?Hat sich die Presse mit der Diskussion über die Vergleichbarkeit von Marktanteilen bei Nachrichtensendungen instrumentalisieren lassen?
Hans-Jürgen Weiss: Sie hat sich auf die falsche Fährte locken lassen. Sie hat das Marktargument von Roland Koch aufgegriffen, diskutiert und durchaus auch kritisiert. Aber die wenigsten Journalisten sind darauf gekommen, dass es möglicherweise Gegensätze gibt zwischen spezifischen Anforderungen an die Programmleistungen öffentlich-rechtlicher Fernsehprogramme und der Beliebtheit dieser Programme am Zuschauermarkt.
Können und dürfen sich ARD und ZDF der Diskussion um Quoten und Marktanteile ihrer Informationsprogramme entziehen?
Nein, auf keinen Fall. Aber an erster Stelle steht ihr Programmauftrag und daraus ergeben sich inhaltliche Anforderungen an ihre Programmangebote. Dass sie bei der Verbreitung dieser Programmangebote auf dem Zuschauermarkt in Konkurrenz zu privaten Wettbewerbern stehen, macht die Sache nicht leichter. Sie dürfen aber zum Beispiel die Frage, wie sie Fernsehzuschauer für ihre Nachrichten gewinnen, nicht unabhängig von der Qualität des Nachrichtenangebots beantworten. Das machen sie ja auch nicht. Man sieht die unterschiedlichen Nachrichtenphilosophien von „RTL aktuell", „Tagesschau", „heute" oder „heute journal" ganz deutlich.
Wie untersuchen Sie die Qualität von TV- Informationsprogrammen?
In unserer kontinuierlichen Programmforschung für die Landesmedienanstalten ermitteln wir vor allem die inhaltlich-thematischen Schwerpunkte des Informationsangebots. Damit erfassen wir eine der zentralen Voraussetzungen für Informationsqualität. Wenn zum Beispiel bei RTL 20 Minuten, im ZDF aber zwei Stunden pro Tag über Politik berichtet wird, haben wir es mit zwei vollkommen unterschiedlichen Voraussetzungen für eine in die Tiefe und in die Breite gehende Politikberichterstattung zu tun.
Ein weiteres Kriterium wäre die – durchaus messbare – journalistische Professionalität der Berichterstattung, die wir allerdings nicht regelmäßig ermitteln. Zusatzuntersuchungen zeigen jedoch, dass sich die Nachrichtensendungen der großen privaten und öffentlich-rechtlichen Programme in diesem Punkt nicht grundsätzlich unterscheiden. Den Unterschied machen also nicht die Journalisten, sondern die Programme.
Woran bemisst sich die Qualität von Nachrichtensendungen? Am Anteil von Politik und Wirtschaft?
Qualität ist ein relativer Begriff. Geht man aber vom öffentlichen Auftrag des Rundfunks aus, muss alles, was gesellschaftspolitisch bedeutsam ist, einen zentralen Stellenwert haben. Das bedeutet nicht, dass man die gesamte Nachrichtenzeit ausschließlich mit Politik bestreitet. Außerdem ist Politik nicht das einzige gesellschaftlich bedeutsame Thema, aber der Politikanteil ist ein ziemlich guter Gradmesser für Nachrichtenqualität. Sicher haben Human Touch und Boulevard in den Nachrichten schon immer eine Rolle gespielt, aber es geht um Anteile und Gewichtungen. So liegt der Anteil der Politikberichterstattung in „RTL aktuell" in aller Regel unter 30, oft sogar unter 20 Prozent der Nachrichtensendezeit.
RTL hält diese Bewertung für falsch mit der Begründung einer „zuschauernäheren" Definition von Politik. Bei RTL würden Entscheidungen in Berlin und Brüssel anhand der konkreten Lebenswelt der Bürger erläutert.
Genau das stimmt nicht. Auch die- se Beiträge werden in unserer Studie der Politikberichterstattung zugeordnet. Es ist anders. Unabhängig davon, was sonst noch in der Welt passiert, sind in den RTL-Nachrichten die Themen Kriminalität, Prominenz und Sport (und dabei nicht ganz zufällig Formel 1) bedeutender als alles andere. Bei großen Krisen nehmen die Nachrichten der Privatsender diese Themen mit. Aber es gibt auch jenseits davon politische Themen, und die werden von den Privaten nicht beackert.
Genügt es, eine Minderheit der Zuschauer auf hohem Niveau zu informieren, oder sollte eine gute öffentlich-rechtliche Nachrichtensendung möglichst auch den Informationsstand der breiten Masse heben?
Wenn Sie diesen Gegensatz konstruieren, würde das bedeuten, nur noch „Leute heute"-Nachrichten zu senden. Auch ARD und ZDF schließen Kompromisse. Die „heute"-Sendung ist im Werbeumfeld platziert und wohl nicht zuletzt deshalb sehr viel unpolitischer als die „Tagesschau" oder das „heute journal". Hier wird offensichtlich versucht, Konkurrenzdruck durch einen Verzicht auf zu viele harte Themen zu bewältigen. Der Erfolg ist aber nicht besonders groß. An der „Tagesschau" sieht man, dass es sich lohnt, eine klare programmpolitische Linie gegen den Zeitgeist zu fahren und Politik „zu riskieren".
Helmut Thoma hat ja mal gesagt, man könnte die „Tagesschau" auch auf Lateinisch bei Kerzenlicht verlesen, und sie würde immer noch gesehen.
Traditionen spielen eine Rolle, aber sie brechen auch. Das Fernsehen ist insgesamt für jüngere Leute nicht mehr so attraktiv, und das gilt vor allem auch für politische Nachrichtensendungen. Aber selbst wenn der relative Anteil der jungen Zuschauer bei der „Tagesschau" gering ist, dann sind es absolut betrachtet immer noch viele.
Tipp:
„Koch vs. Brender: Quote vs. Programm?" Beitrag von Hans-Jürgen Weiß in „funkfenster online": http://arm.in/17T
ALM-Programm- und Stichprobenberichte zum Download unter: http:// www.alm.de/159.html
Erschienen in Ausgabe 03/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 12 bis 12 Autor/en: Interview: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.