?Angenommen, Sie treffen einen Gebührenzahler und der fragt Sie: „Was ist denn dieser Drei-Stufen-Test, von dem da immer die Rede ist?" Was antworten Sie?
Dieter Dörr: … dass mit dem Verfahren ermittelt werden soll, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk wirklich neue Angebote im Internet starten soll – oder nicht. Letztlich geht es um die Frage, ob ein neues Angebot einen journalistischen Mehrwert mit sich bringt.
Aber das wurde doch hoffentlich schon immer geprüft?
Das Problem ist: Die Beauftragung von ARD und ZDF war bislang nur sehr allgemein gehalten. Es gab einfach keine konkrete Bestimmung darüber, was die ARD, das ZDF und das Deutschlandradio machen dürfen. Das hat die Europäische Kommission beanstandet. Deshalb wird dieser Auftrag mit dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag genauer bestimmt. Dann muss abgeklopft werden, ob entsprechende Angebote schon im Netz verfügbar sind und wie sich ein gebührenfinanziertes Angebot auf einen schon besetzten Markt auswirken würde. Andere Angebote – etwa von Verlagen und Privatsendern – könnten ja wirtschaftlich Schaden erleiden, wenn eine öffentlich-rechtliche Konkurrenz dazukommen würde.
Mit Einführung des neuen Testverfahrens sollen auch die bestehenden Internetseiten von ARD und ZDF überprüft werden. Darf es „tagesschau.de" nicht mehr geben, weil „Spiegel Online" & Co da sind?
Das ist nicht der Fall. Konkret auf einzelne Sendungen bezogene Angebote dürfen nämlich auch künftig ohne Prüfung ins Netz. Aber nur für eine begrenzte Zeit: sieben Tage. Das gilt sowohl für die einzelne Internetseite als auch für den Abruf von Sendungen als Stream, also die Angebote in den Mediatheken. Angebote, die sich aber nicht konkret auf eine Sen-dung beziehen, müssen durch den Test – und zwar auch die bestehenden. Weil das aber eine große Menge ist, ist eine Übergangsfrist bis Ende 2010 geplant.
Die Sender stöhnen, sie müssten jetzt darlegen, warum etwa ein in den 90er-Jahren in Netz gestellte Dossier sowohl einen publizistischen Mehrwert bietet als nicht auch den Wettbewerb verzerrt. Ein Kleinkrieg, oder?
Andererseits ist es doch auch völlig richtig, dass sich öffentlich finanzierte Anbieter darüber Gedanken machen müssen, warum sie etwas wie anbieten. Das alles ist eine große Chance für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Er muss sich legitimieren. Ich glaube, dass die Sender darüber – bei aller Anerkennung ihrer Leistungen – zu wenig nachgedacht haben.
Für die Sender ist die neue Regelung doch komfortabel: Den Drei-Stufen-Test sollen ausgerechnet ihre eigenen Gremien, die Rundfunkräte, durchführen.
Das ist die große Bewährungsprobe für die Gremien. Der Drei-Stufen-Test ist ja so einfach nicht: Sowohl die Stufen als auch die Kriterien sind vorgegeben – und leiten sich aus dem EU-Recht ab. Immerhin sieht der Rundfunkstaatsvertrag vor, dass gerade zur Frage, wie sich die bestehenden Internetangebote von ARD und ZDF auf die der privaten Anbieter auswirken, sachverständiger Rat eingeholt werden muss.
Die Gremien müssen also Gutachten bestellen?
Genau. Ich hätte mir hier aber durchaus eine noch weitergehende Lösung gewünscht, nämlich ein externes Expertengremium. Dann würden immer die gleichen Kriterien und Maßstäbe gelten. Das gibt es bei entsprechenden Kommissionen sowohl zur Ermittlung der Rundfunkgebühren als auch für die Prüfung der Marktkonzentration auch schon. So, wie das jetzt geplant ist, besteht schlicht die Gefahr, dass die Gutachter immer wieder unterschiedliche Maßstäbe anwenden. Die Gremien müssen ihre Entscheidungen aber auch begründen. Und wenn sich das Verfahren als nicht effektiv erweist, wird die Kommission dieses Verfahren auf Dauer nicht hinnehmen.
Das heißt?
Die EU-Kommission hat Deutschland zwar durchaus eingeräumt, das Verfahren selbstständig zu gestalten. Sie hat gleichzeitig aber auch deutlich ihre Sympathien für eine externe Kontrolle geäußert. Eine binnenplurale Kontrolle durch die Sender-Gremien wird sie aber auf Dauer nur akzeptieren, wenn sie auch wirklich funktioniert.
Damit wird der Drei-Stufen-Test die Rolle der Gremien verändern. Die werden sich professionalisieren müssen und auch einen gewissen Unterbau brauchen. Und sie werden zeigen müssen, dass sie tatsächlich eine Kontrollfunktion ausüben können. Tun sie das nicht, wird die Kommission ihnen die neue Macht ganz schnell wieder entziehen. Das ist ganz sicher.
Es hat ja schon freiwillige Drei-Stufen-Tests gegeben, etwa zur Einführung der ARD-Mediathek. Da hat sich der zuständige Rundfunkrat des SWR auf Pressedossiers gestützt statt Experten anzuhören – eine Farce, oder?
Das war jedenfalls kein echter Drei-Stufen-Test. Jetzt wird aber ein erster echter Drei-Stufen-Test vorbereitet: für die Mediathek des Kinderkanals. Da wurden die Gutachter – die inzwischen feststehen – mit einer Ausschreibung gesucht. Dort wird sich erweisen, wie das funktioniert.
Das gilt ja auch für den Test des Lernportals für Grundschüler, das der Kika plant. Doch bis das durch den Drei-Stufen-Test ist, ist Super-RTL mit „Togolino.de" doch längst auf dem Markt.
Wenn man sich nur die Frage ansieht, ob ein öffentlich-rechtliches Angebot den Markt gefährden würde, müsste man sagen: Ja, da muss das zuständige Gremium, in diesem Fall der MDR-Rundfunkrat, ablehnen. Im Drei-Stufen-Test wird aber eben auch gefragt, wie wichtig der publizistische Mehrwert ist. Und in diesem Fall dürfte ihm ein so hohes Gewicht eingeräumt werden, dass er die negativen Auswirkungen auf den Markt auszugleichen vermag.
Dafür müssen Gutachten bestellt werden. Aber sind die Gremien am Ende nicht in ihrer Entscheidung völlig frei?
Völlig frei ist in einem Rechtsstaat niemand. Das unterscheidet ihn von der Willkür. Für die Gremien heißt das: Sie müssen ihre Entscheidungen und vor allem ihre Gründe darlegen – und zwar im Detail. Und das muss am Ende auch von der Rechtsaufsicht akzeptiert werden, also in der Regel von den Staatskanzleien der Länder.
Aber die Länder, die Staatskanzleien, sind doch ihren „eigenen" Sendern genauso gewogen wie die Gremien, oder?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Die Rechtsaufsicht kann nach deutschem Recht nämlich keine tief gehende Prüfung vornehmen. Hier unterscheiden sich die deutschen Vorstellungen erheblich von den europäischen. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder nachdrücklich betont, dass gegenüber dem Rundfunk nur eine begrenzte Rechtsaufsicht zulässig ist. Das ist auch naheliegend, weil sonst ein staatsnaher Rundfunk drohen würde. Deshalb kann die Rechtsaufsicht allenfalls offenkundige Fehler im Verfahren korrigieren.
Die Entscheidung über neue Angebote liegt damit letztlich tatsächlich bei den Gremien. Aber ich weiß nicht, ob die Gremien sich in die Rolle eines unabhängigen Kontrolleurs hineinversetzen können.
Warum diese Skepsis?
Sehen Sie sich doch allein mal an, wie das Selbstverständnis der Gremienvorsitzenden bisher ist: Sie verstehen sich als Teil ihrer Sender. In dem neuen Verfahren sollen sie aber unabhängige Kontrolle ausüben – unabhängig und unparteiisch.
Wo können sich die Privaten eigentlich beschweren, wenn sie glauben, der neue Drei-Stufen-Test würde zu Unrecht neue Angebote von ARD und ZDF zulassen?
Das ist eine gute Frage. Das Verfahren räumt Dritten nämlich keine besondere einklagbare Position ein. Es kann also beispielsweise keiner vor einem Verwaltungsgericht klagen und so erreichen, dass die Justiz einen Drei-Stufen-Test unter die Lupe nimmt. Aber die privaten Rundfunkanbieter haben natürlich die Möglichkeit, sich wieder in Brüssel zu beschweren …
Tipp:
Das ausführliche Gespräch mit Dieter Dörr ist abrufbar unter www.mediummagazin.de/Rubrik Magazin
Erschienen in Ausgabe 01+02/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 52 bis 52 Autor/en: Interview: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.