„Das Phänomen wird bleiben“

?Müssen Redaktionen twittern oder geht der Hype vorüber?

Nicole Simon: Nein, das Phänomen wird bleiben. Menschen wollen sich unmittelbar mitteilen und Twitter erfüllt dieses Bedürfnis auf ganz einfache Weise. Selbst wenn das Unternehmen hinter Twitter von heute auf morgen pleitegeht, dann werden andere sofort an dessen Stelle treten. Jetzt haben Redaktionen noch die Zeit, mit dem Medium zu spielen und sich in Ruhe damit vertraut zu machen. Irgendwann aber nicht mehr, weil dann alle anderen schon da sind. Wenn eine Redaktion heute noch nicht twittern möchte, sollte sie zumindest schon mal ihre Claims abstecken und ein Account unter ihrem Namen reservieren. Und dann sollte die Redaktion zunächst in einer geschlossenen Gruppe üben. Ein öffentlicher Auftritt einer großen Zeitung kann sich keine Spielwiese leisten, der muss sofort professionell aussehen.

Die Nutzerzahlen sind ja noch sehr gering …

Es gibt in Deutschland schätzungsweise einige zehntausend Twitterer. In nackten Zahlen ist das eine zu vernachlässigende Größe. Aber diese Leute können sich in Echtzeit untereinander vernetzen, es sind Multiplikatoren, die Themen setzen und Trends generieren. Viele einflussreiche Twitterer haben sich inzwischen fast völlig diesem Medien verschrieben und schreiben kaum noch etwas auf ihren Blogs.

Wie können Redaktionen Twitter sinnvoll einsetzen?

Zwischen dem bloßen Reinstellen von RSS-Feeds und extrem dialoglastigen Twitter-Feeds ist vieles möglich. Es gibt den twitternden Chefredakteur, es gibt die Redaktion hinter dem Twitterfeed oder einzelne Redakteure, die auf ihrem eigenen Account twittern. Die Rollen sollten nur klar definiert sein, damit keine Erwartungen enttäuscht werden.

Sollen bekannte Journalisten unter ihrem eigenen Namen twittern?

Ja, absolut, wenn sie erstens verstehen, dass Twitter kein banaler Blödsinn ist, sondern ein wichtiges Werkzeug für die „Marke" eines Journalisten sein kann. Und wenn sie zweitens mit der Unmittelbarkeit umgehen können. Das vorausgesetzt, ist Twitter ein wunderbarer Kanal, um Leser zu Followern zu machen. Leser, die von einem bestimmten Autor, dessen Perspektive und Schreibstil gar nicht genug bekommen können. Die Follower begleiten einen Journalisten durch dessen Alltag. Ich persönlich würde sehr gerne mehr Twitterstreams von großen Journalisten lesen, weil ich davon ausgehe, dass die sich zwei, drei Mal am Tag in 140 Zeichen vom Handy aus in klugen Kommentaren äußern können.

Wie sinnvoll ist die Übernahme reiner RSS-Feeds aus dem Online-Portal?

Von einer Redaktion erwarte ich durchaus, dass die wichtigsten Nachrichten als Feed eingespielt werden. Aber bitte nicht 500 Nachrichten am Tag reinstellen, sondern eine Auswahl der vier oder fünf wichtigsten Meldungen des Tages. ula

Tipp: Das ausführliche Interview mit Nicole Simon ist nachzulesen unter www.mediummagazin.de und http://medialdigital.wordpress.com

Erschienen in Ausgabe 01+02/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 29. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.