Projekte ohne Print

Viele Verlage geben sich alle Mühe, neue Geschäftsfelder zu erschließen, ohne dabei weitere Wälder abzuholzen. Der Bonner „General-Anzeiger" und dpa-infocom, die Multimediatochter der dpa, bringen in einem Feldversuch der Telekom personalisierte Inhalte auf das iPhone (s. a. MM 10/08: „Mobile Zeitungslektüre"). Der Axel Springer Verlag und der Elektronikkonzern Philips haben die Software „My Personal TV Digital" entwickelt, mit der die Nutzer individuelle TV-Kanäle aus IPTV-Sendern und Videoclips zusammenstellen können. Die 10.000 Mitglieder starke Reisecommunity von „Geo" bietet eine interaktive Weltkarte und eine Klimadatenbank. Hubert Burda Media betreibt und vermarktet mit Glam.de ein Online-Content-Netzwerk mit über 40 Channels aus redaktionellen und nutzergenerierten Inhalten zu Style-Themen und ist am weit größeren US-Pendant Glam.com beteiligt. Außerdem produziert das Medienhaus in seinem TV-Studio Web-TV-Serien für die eigene Portale und Kooperationspartner.

Bei vielen dieser von Papier und Druckerfarbe befreiten Projekte – wenn auch nicht gerade bei Shopping- oder Preisvergleichsportalen – spielt Qualitätsjournalismus eine wichtige Rolle. Er muss allerdings anders aussehen als der aus dem Internet ebenso bekannte wie hilflose Ansatz, Texte 1:1 aus Print zu recyceln. „Journalismus im Netz muss sich über die Übermittlung der schieren Nachricht hinaus auf seine traditionellen Fähigkeiten besinnen und diese in neue Formen überführen", sagt Christiane zu Salm, die bis Ende November Crossmedia-Vorstand bei Burda war. Journalisten müssten „Nachrichten in Zusammenhänge einordnen, Orientierungshilfe bieten, sinnvollen nutzergenerierten Content filtern und den Dialog mit den Nutzern moderieren." Für dpa-infocom-Geschäftsführer Meinolf Ellers steckt zum Beispiel im Community-Bereich noch unentdecktes publizistisches und wirtschaftliches Potenzial: „Bei der Storytelling-Kompetenz haben Verlage Potenziale, die sie selbst noch nicht erkannt haben." Vorbildlich findet er ein Projekt des „Hamburger Abendblatt". Anlässlich ihres 60-jährigen Bestehens lässt die Zeitung ihre Nutzer seit September eine lokale Fotochronik im Netz erstellen. Für solche Ideen lassen sich auch lokale Unternehmen als Sponsoren gewinnen, glaubt Ellers.

Moderatoren. Auch G+J braucht Journalisten als Moderatoren zwischen Redaktion und Nutzern. Zum Beispiel bei „Brigitte Young Miss", die schon seit zwei Jahren nicht mehr als Heft erscheint, online aber mit monatlich 11,6 Millionen Page Impressions und 300.000 Visits (IVW 10/08) in der ersten Liga der Frauenportale mitspielt. Im Juni 2008 eröffnete das Portal die Social Community BYM.WG. „Hinter all unseren Inhalten, bei BYM.WG ebenso wie bei Brigitte.de – ob nun Text, Bewegtbild oder Community – stehen immer auch hochqualifizierte Journalisten", betont Brigitte Huber, Chefredakteurin Neue Medien der Brigitte-Gruppe. „Gemeinsam mit versierten Online-Producern und Web-Designern entwickeln Journalisten seriöse, kreative und unverwechselbare Inhalte auf hohem redaktionellen Niveau." Die starke Plattform werde weiter ausgebaut und die Marke BYM.de gepflegt, ergänzt Antje Dittrich, Geschäftsführerin der Gruppe G+J Women New Media, „an guten Ideen mangelt es uns nicht".

Auf digitale Projekte haben sich auch die ersten Aus- und Fortbildungsstätten eingestellt. Die internationale Zeitungsorganisation IFRA in Darmstadt war bislang in der Branche eher für ihre Drucktechnik- oder Designschulungen bekannt. Mittlerweile können im neuen „Newsplex" Trainingszentrum Printjournalisten im zweitägigen Seminar „Journalismus für digitale Medien" beispielsweise trainieren, wie man in 160 Zeichen sinnvolle Beiträge für Twitter oder Handyportale verfasst. Eine zweijährige Multimediaausbildung bietet die Axel Springer Akademie, die sich „Deutschlands modernste Journalistenschule" nennt. „Einige unserer Schüler haben sogar schon während ihrer Ausbildung Angebote von anderen Häusern bekommen", sagt Akademie-Direktor Jan-Eric Peters. Doch alle Absolventen des ersten Teams, das Ende des Jahres fertig ist, haben ihren Springer-Redakteursvertrag schon in der Tasche. Es gehe darum, „eine neue Generation von Journalisten fit für die mediale Zukunft zu machen und hier Kompetenz aufzubauen, die für die Digitalisierungsoffensive des Hauses unerlässlich ist", so Peters. Das gelte für die Ausbildung, „aber natürlich auch für die Fortbildung von Redakteuren".

Wer digital auf mehreren Plattformen fit ist, investiert als Journalist in diesen Zeiten in die eigene Zukunft. Denn während die Zeitungen und Zeitschriften derzeit bei ihren Printtiteln massiv sparen – allen vo- ran die WAZ-Gruppe, der Südddeutsche Verlag und Gruner + Jahr –, wird in Onlineauftritte der eigenen Marken ungebrochen investiert. So setzt der Verlag Gruner + Jahr, der unter anderem seine Zeitschrift „Park Avenue" einstellen und die Redaktionen seiner Wirtschaftsmagazine in Hamburg zusammenlegen will, verstärkt auf Web-TV. Die „Süddeutsche Zeitung" will Redakteursstellen streichen und hat ihr Projekt Sonntagszeitung be- erdigt, aber der Onlinebereich ist gewachsen – zum Beispiel um einen interaktiven Stadtplan mit lokalen Diensten für München. Die WAZ will trotz ihrer Sparmaßnahmen, denen die eigenständigen Mantelredaktionen ihrer Zeitungstitel, 300 Arbeitsplätze und der Bezug des dpa-Basisdienstes zum Opfer fallen sollen, ebenfalls ihren Onlinesektor stärken. Lokalredakteure sollen im Umgang mit der Kamera geschult werden, um das Webvideoinventar zu vergrößern.

Mobile Vorreiter. Auf dem mobilen Sektor halten sich viele Verlage jedoch zurück (s. Kasten Seite 30). Mit einigen Ausnahmen: Zum Jahresende, mitten in der Krise, soll die mobile Version des WAZ-Onlineportals „Der Westen" starten. Und Silke Springensguth, Geschäftsführerin der DuMont-Verlagstochter DuMont Net, verkündet: „Die Mobile-Skepsis der Verlage können wir nicht teilen. Wir wachsen in diesem Segment sehr stark." Die mobilen Nutzer vor allem des „Kölner Stadt-Anzeigers" und des „Express" nähmen die Angebote, die mit Print und Online crossmedial verzahnt sind, erstaunlich gut an. „Das betrifft vor allem die Sportinhalte", sagt Springensguth: „Wenn der FC spielt, dann glühen bei uns die Mobilportale. Und das sind alles zusätzliche Reichweiten, das geht nicht auf Kosten von Print oder Online."

Bis sich die Investitionen der Verlage in neue Plattformen auszahlen, ist in den meisten Fällen allerdings noch eine Durststrecke zu überwinden, deren Länge niemand kennt. Die Online-Umsätze können gar nicht so schnell steigen, wie die klassischen Einnahmen aus Printanzeigen und Zeitungsvertrieb wegbrechen. Doch trotz teilweise offenbar dramatischer Entwicklungen – „SZ"-Geschäftsführer Karl Ulrich berichtete auf den Medientagen München von massiven Anzeigenverlusten – sind gedruckte Zeitungen und Magazine bislang noch immer die Cashcows der Verlage. Online sorgt nur für ein Zubrot. Bei Burda machten digitale Geschäfte 2007 insgesamt immerhin schon rund 15 Prozent des Gesamtumsatzes aus, bei Holtzbrinck waren es zwölf Prozent, doch andere Verlage liegen mit ihren digitalen Umsätzen teilweise noch unter fünf Prozent. Laut der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) steigen die Printwerbeeinahmen bis 2012 zwar nur um jährlich magere 0,7 Prozent auf fünf Milliarden Euro, während die Onlinewerbung zugleich um rasante 17 Prozent pro Jahr zunimmt. Doch damit wird Letztere auch in fünf Jahren erst 1,6 Milliarden Euro zu den Verlagseinnahmen beitragen.

Warum also investieren die Verlage schon jetzt massiv in eine digitale Zukunft, von der sie nur hoffen können, dass sie irgendwann auch eine Dividende abwerfen wird? Steffen Klusmann, Chefredakteur der „Financial Times Deutschland", brachte die Antwort jüngst im Marketing-Fachblatt „Horizont" auf den Punkt: „Kommende
Generationen informieren sich im Netz, auf Papier wird allenfalls noch gemalt." Vielleicht werde der eine oder andere später im Leben den Vorzug bedruckten Papiers entdecken, aber darauf wetten will Klusmann nicht. Auch Medienberater Robin Meyer-Lucht, Geschäftsführer des unabhängigen Think Tank Berlin Institute, hält die gedruckte, täglich erscheinende Tageszeitung für ein Auslaufmodell, das noch eine Weile profitabel sein und „in 15 bis 20 Jahren von der Bühne der Massenmedien abtreten" werde. Wenn diese Einschätzungen zutreffen, dann handeln jene Verlage richtig, die schon heute eine große Bandbreite digitaler Projekte in Bezug auf ihre journalistische Bedeutung und Markttauglichkeit testen.

Links:

Link zur Studie „Digitale Erlösquellen für Verlage" 2008: www.vdz.de

Link zur Studie „German Entertainment and Media Outlook 2008 – 2012 von PwC: www.pwc.de

Link zur Studie von Jupiter Research „European Paid Content and Activity Forecasts, 2008 – 2013: www.jupiterresearch.com

Auf welche Durststrecke müssen sich die Verlage einstellen?

Alexander von Reibnitz: Das weiss keiner. Es gibt nur eine bestimmte Umsatzerwartung. In drei Jahren wollen die Verlage mit ihren Medienmarken im Internet, mit ihren Beteiligungen und mit E-Commerce im Durchschnitt 13 Prozent ihrer Einnahmen erzielen. Das ist eine knappe Verdreifachung vom Jahr 2007. Gleichzeitig geht die relative Umsatzerwartung auf den klassischen Geschäftsfeldern Anzeigen, Vertrieb und Rubriken zurück. Das zeigt, dass die Verlage das Wachstum in Zukunft im Internet erwarten. Mit den Medienmarken im Internet lässt sich maximal ein Teil der Erlösrückgänge aus dem Anzeigengeschäft kompensieren. Der Vorteil ist aber eine niedrigere Kostenstruktur im Onlinebereich. Es fallen Druck-, Papier- und Distributionskosten weg.

Welche Chancen hat der Qualitätsjournalismus auf digitalen Plattformen?

Für Verlage ist Qualitätsjournalismus im Internet der entscheidende Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Informationsanbietern. Wie wichtig Usern die Berichterstattung von Verlags-Websites ist, zeigen die hohen Zugriffszahlen gerade jetzt in der aktuellen wirtschaftlichen Situation – fast alle renommierten Nachrichtenanbieter erfahren neue Traffic-Höchststände. Insofern gilt im Internet wie in Print „Qualität macht den entscheidenden Unterschied". Das sehen übrigens nicht nur die User, sondern auch die Media-Agenturen so. Unsere jüngste Mediaplaner-Befragung hat ergeben, dass ein qualitativ hochwertiges Umfeld gleichbedeutend ist mit redaktioneller Qualität. Als Garanten für erfolgreiche Branding-Kampagnen gelten den Planern folgerichtig News- und Special-Interest-Portale.

Welche Chancen werden Paid Content im Internet gegeben?

Da zerfällt der Markt in zwei Segmente. Publikumszeitschriften haben in der Regel Content, der frei zugänglich ist, weil sich durch die Vermarktung des Contentumfeldes an Werbetreibende höhere Umsätze erzielen lassen als durch den Verkauf des Contents. Sogar die "New York Times" hat sich von ihrem Modell "Times Select", bei dem besonders bekannte Journalisten und Kolumnisten exklusiv kostenpflichtig online abrufbar waren, wieder verabschiedet. Bei Fachzeitschriften ist das anders, die finanzieren sich online nicht so stark über Werbung, sondern mehr durch Verkauf ihres Spezialcontents. Sehr gut funktioniert das bei juristischen Fachartikeln, aber teilweise auch im Special Interest-Bereich, zum Beispiel bei den Testberichten der Stiftung Warentest.

Auch im E-Commerce sehen viele Verlage ein Wachstumsfeld. Wie kann das funktionieren, ohne dass es die Glaubwürdigkeit der Printmarke beschädigt?

Das muss man differenziert sehen. Einerseits gibt es schon sehr lange Verlagsprodukte, die unter der Medienmarke laufen, vom "Zeit"-Lexikon bis zur DVD- und Romanreihe der "SZ", die ja bewusst mit den Dachmarken werben. Das andere sind Beteiligungen im Online-Bereich, die teilweise nicht unter der Medienmarke laufen – bei Springer beispielsweise die Preissuchmaschine Idealo.de oder das Joint Venture mit Arcandor bei der Plattform MyBuy. Das sind getrennte Marken, die man online verknüpfen kann, aber das hat dann nichts mehr mit der ursprünglichen Medienmarke zu tun. Wichtig ist und bleibt eine klare Trennung zwischen redaktionellen Inhalten und werblichen Angeboten.

Bei der Refinanzierung mobiler Inhalte herrscht Skepsis. Woran liegt das?

Mobile Paid Content hat sich nicht durchgesetzt. Es gibt auch noch keine funktionierenden Geschäftsmodelle für Beteiligungen der Inhalteanbieter an den Umsätzen den Netzwerkbetreiber. Für nennenswerte Umsätze durch Mobile Advertising sind die Reichweiten noch nicht hoch genug. Allerdings gibt es mit dem iPhone und den weiteren Touch Phones mit bedienungsfreundlichem Browser sowie mit den ersten mobilen Flatrates jetzt zwei wesentliche Voraussetzungen, die dem mobilen Internet einen ordentlichen Schub geben können. Die- se Entwicklung hat aber gerade erst begonnen.

Links:

Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger im Internet: www.vdz.de

Erschienen in Ausgabe 12/2008 in der Rubrik „Special“ auf Seite 28 bis 31 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.