Diagnose

Die neuen Riefenstahls

Frank-Walter Steinmeier gehört nicht gerade zu den Menschen, die für ihre Aura bekannt sind – jenes Fluidum, das es Politikern leichter macht, die Wähler für sich zu begeistern. Dieses spezielle Charisma, das immer für ein paar Prozente gut ist, das Joschka Fischer angeboren war, und Steinmeiers einstigem Chef sowieso. Der Naturpolitiker Gerhard Schröder schaute selbst in einer Schrebergartenkolonie staatsmännisch aus. Aber Steinmeier? Der muss sich schon ein wenig mehr anstrengen, nicht allzu grau zu wirken, nicht zu langweilig. Aber da es schließlich Bilder braucht, auf denen er wie ein großer Politiker wirkt, muss ein Spezialist ran. Und da kann es eigentlich nur einen geben: Jim Rakete.

Jener Jim, eigentlich Günter Rakete, der einst in seiner Berliner Fabrik-Etage Nena Staub saugen ließ, bevor er sie groß herausbrachte. Der die Neue-Deutsche-Welle-Band Spliff managte – ein Mann, der also in der Erhöhung mediokrer Geister einschlägige Erfahrung hat. Nachdem er jahrelang deutsche A- und B-Prominenz aus der Filmbranche am liebsten dramatisch schwarz-weiß in Szene setzte, ist er nun der Erhöhungsspezialist der Politiker. Mit einem Auftrag für das Magazin „Cicero" fing der kometenhafte Aufstieg für Rakete an – mittlerweile kann er nicht mehr ohne Politik und die nicht mehr ohne ihn. Vor allem die SPD nicht. Vorläufiger Höhepunkt der gedeihlichen Zusammenarbeit war unlängst eine Reise nach Pakistan und in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo Rakete neben der Ablichtung von Frank-Walter Steinmeier noch Zeit für lobende Worte fand, als sei er der zweite Pressesprecher im Tross des Außenministers. Steinmeier, so befand Rakete aus der Tiefe des Raumes, sei authentisch und verbiege sich nicht.

Die Frage ist auch in der Tat eher, ob sich ein Fotograf verbiegt, wenn er sich als Künstler für die Inszenierung von Politik einspannen lässt. Zumal ein Fotograf, der wie Rakete gern den Rebellen raushängen lässt, den unbequemen Einzelkämpfer, dem es vor allem um seine Fotokunst geht. Und ob sich einer, der gern den aufrechten Linken gibt, verbiegt, wenn er ausgerechnet Steinmeier mit der Kamera hagiografiert, wo doch dessen Rolle beim jahrelangen Vergammelnlassen des Bremer Türken Murat Kurnaz im Knast von Guantánamo immer noch im Dunkeln liegt. Und bei dem gerade die Frage im Raum steht, ob er als Chef im Kanzleramt davon gewusst hat, dass BND-Spione die amerikanische Kriegsführung in Irak mit wichtigen strategischen Informationen versorgt haben – ganz entgegen der Lesart der rot-grünen Bundesregierung, die ja letztlich mit ihrer Opposition zum Irak-Krieg die Wahl gewonnen hat. Authentisch, soso.

Die Inszenierung der Macht und die Macht der daraus entstehenden Bilder haben in Deutschland ja eine gewisse Tradition, die nach den dunklen Jahren der Dämonenverherrlichung Gott sei Dank einen demokratischen Dreh bekam. So feierte ja Konrad R. Müller mit seiner Reihe von Kanzlerporträts zuallererst das Amt und weniger die Person – zudem war er überparteilich. Wie sich aber nun ambitionierte Fotografen in den Dienst einer Partei stellen, hat ein Gschmäckle und auch, wie freimütig sich Politiker ihrer bedienen. Man könnte auch fragen: Warum muss ein Rakete mit dem SPD-Kanzlerkandidaten auf Staatsbesuch, wenn doch Fotografen der Presseagenturen mit an Bord sind, die Bilder liefern? Es gibt Parlamentsberichterstatter, die schwören, das liege daran, dass viele Politikerreisen erfolglos, manchmal sogar inhaltsleer sind. „Schöne Bilder sind wichtiger als schöne Worte", hat der „Spiegel" einmal über die Pressepolitik von Angela Merkel geschrieben – und vor allem sind sie wichtig, wenn es nicht mal schöne Worte gibt.

Steinmeier mag die Kosmetik der Wirklichkeit am nötigsten haben, im Grunde aber hat er sich das Mittel nur abgeschaut: Im Politikmagazin „Cicero", wo Gerhard-Schröder- Freund Frank A. Meyer im Hintergrund die Fäden zieht, erschienen die Fotos von Rakete, auf denen der Kanzler a. D. grundsympathisch und zugleich titanenhaft ins Ungefähre schaut. So was, davon ist auszugehen, wollte der Kanzler in spe jetzt auch mal.

Aber auch Angela Merkel dient als Vorbild, wenn es um Fotopropaganda geht, denn die Kanzlerin beschäftigt ebenfalls eine Art Leibfotografin: die Französin Laurence Chaperon, die bevorzugt behandelt wird und im Gegenzug Merkel bevorzugt behandelt und Fotos abliefert, die in der Tat schöner sind als vieles, was sich zum Stichwort „Angela Merkel" in den Agenturen befindet. Man ist immer ganz geschockt, wenn man sieht, was es sonst noch gibt, und fragt sich, wa- rum diese Bilder nie in der Zeitung zu sehen sind.

Kritik an derlei Hagiografie ist nicht erwünscht. Das musste ein Reporter der „Frankfurter Rundschau" erfahren, der über das Reise-Paar Rakete/Steinmeier ein paar harmlose Zeilen geschrieben hatte (siehe www.fr-online.de / Stichwort: Steinmeier Jim Rakete) – und bei einem Hintergrundgespräch der SPD plötzlich prompt ohne Einladung blieb. „Es geht zunehmend darum, von sich selbst ein Medienbild zu entwerfen", hat Jim Rakete hellsichtig in einem „Spiegel Online"-Interview gesagt. Und statt den eigenen Anteil an der Entdemokratisierung der Presse zu thematisieren, hat er selbstsicher angefügt: „Ich kenne eigentlich wenig Leute, die sich später haben versauen lassen. Entweder du bist ein Guter oder du bist es nicht. Das wird auch immer so bleiben." Für ihn stimmt das schon mal nicht.

Erschienen in Ausgabe 01+02/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 72 bis 73. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.