Wo Print blüht

Zugegeben, es ist ein bisschen, als würde man bei John Cage und Louis Armstrong nach Gemeinsamkeiten suchen. Hier das lässig-loungige „brand eins", das Unternehmen vorstellt, bei denen die Angestellten entscheiden, wann und wo sie arbeiten oder Globalisierungmythen entlarvt. Dort das romantisch bodenständige „Landlust"-Magazin, das wirkt wie eine einladende Kaffeetafel im Sommerhaus, und über das die „Zeit" mit großstädtischer Arroganz meinte spotten zu müssen, man könne damit lernen, wie man ein Schaf wasche. Auf den ersten Blick haben die beiden Magazine kaum etwas gemeinsam. Außer, dass sie ziemlich erfolgreich sind. „Landlust", „die schönsten Seiten des Landlebens", sprengt derzeit alle Auflagenrekorde: Im Herbst 2005 gestartet, kommt das Zwei-Monats-Heft inzwischen auf 270.000 verkaufte Kiosk-Exemplare plus 160.000 Abonnenten – der erfolgreichste Magazinstart seit Jahrzehnten. Und „brand eins" ist inzwischen so etwas wie der Klassiker der Nischenmagazine. Im Herbst feiert es seinen zehnten Geburtstag, schreibt nach eigenen Angaben seit drei Jahren schwarze Zahlen und verkauft mit hintergründigen Wirtschaftsgeschichten abseits vom Mainstream monatlich mehr Exemplare am Kiosk als jedes andere deutsche Wirtschaftsmagazin – die Januar-Ausgabe 2009 war mit 36.000 Heften im Einzelverkauf die erfolgreichste bisher, hinzu kommen 26.600 Abonnenten. Man kann den Erfolg der Hefte kurz damit erklären, dass jedes seine sehr eigene Nische gefunden hat. Man kann aber auch genauer hinschauen, ob hinter dem Erfolg der beiden Blätter nicht doch Grundsätzlicheres steckt als die richtige Nische und Glück. Um dabei nicht missverstanden zu werden: Bei beiden Magazinen könnte man, wie bei jedem Magazin, auch jede Menge kritisieren. Aber darum soll es diesmal nicht gehen. Hier interessiert die Frage, warum diese beiden Titel so gut funktionieren.

Glaubensbekenntnisse. In der Redaktion von „brand eins" in Hamburgs Innenstadt haben sie gerade das neue Heft fertig produziert. Durchatmen. Gründerin und Chefredakteurin Gabriele Fischer schließt für das Gespräch die Tür ihres Büros – aber die widersetzt sich, hier stehen die Türen meistens offen. Frau Fischer, draußen ist Print-Krise. Merken Sie etwas davon? „Wir gehen schon davon aus, dass wir davon im Laufe des Jahres bei den Anzeigen etwas merken werden. Aber wir spüren vor allem, dass wir es mit einer Branche zu tun haben, die nicht mehr weiß, was sie will. Die ohne Unterlass nichts anderes tut, als ihr eigenes Produkt kaputtzureden. Print ist tot, alle müssen ins Netz – obwohl bisher niemand dort ein Geschäftsmodell hat. Und diese Verunsicherung beeinflusst natürlich auch die Anzeigenkunden. Das ist der hausgemachte Teil des Problems." Ein Blick auf die Internet-Seite zeigt, dass sie bei „brand eins" wissen, was sie wollen: Ein Print-Magazin machen. Zwar sind alle Texte aus allen bisher 101 Heften online verfügbar, doch darüber hinaus bietet die Seite wenig. Kein Blog, kein Forum, kein Web 2.0. Das sei zunächst keine Strategie gewesen, sagt Gabriele Fischer, sondern in erster Linie fehlenden Mittel geschuldet. Doch auch auf der neuen Website (bei Redaktionsschluss noch nicht fertig) wird es nur wenig mehr geben. Das Internet sei perfekt für die schnelle Nachricht, meint Fischer. „Aber das ist nicht unser Geschäft. Wir liefern Hintergrund und Orientierung, gehen über die Aktualität hinaus. Wozu brauche ich sonst ein Monatsmagazin?" Auf dem Schreibtisch von Ute Frieling-Huchzermeyer, Chefredakteurin von „Landlust", steht nicht einmal ein Computer. E-Mails schreibt die Redaktionsassistentin, redigiert wird im Manuskript. „Wir merken von der Krise nichts", sagt Frieling-Huchzermeyer, sehr selbstbewusst klingt das und kein bisschen erstaunt über den großenWurf, der mit „Landlust" gelang. „Um im Print Erfolg zu haben, muss man eben etwas anderes machen als andere." Auch „Landlust" bedient das Internet kaum, online gibt es nur Zusatzservice wie Strickanleitungen oder Adressen. „Unser Produkt ist das Heft – das ist das, was der Leser will", sagt Frieling-Huchzermeyer. „Printprodukte haben unbedingt eine Zukunft, wenn sie ein eigenes Profil haben, eine gute Arbeit machen und auf hohem Niveau arbeiten."

Der Haben-Wollen-Effekt. Kräftiges Papier, konsequente Bildsprache und die Liebe zu Details wie einer ordentlichen Heftbindung erzeugen das, was sowohl Fischer wie Frieling-Huchzermeyer „die besondere Emotionalität von Print" nennen: Etwas Greifbares, etwas, mit dem man sich beschäftigten kann. Bei Lesern sorgt genau das offenbar für einen Haben-Wollen-Effekt. „Die Texte gibt es im Netz im Volltext und kostenfrei. Das Abo ist für mich Ehrensache", schreibt ein „brand eins" Leser in einem Internet-Forum. Bei „Landlust" abonniert ein großer Teill der Kiosk-Käufer das Heft nach dem Erstkontakt. Beide Hefte sind Sammelobjekte, die im Regal aufgestellt werden. „Landlust" will unterhalten, entspannen und ein bisschen Wissen vermiteln, „brand eins" ist stolz, dass 66 Prozent bei einer Leserumfrage angaben, dass das Magazin sie in ihrer Meinungsbildung beeinflusse. Der Anspruch an die eigene Wirkung unterscheidet sich, nicht aber der an die eigene Arbeit: „Unsere Basis ist sehr solider Journalismus" sagt Frieling-Huchzermeyer. Beide Magazine erzählen Geschichten über Menschen, liefern sorgfältig intonierte Lesestücke genau zugeschnitten auf ihre Zielgruppe. Und ganz nebenbei sind die Geschichten hochgradig nutzwertig – für den, der sie nutzen möchte. „Wer nacharbeiten will, kann das tun", heißt es in Münster: die Gartenbank selbst nachbauen oder die Hecke mit einer neuen Technik schneiden. In Hamburg sind sie manchmal erstaunt, was Leser mit dem Heft anstellen: „Es gibt Mittelständler, die uns sagen, dass sie ihr Unternehmen mit ´brand eins` führen, zum Beispiel Workshops zu unseren Themen machen. Wir geben ja nie Ratschläge, aber unsere Leser nutzen die Texte als Anregung und entwickeln auf dieser Basis Ideen, auf die wir nie gekommen wären."

Haltung zeigen. Geplant war das alles nicht. Ursprünglich sollte „Landlust" sich vor allem an Landfrauen, an die Familien der Landwirte richten, die Fachmagazine des Landwirtschaftsverlags Münster-Hiltrup wie „Top Agrar" (so was wie der „Spiegel" im Agarbereich) oder „Milchrind" lesen. „Wir haben Briefe geschrieben und Interviews gemacht, um herauszufinden, ob die sich so ein Heft vorstellen können, denn das war ja die Klientel, das wir kannten", erzählt Ute Frieling-Huchzermeyer, damals Redakteurin für „Landleben" bei „Top Agrar". Der Verlag spürte die Strukturkrise der Landwirtschaft, wollte sich mit einem Publikumsmagazin einen neuen Markt erschließen. Dass das Ergebnis, eben „Landlust", derart einschlagen würde – damit hatte niemand gerechnet. „Aber wir haben wohl einen Nerv getroffen.", sagt Frieling-Huchzermeyer. Inzwischen lesen auch Ärztinnen oder Unternehmer „Landlust": ein Großteil der Leser sind Selbstständige, Beamte oder leitende Angestellte, 20 Prozent leben in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern. Ein „Lebensgefühl" sei es, das ihre Leser verbinde, sagt Frieling-Huchzermeyer. „Wir haben von Anfang an gesagt, dass man eine Zielgruppe nicht mehr nach Einkommen oder Demografie definieren kann. Unsere Leser definieren sich anhand einer Haltung", sagt Gabriele Fischer. Auch „brand eins" war so nie geplant. Ursprünglich hieß das von ihr entwickelte Heft „Econy" und sollte im Spiegel-Verlag für die New Economy zuständig sein. Doch der Verlag stellte das Magazin nach nur zwei Ausgaben ein. Fischer, zuvor stellvertretende Chefredakteurin beim „Manager-Magazin", gründete nach einem Umweg über einen Mainzer Verlag einen eigenen Verlag in Form einer Aktiengesellschaft. Und suchte für ihr Heftkonzept, das fortan als „brand eins" erschien, private Invest
oren, meist mittelständische Unternehmen. „Weil es das Magazin war, das wir unbedingt machen wollten – und weil ich sicher war, dass es eine Zielgruppe dafür gibt." Haltung und Lebensgefühl geben beiden Titeln Profil nach außen und nach innen einen roten Faden, schaffen Glaubwürdigkeit.

Positiv ist die Grundhaltung bei beiden Magazinen, es wird nicht gekrittelt und gemäkelt, sondern es herrscht eine „So kann es gehen"-Stimmung – wenn auch im Detail sehr unterschiedlich: „brand eins" mag Veränderung, findet Technik spannend und schätzt Eigenverantwortung ebenso wie Verantwortung. Bei „Landlust" liebt man das Echte, Einfache und Handfeste, Tradition und Natur. „Unsere Autoren und Fotografen müssen das Lebensgefühl von „Landlust" verstanden haben", sagt Frieling-Huchzermeyer. Beide Hefte verlassen sich auf einen Stamm freier Autoren, die wissen, wie die Hefte ticken und fair bezahlt werden. Zuwächse im Autorenkreis sind nicht ausgeschlossen – beide Redaktionen prüfen Angebote aber sehr kritisch: „Wir wissen nach zehn Jahren ganz genau, was zu uns passt und was nicht", sagt Fischer. Denn so selbstverständlich und beiläufig die Magazine ihr Lebensgefühl transportieren, so hart ist es erarbeitet. Die zentralen Heftkonferenzen der sechsköpfigen Textredaktion von „brand eins" dauern oft drei, vier Stunden, die Redakteure drehen mögliche Schwerpunktthemen so lange, bis sie wirklich originelle Ideen haben – und zu jedem Thema eine klare Haltung. Während der Produktion redigiert jeder Redakteur jeden Text. Was langweilen könnte, fliegt raus: „Wir wollen überraschen, nie das Erwartbare machen", sagt Fischer. Bei „Landlust" arbeiten die sechs Redakteurinnen ressortorientiert, jede achtet darauf, dass in den Texten, die sie betreut, die Heftsprache durchgehalten wird. Ironische Wendungen, Sprachdrechseleien sucht man in „Landlust" vergeblich, die „schlichte Sprache" gehört zum Konzept: „Es stört mich an anderen Heften sehr, wenn viele Worte gemacht werden, ohne dass etwas Substanzielles drinsteht. Das gibt es bei uns nicht. Wir redigieren sehr stark und arbeiten so lange an einem Heft, bis wir sagen, das ist es jetzt", sagt Frieling-Huchzermeyer. Zuletzt geht die Chefin noch einmal über jeden Text und schraubt an der Struktur des Heftes, bis der Leser „wie auf einer Melodie" durch das Magazin getragen wird.

Es ist wohl kein Zufall, dass die beiden Chefredakteurinnen das jeweiligen Lebensgefühl selbst geradezu verkörpern. Ute Frieling-Huchzermeyer lebt mit ihrer Familie auf einem Bauernhof im Ostwestfälischen, der Mann der Agraringenieurin ist Landwirt. Für den gemeinsamen Kaffee steht sie jeden Morgen um viertel nach fünf auf, in ihrer Freizeit geht sie am liebsten „im Garten wühlen". Und Fischer, die nach Politik-Studium und Journalistenausbildung an der Henri-Nannen-Schule erst fünf Jahre als Lokalreporterin arbeitete, personifiziert seit ihrer Verlagsgründung das, worüber „brand eins" vor allem schreibt: Gründer- und Unternehmergeist.

Leserliebe. „Mein Mann und ich sind von Ihrer Zeitschrift so begeistert, dass wir sie bis auf 1500 Meter in unsere Berghütte geschleppt haben", schrieb mal eine Leserin der „Landlust"-Redaktion. Gerade hat die Redaktionsassistentin wieder eine ähnlich euphorische Leser-Zuschrift auf den Schreibtisch der Chefredakteurin gelegt. Täglich kämen solche Briefe in die Redaktion, erzählt Ute Frieling-Huchzermeyer. „Die Leute lieben ihre ´Landlust` – und sagen uns das auch." Von ähnlichen Leserreaktionen berichtet auch Gabriele Fischer: Da war zum Beispiel der Mann, der nach Jahren „brand eins" das Abo kündigte – und bald darauf wiederbestellte mit den Worten: „Es geht nicht ohne euch!". „Die Leser sind unsere Basis – wir machen ein Magazin für Leser", sagt Fischer. Hochwertiger Lesestoff sei die Basis, daraus ergebe sich alles Weitere, sagt Frieling-Huchzermeyer: „Um langfristig eine erfolgreiche Zeitschrift zu machen, muss man wirklich gelesen werden. Ein Heft, das gelesen wird, ist nicht austauschbar." Für beide Hefte heißt das: Der Leser steht an erster Stelle, nicht der Anzeigenkunde. Die Anzeigen dürfen Layout und Optik nicht sprengen. Das nutze auch den Werbetreibenden, sagt Fischer „Ich argumentiere ihnen gegenüber immer, dass sie auf diese Weise an Leser kommen, die gerade ein Heft für 7,60 Euro erstanden haben und es wirklich lesen wollen. Die überblättern auch die Anzeigen nicht."

Hier wie dort bilden die Leser auch die wirtschaftliche Basis: Je zur Hälfte ist der Erlösanteil bei „brand eins" auf Vertrieb und Anzeigen verteilt, bei „Landlust" sogar 5:1. Beide Hefte sind vor allem durch Mund-zu-Mund-Propaganda der Leser bekannt geworden. Große Werbekampagnen gab es nicht, „brand eins" hat bis heute keine Abo-Prämien. Dass so eine Entwicklung Zeit braucht – keine Frage. „Unseren Investoren war das immer klar", sagt Fischer und vermutet, dass es an deren mittelständischem Denken liegt, das langsames, aber stetiges Wachstum schätzt. „Ich bin ziemlich sicher: Wären wir bei einem Großverlag gewesen, gäbe es uns heute nicht mehr." Auch in Münster gab es keine Ziel- und Zeitvorgaben: „Der Verlag stand dahinter und hat den Titel als Chance betrachtet, wir wollten abwarten, wie sich die ´Landlust` entwickelt", sagt Frieling-Huchzermeyer.

Der Kontakt zwischen Redaktionen und Lesern ist eng – und zahlt sich inhaltlich aus. In einer Community bei„Xing", von der „brand eins"-Redaktion als Ersatz für eigene Foren eingerichtet, diskutieren inzwischen 40.000 Fans. Die Redaktion liest mit und erfährt so wie vor allem auch durch direkte Zuschriften, was die Leser sich wünschen, was ankommt und was nicht. Und lässt sich bisweilen auch anregen von den Ideen der Leser: Bei „brand eins" war der Schwerpunkt „Entfremdung" ein Leservorschlag, in der „Landlust"- Redaktion landen viele Hinweise auf Handwerker, über die die Journalisten doch einmal schreiben könnten. „Wir sind aber definitiv kein Mitmachmagazin – selbst schreiben sollen die Leser bei uns nicht", sagt Ute Frieling-Huchzermeyer. Das wollen sie ja auch gar nicht unbedingt, glaubt Fischer: „Der Leser, der die Idee mit der Entfremdung hatte, sagte uns hinterher, wie unglaublich spannend er fand, was wir aus dem Thema gemacht haben." In Münster klingt es ähnlich: „Wir wollen dem Leser ja etwas liefern, von dem er noch gar nicht weiß, dass er sich daran erfreuen könnte."

Zum Sich-ernst-genommen-Fühlen der Leser trägt bei, dass Zynismus, Besserwisserei, Überheblichkeit oder Schuldzuweisungen in beiden Magazinen keinen Platz haben. Ganz bewusst nicht, so Fischer: „Vielleicht liegt es daran, dass wir selbst Unternehmer geworden sind. In den schwierigen Phasen, die wir hatten, haben wir auch so etwas wie Demut entwickelt." Beide Hefte verbindet zudem, dass die Redaktionen uneitel hinter den Texten zurücktreten, bei „Landlust" werden die Autoren sogar nur in einer Zeile unter den Stücken erwähnt. „Ich glaube, viele Leute sind auch genervt von der Arroganz und Besserwisserei um sie herum. Dass wir anders sind, tut vielen als Ausgleich einfach gut", sagt Frieling-Huchzermeyer.

Es gibt also grundsätzlichere Erklärungen für den Erfolg der beiden Titel . Man könnte es Wahrhaftigkeit nennen, Print-Journalismus, der auf Nachhaltigkeit setzt statt auf Zeitgeist und Trends. Und vielleicht sind die Leser des Hamburger „brand eins" und der Münsterschen „Landlust" gar nicht weltenweit voneinander entfernt. Bezeichend, dass eine Firma in „brand eins" via Kleinanzeige warb: „Schäferstündchen mit Picknickkorb ermöglicht gestressten Menschen eine Entschleunigung ihrer Zeitrhythmen und eine Steigerung ihrer Vitalität. Menschen im Schäferwagen begegnen der Natur unmittelbar und erleben sich außergewöhnlich." Der Themenschwerpunkt jener Ausgabe hieß
: „Die Zukunft kommt näher."

Erschienen in Ausgabe 03/2009 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 16 bis 17 Autor/en: Eva-Maria Schnurr. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.