. a. „Merian", „Petra"). Die Dunkelziffer von Unternehmen, die ähnliche Maßnahmen ergriffen haben, dürfte beträchtlich sein.

Das Problem der Akzentverschiebung zum Internet: Alle Experten sind sich derzeit einig, dass Qualitätsjournalismus für Online-Angebote, die kein Schwestermedium in der analogen Welt haben, nicht finanzierbar ist. Zumindest noch nicht. Auch auf dem Jahreskongress der Zeitschriftenverleger Mitte November fiel dieser Satz, in einem Vortrag von Alexander Mogg, Partner bei Roland Berger Strategy Consultants. Doch Mogg machte auch Hoffnung. „Nur Qualität wird sich durchsetzen", sagte er. Die Zukunft liege in klar positionierten Premium-Zeitschriften und Nischentiteln. Einstellen müssten sich Journalisten auf neue Strukturen. Statt für einen einzigen Titel zu arbeiten, würden immer häufiger „Redaktions-Cluster" gebildet, aus denen heraus gleich mehrere Marken und Kanäle bedient werden. Siehe die Zusammenlegung der vier Titel der Gruner+Jahr-Wirtschaftspresse in Hamburg zu einer „Redaktion Wirtschaft".

Was also sind die Alternativen, die sich in Zukunft im Journalismus bieten werden? Ein Kategorisierungsversuch sieht so aus:

1. Der Königsweg: Der Gewinn eines Ideenwettbewerbs

Ziemlich unwahrscheinlich, aber einen Versuch wert ist die Teilnahme an einem Ideenwettbewerb. So gewann der Journalist Dennis Buchmann im vergangenen Jahr den Kreativwettbewerb „Scoop" der Axel Springer Akademie. Gemeinsam mit Vollprofis wie Jan-Eric Peters (u. a. „Max", „Welt") und Designer Mirko Borsche (u. a. „Zeit", „SZ-Magazin") konnte Buchmann, der erst vor Kurzem seine Ausbildung an der Münchner Journalistenschule beendete, ein Reportagemagazin namens „Humanglobaler Zufall" konzipieren. Das hochwertig produzierte Heft erschien Ende November zum vierten Mal. Nun ist erst einmal Schluss, wie Springer bereits zum Start des Heftes angekündigte. Im kommenden Jahr wird ein neuer „Scoop" gesucht. Gewinner Buchmann, an den damit die Rechte an „Humanglobaler Zufall" zurückgehen, durfte mit dem Heft einen Traum träumen, der in der Medienlandschaft nicht mehr vielen Journalisten vorbehalten ist.

G+J hatte bereits zwei Mal verlagsinterne Kreativwettbewerbe ausgelobt (aus denen beispielsweise das Hundemagazin „Dogs" hervorging) und sucht nun auch extern „die Medien-Idee des Jahres". Bei dem Wettbewerb „Grüne Wiese" durften bis zum 30. November Konzepte für Print, Online, Mobile oder für Bewegtbildformate eingereicht werden. Das Siegerteam wird am 12. März 2009 gekürt und bekommt neben einem Preisgeld von 10.000 Euro „die Gelegenheit, die Weiterentwicklung des Konzepts maßgeblich mitzugestalten", heißt es in der Ausschreibung. Der Nachteil eines solchen Wettebwerbs liegt auf der Hand: Man tritt die Rechte an dem Konzept an den Auslober des Preises ab. Man wird dann als Gewinner nicht selbst zum Verleger, sondern ist Angestellter des Verlags.

2. Für Traditionalisten: Premium- und Nischentitel

Für Journalisten, die dem Bild des klassischen Redakteurs nachhängen, liegt die Zukunft am ehesten in der Nische. Spitzenzeitungen und -zeitschriften bauen Personal ab statt auf, und die Umfänge der Publikationen sinken, sodass weniger Platz für Geschichten bleibt. Nischentitel bei Publikumszeitschriften sind in der Regel auf eine sehr eng definierte Zielgruppe zugeschnitten, können wegen ihrer direkten Ansprache an die Bedürfnisse der Leser einen vergleichbar hohen Copypreis nehmen und sind entsprechend hochwertig produziert. Beispiele für bereits erfolgreiche Nischentitel – die durchaus das Potenzial haben, mehr als 100.000 Exemplare zu verkaufen – sind „Neon", „Cicero", „Monopol" oder „Dummy". Ihr Vorteil: Heftkonzepte, die stark mit den Machern und ihren Ideen verbunden sind, lassen sich von der Konkurrenz nicht wie eine x-beliebige Frauenzeitschrift mal eben so kopieren.

Als älter positioniertes „Neon" für junge Familien will Gruner+Jahr im kommenden Jahr „Nido" auf den Markt bringen. Zunächst zwei Ausgaben 2009, dann möglichst regelmäßig. Neue Printtitel werden in Zukunft noch mehr als bisher getestet, bis sie in Serie gehen. G+J hat sich in den vergangenen Jahren von dem Prinzip, nur auflagenstarke Zeitschriften zu publizieren, verabschiedet. Da darf ein Lifestyle-Magazin für Hundebesitzer auch mal nur rund 60.000 Exemplare verkaufen und kann trotzdem bestehen. Ebenso arbeitet man in Hamburg an der Verbreiterung b
estehender Marken. Zu einem Überraschungserfolg wurde so „Brigitte Woman", ein Frauenmagazin für die Generation 40 plus.

Stark auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind auch neue Titel wie „Süddeutsche Zeitung Wir" (für Familien), „Zeit Literatur", „Zeit Campus" (für Studenten) und „ramp" (für Auto-Fans). Letzteres Magazin wird von Michael Köckritz verlegt, der eine Agentur für Corporate Publishing-Projekte in Reutlingen aufgebaut hat. Das Glück liegt also längst nicht mehr nur in Großverlagen. Stärker als bisher werden Trendthemen eine Rolle spielen: Ist die Gründung einer Familie plötzlich nicht mehr spießig, sondern hip, macht man daraus ein Magazin. Sind die Umweltfreunde „Lohas" eine heiße Nummer, bastelt man Websites ( www.utopia.de) und testet Magazine („Ivy", „My Life") – mit der ständigen Möglichkeit im Hinterkopf, dass nach wenigen Ausgaben wieder Schluss ist.

Nische ist nicht nur bei Zeitschriften, sondern auch bei spitz positionierten Zeitungen möglich. Beispiele sind die Mode- und Kunstzeitung „Liebling", hinter der Markus Peichl steht, und die politisch links verortete Wochenzeitung „Freitag", die vor wenigen Wochen der Journalist Jakob Augstein übernahm. Während Peichl voll auf die Kraft des gedruckten Mediums setzt, will Augstein ein kombiniertes Print- und Onlinemedium aus dem „Freitag" machen. Beide Titel sprechen eine kleine, aber anspruchsvolle Zielgruppe an.

3. Für Klatsch-Experten: People-Journalismus

Krise hin oder her: People-Journalismus ist der der Gewinner der vergangenen Jahre. Ob on- oder offline, gedruckt oder ausgestrahlt – Promis gehen immer. Klatsch-affine Journalisten mit dem nötigen Elan werden auf diesem Markt auch in Zukunft eine Chance haben.

Ökonomisch erfolgreich sind dabei allerdings weniger die Titel mit etwas mehr Tiefgang wie „Park Avenue" (das zum Jahresende eingestellt wird) oder „Vanity Fair", sondern eher die knallhart auf Fotos mit kurzen Texten gedrehten People-Postillen wie „in" (Klambt) oder „InTouch" (Bauer).

4. Für Spezialisten: Fachzeitschriften

Ob Experten für Elektrotechnik oder Medizin: vor allem mittelständische Fachverlage sind auf der Suche nach Journalisten, die verständlich über einzelne Branchen schreiben können. Anders als den Publikumsverlagen geht es einer großen Zahl von Fachverlagen noch vergleichsweise gut, denn ihre Informationen sind nicht nur nice to have, sondern must-haves für die Unternehmen der jeweiligen Industriezweige. Also gilt auch hier: Die Nische ist König. Das crossmediale Arbeiten ist in vielen Fällen üblich.

5. Für zukunftsorientierte Flexible: Online-Redaktionen

Große Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen wie „Welt", „Bild", „Süddeutsche", „Focus" und „Stern" haben in den vergangenen Monaten und Jahren eigene Online-Redaktionen aufgebaut. Ob sich diese Parallelredaktionen auch in wirtschaftlich schweren Zeiten aufrecht erhalten lassen oder wie beispielsweise bei „Welt" oder „Hamburger Abendblatt" die Integration von Print und Online vorangetrieben wird – auf diesem Feld bieten sich noch Möglichkeiten.

Erst vor wenigen Wochen startete das Leipziger Unternehmen Unister GmbH ein neues Nachrichtenportal namens „news.de", das einen kompletten Dienst in Konkurrenz etwa zu „Spiegel Online" oder „Netzeitung" anbieten will. Wo der Mehrwert von „news.de" im Vergleich zum Wettbewerb liegen soll, ist unklar. Im Impressum stehen etwa 20 Redakteure, die für „news.de" arbeiten. „Zoomer.de" aus dem Hause Holtzbrinck ist ein ähnliches Projekt, das ohne eine Anbindung an ein Printformat Nachrichten für eine junge Zielgruppe aufbereitet. Ob solche Unternehmungen Bestand haben werden – siehe die Aussage zu Qualitätsmedien im Netz –, wird sich in den kommenden ein bis zwei Jahren zeigen. Was jetzt schon klar ist: In absehbarer Zeit werden mobile Endgeräte mit Internetzugang erschwinglicher und damit populärer. Es wird daher nötig sein, neben einem Online-Auftritt spezielle für mobile Geräte zugeschnittene Angebote zu konzipieren. Einer der Vorreiter ist „Bild Mobil".

Die Aufgabe verlangt allerdings eher nach der Kunst der Verknappung denn nach kreativer Entfaltung. Für technikaffine Journalisten tut sich hier jedenfalls ein Feld auf, auf dem man sich noch Zukunftswissen erwerben kann.

6. Für Kompromissbereite: Corporate Publishing

Der Einstieg in Corporate Publishing ist mit einem Deal verbunden – man bekommt die Chance, an interessanten Projekten für meist zahlungskräftige Unternehmen zu arbeiten und wird dafür gut bezahlt. Dafür gibt man ein Stück journalistische Unabhängigkeit auf, denn eine Carte Blanche gibt es selten. Der jährliche Wettbewerb „Best of Corporate Publishing" ( www.bcp-award.com) zeigt, dass Unternehmensmagazine stetig an Qualität gewinnen und eine Großzahl von Geschichten, die in CP-Medien stehen, genauso auch in Publikumsmedien abgedruckt werden könnten.

Betätigungsfelder gibt es viele – führende CP-Projekte sind aber in der Hand von Agenturen wie BurdaYukom, wdv, Gruner+Jahr Corporate oder KircherBurkhardt.

Auch der mittelständische Klambt-Verlag kündigte gerade an, ins CP-Geschäft einsteigen zu wollen. Dort wird künftig ein Jagd-Magazin namens „Passion" produziert.

Der Beruf und seine Anforderungen verändern sich. Ob die Leidenschaft bleibt, wird sich zeigen.

Erschienen in Ausgabe 12/2008 in der Rubrik „Special“ auf Seite 32 bis 35 Autor/en: Christian Meier. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.