Vorfahrt für die Familie?

Sie ist Ende 30 und Hörfunkjournalistin. Sie arbeitet gerne, aber sie hat ein Problem. Es ist vier Jahre alt und muss versorgt werden, wenn die Kita pünktlich am späten Nachmittag schließt. „Aber dafür gibt es in den Redaktionen kein Verständnis. Mein Vorgesetzter hat mir sogar ins Gesicht gesagt, dass mein Kind ein Hindernis sei", erzählt die junge Mutter, die lieber anonym bleiben möchte. Lukrative Aufträge gehen an die kinderlosen Kollegen, die festen Jobs sowieso.

Die (Un-)Vereinbarkeit von Familie und Beruf – ein Dauerbrennerthema, gerade weil die Praxis nach wie vor hierzulande so viele Probleme aufwirft. Dass das keineswegs nur ein Frauenthema sein sollte, darauf verwies nachdrücklich auch Familienministerin von der Leyen, als sie im Februar die 5. „Oldenburger Feder", den Medienpreis der EWE, für Berichte zu dem Thema verlieh (s.a. Seite 78). Grund genug, mit weiblichen und männlichen Teilnehmern der Medienpreisfeier zu diskutieren, wie es bei jenen selbst aussieht, die über dieses Thema berichten.

Die Fakten: Journalisten mit Kindern sind in der Minderheit. Haben es die Männer noch etwas einfacher, weil in den meisten Fällen die Partnerin die Erziehungsarbeit übernimmt, ist die Vereinbarkeitsfrage für die Journalistinnen eine erhebliche Schwierigkeit. Die Geburtenrate der Frauen in Deutschland liegt bei 1,35 Kindern pro Kind, bei den Journalistinnen bei 0,73 Prozent. Die Unvereinbarkeit von journalistischem Beruf und Familie schlägt sich auch im Frauenanteil in der Branche nieder: Machen Frauen in der Ausbildung noch über die Hälfte aus, scheinen sie im Alter zwischen 30 und 35 auf einmal zu verschwinden – dieses Alter fällt mit der Familiengründungsphase zusammen. Die Frauen steigen aus dem Beruf aus, sie schaffen den Wiedereinstieg kaum und wenn doch, arbeiten sie meist als Freie oder bleiben auf den unteren Sprossen der Karriereleiter stecken. Das liegt auch daran, dass viele Journalistinnen Leitungs-Angebote ablehnen. Die häufige Begründung: Es sei schon schwer genug, einen Redaktionsjob ohne Führungsaufgaben zu 100 Prozent zu erfüllen, wenn man Kinder hat.

Das dominierende Mütterlichkeits- ideal hat Jutta Hoffritz als eine Wurzel des Unvereinbarkeits-Übels ausgemacht – auch in der eigenen Branche . Für ihr Buch „Aufstand der Rabenmütter" und den preisgekrönten „Zeit"-Beitrag über „die Mütterfalle" spürte sie dem überhöhten Mutterideal in Deutschland nach, das sich in einer Beschäftigungsindustrie mit Baby-Yoga, Baby-Schwimmen und Early English niederschlägt – und stellte fest, dass in Ländern, in denen das Mütterlichkeits- ideal nicht so ausgeprägt ist, die Geburtenrate höher ist. Die „Zeit"-Autorin ist selbst Mutter eines dreijährigen Sohnes und bekennt offen: „Ja, ich will beides: Kind und Beruf! Ich bin eine bekennende Rabenmutter." Denn dass berufstätige Mütter ihre Kinder auch „fremdbehüten" lassen, ist hier eben keine Selbstverständlichkeit wie beispielsweise in Frankreich oder Skandinavien. Familie – das ist hierzulande immer noch vor allem Frauensache, und Mutter sein sorgt schon allein für reichlich Druck. Wer dann auch noch im Journalistenberuf erfolgreich sein möchte, der extensive Ansprüche an die zeitlichen, physischen und psychischen Kapazitäten stellt, kann leicht vom Drahtseil stürzen. Es sei denn, man bzw. Frau kann sich eine private Kinderbetreuung erlauben. So wie die Medizinjournalistin und ARD-Moderatorin Susanne Holst. Sie hat dreijährige Zwillinge „und eine Nanny, ohne die es nicht ging. Für sie haben wir eine voll sozialversicherungspflichtige Stelle eingerichtet", betont sie. Susanne Holst arbeitet in Teilzeit: Zwei Wochen voll von 8 bis 18 Uhr als „Tagesschau"-Sprecherin und im „Tagesthemen"-Dienst auch spät abends, zwei Wochen ist sie dann zu Hause bei ihren Kindern. Ein wechselhafter Rhythmus, den die Moderatorin genießt: „Ich erhole mich jeweils auf der anderen Seite". Auf keinen Bereich würde sie verzichten wollen. „Aber ich bin auch in einer privilegierten Situation: Mein Mann und ich verdienen genug – und ich kann in Teilzeit arbeiten". Kind und Karriere im Journalismus – also nur für eine kleine Elite realisierbar?

Martin Reckweg kennt das Problem aus doppelter Erfahrung – als Chef und als Vater. Er ist seit Jahresende 2008 Chefredakteur von Radio Bremen und war davor lange in NDR-Diensten. Als einer der ersten Männer dort tauschte er vor über 15 Jahren beim ersten Sohn für fünf Monate das Studio mit dem Wickeltisch. „Diese Zeit war sehr intensiv", schwärmt er. Das prägt auch nach seiner Rückkehr in den Job sein Verständnis für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Das Problem sind die Arbeitszeiten gerade im aktuellen Dienst und die große Flexibilität, die dafür notwendig ist." Deshalb setzte auch er sich erfolgreich für die Einführung einer Kita beim NDR ein: „Sie ermöglicht vielen Kolleginnen, ihre Arbeit in Schichtdiensten weiterzumachen", erzählt Reckweg. Er erwartet und fordert mehr Verständnis bei den – größtenteils – männlichen Kollegen in den Entscheidungspositionen. Und flexible Arbeitszeitmodelle: Kollegen, die sich Stellen teilen, Doppelspitzen, für Reckweg ist vieles denkbar: „Unser Beruf ist flexibel genug. Es gibt zwar ökonomische Zwänge, aber es ist auch eine persönliche Einstellung."

An der hapere es aber nach wie vor vor allem in den Führungsetagen, bestätigt Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands (DJV). „Die Arbeitgeber bewegen sich sehr schwer. In den meisten Printredaktionen ist es nicht möglich, Teilzeit zu arbeiten. Die Verleger sind nicht offen für dieses Thema", erklärt er. Die aktuelle Wirtschaftskrise mache es erst recht schwierig, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf einzufordern. Dabei würden schon geringfügige Änderungen im Redaktionsalltag den Kollegen mit Familie entgegenkommen: Nicht aktualitätsgebundene Konferenzen und Sitzungen vorlegen, mehr von zuhause aus arbeiten können. Letzteres allerdings ist mehr schöne Theorie als tatsächlich praktikabel: „Zu Hause mit Kind zu arbeiten, funktioniert bei mir nicht. Mein Sohn findet dafür Computer und Telefone viel zu interessant", erzählt Jutta Hoffritz. Ihr Mann und sie sind auf das Betreuungsangebot der städtischen Kita und eine Kinderfrau angewiesen – schon allein, wegen der unflexiblen Öffnungszeiten der Kindertagesstätte. „Ich kann nicht um 15 Uhr die Griffel fallen lassen, nur weil die Kita ihre Türen schließt", erklärt die „Zeit"-Autorin. Wenn andere Mütter mit ihrem Kind beim Baby-Schwimmen sind, muss sich die Nanny um Söhnchen Carl kümmern. Dafür bringt Hoffritz ihr Kind manchmal morgens erst um 9:30 Uhr in die Kindertagesstätte. „Wir brauchen keinen Bildungstourismus mit Babys", sagt sie. Stattdessen brauchen Kinder Eltern, die ausgeglichen sind – weil sie Arbeit und Familie vereinbaren können. Die Autorin wünscht sich einen Bewusstseinswandel und mehr Kinderbetreuungseinrichtungen – auch dann, wenn die Kinder zur Schule gehen. Denn: „Mit der Halbtagsschule fangen die Probleme erst richtig an", sagt Martin Reckweg. Hier gebe es noch viel zu tun. Grundlegend sei der Bewusstseinswandel – auch dahingehend, Elternschaft als zusätzliche Qualifikation wahrzunehmen. „Man hat einen anderen Blick, einen Blick fürs Ganze", sagt die Zwillingsmutter Susanne Holst. Eine Erfahrung, die die meisten Journalisten und Journalistinnen mit Kindern bestätigen. Und die gerade für die Redaktionen ein Pfund sein könnten, wenn es denn nur genutzt würde.

Doch derzeit gilt im Journalismus noch: Wer Kinder will, muss Einschränkungen hinnehmen. Dass aber auch das nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, beschreibt Carola Kleinschmidt, freie Journalistin und Co-Autorin des Buches „My Way – Ich will alles, und zwar sofort", das sich mit der Vereinbarkeits- und Karrierefrage für Frauen beschäftigt. Kleinsch
midt brachte ihren heute dreijährigen Sohn im Alter von acht Monaten drei Mal in der Woche bei einer Nachbarin unter, später, mit einhalb Jahren, besucht er einen Hort von 9 bis 16 Uhr. Dass sie dennoch weniger arbeiten kann als früher, störe sie nicht. „Ich beschränke mich mehr auf die wirklich wichtigen und lukrativen Projekte. Mein Verdienst pro Arbeitsstunde ist dadurch sogar gestiegen." Und neuerdings erleichert die Einführung des Elterngeldes die Babypause, auch bei Norbert Pfeifer, Politikredakteur beim „Weser-Kurier" . Er war seit Einführung des „Wickel-Volontariates" der erste Mann in der Redaktion der Bremer Tageszeitungen, der Elternzeit nahm. Sein Arbeitgeber begrüßte das und ermöglichte ihm einen reibungslosen Aus- und Wiedereinstieg. Seinem Beispiel ist mittlerweile ein weiterer Kollege gefolgt. Immerhin ein Anfang.

Carola Kleinschmidt, Anne Otto, „My Way", mvg-Verlag, 15,90 Euro, ISBN: 9783636072412

Erschienen in Ausgabe 03/2009 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 72 bis 72 Autor/en: Tina Groll. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.