Was bringt Twittern?

Dieser Kommentar hatte es in sich:Nach einer aufgebauschten angeblichen „Verschwörung" im US-Wahlkampf schrieb „Welt Kompakt": „Was für eine Drecks-Obama-Geschichte. Morgen bestellen wir AP ab. Diese hirnlosen Affen! Bringen den ganzen Abend durcheinander. Mit nichts." Paff. Das saß. „Twittern" nennt man das, was die junge „Welt Kompakt"-Redaktion da auf ihren Seiten schrieb – Kurznachrichten in maximal 140-Zeichen-Länge. Ob spontaner Wutanfall, Unlust („müssen gesamte Seite umbauen") oder fröhliche Banalitäten („Weihnachtsfeier hat uns nicht geschadet. Wir sind frisch wie der junge Morgen") – was auch immer in der Redaktion der „Welt Kompakt" passiert, landet über den Microblogging-Dienst Twitter in Echtzeit auf den PCs oder den Handys der Nutzer. Rund 1.800 Nutzer haben bisher als sogenannte „Follower" die Nachrichteneinträge („Updates" oder „Tweets") von Nutzer „weltkompakt" abonniert.

Die Kommunikation ist keine Einbahnstraße, denn „Welt Kompakt" verfolgt ihrerseits wiederum, was rund 1.700 andere Nutzer als Kurznachrichten verschicken. Die Gemeinde ist – im Vergleich zu Auflagen- und Online-Größen – noch winzig, aber sie wächst rasant. Vor allem aber ist sie für Medienmacher eine ungewöhnlich interessante Zielgruppe: „Das sind in der Mehrzahl Leute, die sehr aktiv, vielfältig interessiert und bereit sind, neue Möglichkeiten auszuprobieren", sagt Frank Schmiechen, stellvertretender Chefredakteur und Ober-Twitterer des Springer-Blattes. Die Nutzer bringen die Redaktion laut Schmiechen „täglich auf neue Ideen, sie weisen uns auf interessante Websites oder Themen hin, die für unsere Zeitung wichtig sind". Wenn irgendwo gerade etwas Ungewöhnliches passiert, dann erfährt es die „Welt Kompakt" per Twitter mit Glück innerhalb von Sekunden. „Das funktioniert allerdings nur, wenn wir auch selbst etwas für die Twitter-Gemeinde leisten", betont Schmiechen. Dieser Mehrwert ist für die Abonnenten der spontanen „weltkompakt"-Kurznachrichten (darunter keineswegs nur Journalistenkollegen) offenbar der ungefilterte Einblick in das Seelenleben einer Zeitungsredaktion.

Steile Karriere. Bis vor Kurzem war dieses Microblogging ein Phänomen, das nur Insider der Webszene eifrig nutzten. Doch weil Twittern völlig simpel, noch einfacher als eine SMS am Computer zu schreiben und die Kommunikationsoftware kostenfrei ist, verbreitet sich die aktive Nutzung viel schneller als die Nutzung von Blogs oder Podcasts – oder gar das aktive Bloggen und Podcasten. Zudem ist der Netzwerkeffekt sehr groß, weil zwar auch einige Microblogger bei Bleeper, Frazr, Yammer, Wamadu etc., aber die weit überwiegenden Nutzer bei Twitter versammelt sind. „Twittern" ist ein ähnlich generischer Begriff wie „googeln" geworden. Vor allem aber ist Twitter seit Obamas innovativem Web 2.0-Wahlkampf und spätestens seit den Anschlägen von Mumbai als Trendthema im Mainstream angekommen. Über die bewegenden Live-Berichte des indischen IT-Firmenmanagers Vinukumar Ranganathan („vinu") berichteten die Medien weltweit. „vinu" schilderte per Twitter, was gerade passierte und verlinkte dabei auf seine fast zeitgleich aufgenommenen Bilder, die er auf die Foto-Community Flickr hochlud.

Doch auch die Gefahren eines weltumspannenden nutzergenerierten Echtzeit-Mediums zeigten sich in Mumbai deutlich. Falschmeldungen von Wichtigtuern verbreiteten sich ebenso rasch und wurden teilweise ungeprüft von etablierten Medien übernommen. Beim Einsatz von Twitter gelten dieselben journalistischen Handwerksregeln wie im Umgang mit allen Quellen, betont deshalb Katharina Borchert, Chefredakteurin des WAZ-Gruppe-Online-Portals „Der Westen". Dessen Twitter-Nachrichten folgen mittlerweile rund 1.000 Nutzer. „Man muss sagen, woher man etwas hat, ob es dafür eine Bestätigung gibt oder ob es nur eine einzelne Stimme ist", sagt Borchert. Aber das sei bei Eilmeldungen ohnehin oft so, bis sich die Faktenlage klärt.

Geringer Aufwand. Mumbai war für die klassischen Medien offenbar eine Initialzündung. Eine Online-Umfrage des Mediendienstes turi2 im Dezember lieferte innerhalb weniger Stunden 43 Statements, in denen Medienmacher begründeten, warum und wie ihre Redaktion oder sie persönlich twittern. „Es läuft ein bisschen wie zuvor mit dem Bloggen, nur diesmal steigt die Akzeptanz viel schneller. Der Mix aus halbprivaten Meldungen und das Gefühl, am Puls der Zeit zu sein, kommt offenbar an", so die Einschätzung von turi2-Redakteur Peter Schwierz: „Wenn die Lokalzeitung mich bei Twitter über den Großbrand im Nachbarort informiert, bin ich als Leser doch dankbar."

Inzwischen nutzen in Deutschland rund 30 Zeitungen und Zeitschriften Twitter, noch im Spätsommer waren es erst eine Handvoll. Inzwischen merken auch immer mehr Verlage, dass Twittern weder ein neues Budget noch einen hohen Aufwand bedeutet – vor allem mit dem zeitlichen Aufwand fürs Bloggen ist Twittern nicht vergleichbar. Es reicht durchaus, wenn ein web2.0-affiner Redakteur ein halbes Dutzend Mal am Tag kurze Kommentare abgibt – die auch dazu genutzt werden können, auf Berichte auf der eigenen Homepage zu verlinken. Idealerweise verfolgt dieser Redakteur dann auch, was andere Nutzer aus dem Verbreitungs- oder Themengebiet zu sagen haben und schaltet sich auch mal in Diskussionen ein. Die meisten Twitterer benötigen für ein Engagement in diesem Umfang höchstens eine Stunde täglich.

Interessantes Nutzerprofil. Die Online-Redaktion der „Lübecker Nachrichten" ist seit 1. Dezember dabei und vermeldet in lockerem Tonfall Lokalpolitisches, Staumeldungen, Sieger von Gewinnspielen und sie geht auch auf Kommentare von Nutzern ein. „Wir wurden von Twitterern aus der Region freundlich aufgenommen und versuchen, sie mit interessanten Tweets bei der Stange zu halten", sagt LN Online-Chef vom Dienst Andreas Heß. Zunächst sei die Redaktion durchaus „mit Skepsis" gestartet, „weil es doch nur um Gezwitscher geht". Doch die Zurückhaltung habe sich als unbegründet erwiesen, „weil wir sehr schnell gemerkt haben, dass sehr viele Menschen twittern, die auch wirklich etwas mitzuteilen haben".

Noch begrüßt die LN Online Redaktion jeden ihrer neuen Kurznachrichten-Abonnenten persönlich (in den ersten zwei Wochen waren es 40). Auch die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" (HAZ), die schon seit April 2007 mit Twitter experimentiert, hat erst 270 Follower. Mit den Auflagenzahlen der Zeitung oder den Visits auf der Website sei diese noch sehr niedrige Zahl natürlich nicht vergleichbar, sagt Marcus Schwarze, Ressortleiter Online. „Aber bis zu 270 Leser dürfen wir nun direkt am Schirm oder auf dem Handy mit unseren Infos unterbrechen. Und die machen, wenn wir gut sind, wiederum ihre Followers auf unsere Geschichten aufmerksam", gibt Schwarze zu bedenken. „Twitter ist damit ein neuer Kanal, über den wir unsere Botschaften und Nachrichten viral bewerben können." Neue Twitter-Nutzer an die HAZ-Kurznachrichten zu binden, ist Schwarze so wichtig, dass er dafür sogar in die eigene Geldbörse griff. Für jeden neuen Abonnenten des Twitterstreams (nach zwei Wochen immerhin 120) spendete er einen Euro an die Weihnachtshilfe der HAZ.

Noch gibt es keine Studie darüber, wie viel ein Twitter-Nutzer „wert" ist, ob Fans eines Zeitungsauftritts bei Twitter beispielsweise auch zu Abonnenten der gedruckten Zeitung werden. Keiner weiß, ob sie 50, 100 oder 1.000 andere Nutzer auf einen Printtitel und dessen kommunikativen Kanäle aufmerksam machen. Unklar ist auch, ob über diesen Kanal jemals unmittelbar Geld zu verdienen ist, Twitter ist vorerst werbefrei. Doch soviel ist schon klar: Twitterer sind überdurchschnittlich junge, gebildete, einkommenstarke Multiplikatoren. Und somit genau die Nutzer, die Verlage an ihre Produkte binden wollen.

Inzwischen gibt es sogar schon Dienstleister, die Medien beim Twitter-Start u
nterstützen. Die Paderborner Indiginox GmbH und der Hamburger Medienberater Peter Knoll wollen für Verlage nutzergenerierte Informationen erschließen. „Dabei darf aus unserer Sicht Twitter als ein vorhandener, von aktiven Usern stark genutzter Kanal nicht ausgeschlossen werden", so Knoll. Sein Dienst „Citywatchr" verbindet auf Medienwebsites Twitter-Nachrichten von Usern mit passendem Nachrichtenkontext und ortsbasierten Informationen. Bisher ist der Dienst für Berlin, Hamburg und München verfügbar.

Hype oder langfristiger Trend? Doch welchen Wert sollten Redaktionen dem Twittern einräumen? Für eine realistische Einschätzung der momentanen Bedeutung von Twitter plädiert Focus Online-Chefredakteur Jochen Wegner, der privat bereits seit April 2007 twittert – „gerne und mit zunehmender Begeisterung". Dennoch gehört Focus Online zu den rund 20 deutschen Printmedien, die (vorerst) als mediale Einbahnstraße nur ihre RSS-Feeds per Twitter verbreiten – als Nachrichtenticker für Hinweise auf eigene Beiträge mit den entsprechenden Links. „Spiegel Online" füttert Twitter seit Mitte Dezember 2008 mit Links zu Online-Meldungen und gewann innerhalb von zwei Wochen 1500 Abonnenten. „Focus Online" erreicht mit seinem Hauptfeed und neun nach Ressorts gebündelten Feeds (Start Mai 2007) rund 800 Twitter-Abonnenten. „Wer uns per Twitter kontaktieren möchte, kann dies über meinen Zugang oder die Zugänge meiner Kollegen tun", sagt Wegner. „Auf diesem Weg erhalten wir pro Monat vielleicht 50 Kommentare." Die Redaktion suche keineswegs „dringend einen neuen Feedback-Kanal – da bauen wir eher auf die 80.000 User-Kommentare pro Monat unter unseren Artikeln", so Wegner. Allein mit der Auswertung und Moderation dieser Kommentare sind zwei feste und acht freie Mitarbeiter beschäftigt.

Aber er sieht im Twittern ein zunehmend interessantes Zusatz-Feature für Redaktionen, denn „wenn man den richtigen Leuten folgt, wird man auf Trends und Themen sehr viel schneller aufmerksam." Das schätzt Twitterfan Katharina Borchert ähnlich ein. Noch wisse niemand, ob und wie sich der neue Kanal in puncto Leser-Blattbindung bemerkbar macht. Aber: „Man kann jedenfalls die Markenreichweite erhöhen", glaubt die Online-Chefin der WAZ-Gruppe. „Und darauf aufmerksam machen, dass wir verstanden haben, dass diese Form der Kommunikation für viele Menschen zur Lebensrealität gehört."

Linktipp:

Twitternde Medien:http://tinyurl.com/5hyrub

medial twitter-kings: http://tinyurl.com/8bfypk

Turi2-Umfrage: http://tinyurl.com/6am476

Blog zum Twitter-Buch: http://mit140zeichen.de

Lesetipp:

Nicole Simon und Nikolaus Bernhardt: „Twitter – Mit 140 Zeichen zum Web 2.0", Open Source Press, Dezember 2008, 19,90 Euro

Erschienen in Ausgabe 01+02/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 26 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.