Alter, ein fieses Wort. Jedenfalls für die meisten. „Ein guter Journalist zu sein, ist keine Frage des Geburtsdatums", schrieb Michael Jürgs einmal in der „Süddeutschen Zeitung". Der ehemalige Chefredakteur von „Stern" und „Tempo", Jahrgang 1945, kann das gut sagen, er ist unverändert ein vielgefragter Journalist. Aber für die meisten Berufskollegen wirft das Geburtsdatum doch jede Menge Fragen auf. Zum Beispiel, ob man noch dazugehört zur Welt von Online-Journalismus und Crossmedia. Oder schon draußen vor der Tür steht – mitsamt seiner Lesebrille und dem Ausriss-Handarchiv. Oder sogar vor der Tür stehen gelassen worden, weil Jüngere widerspruchsloser, billiger, unverbrauchter sind? „In der real existierenden Medienwelt gilt als Methusalem, wer aus den sechziger Jahren der Beatles selbst Erlebtes berichten könnte", spottet Jürgs im selben SZ-Artikel. Ab 50 also mutieren Journalisten unfreiwillig zu Opas und Omas in den Redaktionen.
Auch Beate Wedekind fand sich neulich unversehens in der Rolle der Oma wieder: in Hamburg, beim Zeitschriftenwettbewerb „Grüne Wiese" im Verlagshaus Gruner & Jahr. Die ehemalige Chefin u. a. von „Bunte" und „Elle" hatte ein Magazinkonzept namens „Purpur" eingereicht – ein als luxuriöses Jahresspecial und Sammleredition gedachtes zweisprachiges Magazin, das „den emotionalen Zustand der Welt widerspiegelt". Damit war sie unter 650 Bewerbern in die Garde der besten zehn gewählt worden und zur Präsentation an die Elbe gereist. Das Rennen machte aber schließlich ein Online-Karriere-Portal für Jugendliche und junge Erwachsene. Kein Problem so weit: Wer in seinem Leben Chefredakteurstitel gesammelt hat wie andere Zeitschriftenabos, geht in so einen Wettbewerb wie in ein Bewerbungsgespräch. Mal bekommt man den Job, mal eben nicht. Überraschend war eher der Blick in die per anonyme Bewerbung ausgewählte Runde: Neben dem „alten Schlachtross" (Wedekind über Wedekind) saßen nur Jungjournalisten unter 30 – bis auf eben diese eine Ausnahme – nun 58 Jahre alt, mit einem Häuschen auf Ibiza und einem Blog, in dem Alter eine wichtige Rolle spielt. „Kein Thema, das uns nichts angeht. Gesprächsstoff für alle, die sich für die Generation 50plusminus interessieren" lautet das Motto von „beatewedekind50plus.blog.de". Alter, ein schönes Wort?
„Alles, was ich mache, tue ich mit den Augen einer 58-jährigen Frau", sagt Beate Wedekind. Sie sitzt in einem Hamburger Hotelzimmer, es ist der Morgen nach der Präsentation bei „Gruner & Jahr". Wie immer hat sich die Frühaufsteherin zwischen 6 und 8 Uhr bereits durch die Online-Ausgaben der großen deutschen Tageszeitungen gelesen, ab 8.30 Uhr täglich findet sich im Wedekind-Blog verlinkt, worüber es sich ihrer Ansicht nach zu sprechen lohnt. „Es ist meine Lebenserfahrung, mit der ich die Themen subjektiv auswähle." An diesem Freitag Mitte März sind es unter anderem der Amoklauf von Winnenden, die kontroverse Diskussion um den Dienst Twitter und der Fund der zweiten Leiche unter den Trümmern des Kölner Stadtarchivs. Die kommentierte Medienschau ist der eine Teil des Blogs.
Der andere Teil folgt der Lebenslogik einer Society-Kolumnistin: Er versorgt den Leser mit Schlüssellochblicken. In diesem Fall mit den Schwankungen von Gewicht und Gefühl im Leben einer Karrierefrau. Seit Jahren kämpft Wedekind öffentlich mit Speckwulsten und Hängebäckchen. Die Eckdaten – 1,63 Meter, Rekordgewicht 90 Kilo – verbreitete sie in der „Bild am Sonntag" ebenso wie in ihrem Blog. Dort notiert sie für die Leser akribisch, wie sie gegen die Pfunde vorgeht. Zum Frühstück gab es an diesem Morgen zwei Scheiben Vollkornbrot mit Becel-Margarine und mager gekochtem Schinken. Laufen? „Ich fürchte, auch heute wird es nix." Das klingt nach Frauenzeitschrift. Nach Generation plusminus 30. Das klingt so, als würden Verpackung und Inhalt nicht zusammen passen, Frau Wedekind?
„Warum soll sich eine 58-jährige nicht mit Themen beschäftigen, die sie schon seit 20 Jahren umtreiben? Und warum sollen sich 30-Jährige nicht für die Themen ihrer Elterngeneration interessieren? Die Generationen greifen doch thematisch ineinander," kontert Wedekind. „Die Medienwelt tut auch immer so, als seien Frauenmagazine für junge Frauen gemacht. Dabei ist die Altersstruktur viel älter als aus werbestrategischen Gründen angegeben." Wedekinds These: Alter besetzt keine anderen Themen. Sondern schafft einen anderen Blickwinkel. Und dieser Blickwinkel, geschliffen und poliert in Jahren des Kämpfens, des Gewinnens und Verlierens, er macht offensichtlich stolz. Die 50plus im Blogtitel ziert die Arbeit der Journalistin wie es 90 Punkte des Gault Millau bei einer Flasche Wein tun. Alter, ein schönes Wort?
Es kommt drauf an, was man draus macht. Neulich hat Wedekind im Zug eine Kollegin von früher getroffen. Eine Reporterin, 67 Jahre alt. Früher eine Weltreisende, die zu Adelshochzeiten und ans Ende der Welt geschickt wurde, um von dort zu berichten. Heute machte sie einen traurigen Eindruck. Ihr seien die Themen abhanden gekommen. Was früher vor Ort recherchiert wurde, wird heute aus dem Internet gefischt. Pfahlbauten auf Bora Bora? Dafür wird kein teurer Reporter mehr losgeschickt, eher klickt sich ein Redakteur durchs Netz, bis er die passende Beschreibung gefunden hat. Die ehemalige Kollegin, eine Autorin der alten Schule, besitzt dagegen nicht einmal eine eigene Mailadresse, erzählt Wedekind. Die Frau habe den Anschluss verpasst, weil das Genre, auf das sie sich konzentriert hatte, verschwunden sei. Heute schon an morgen denken, lautet dagegen Wedekinds Credo. Und ja keine Langeweile aufkommen lassen. „Wer sich nicht immer wieder neu erfindet, gehört mit 58 Jahren wirklich zum alten Eisen."
Mit ihrem Blog hat sich die Ex-Chefredakteurin, die das Blattmachen so liebt („der spannendste Teil meines journalistischen Berufslebens"), im Internet neu erfunden. Hier ist sie auch ohne eigene Redaktion wieder die Chefin, die Themen gewichtet. Die Kommentatorin, die täglich ihre Meinung sagt. Die Kolumnistin, die sich an den kleinen Eitelkeiten des Lebens freut. Die Leser folgen ihr darin treu, manche melden sich täglich zu Wort.
Seit September 2008 bloggt sie regelmäßig, mittlerweile schauen monatlich 58.000 Besucher vorbei. Wohin Wedekind mit all dem will? Sie weiß es noch nicht. Noch ist es ein Üben, ein Ausloten des Möglichen. Ein Buch zum Thema Balance und Gewicht ist geplant, auch das Projekt „Purpur" liegt noch auf dem Schreibtisch. Wieder ein eigenes Heft machen – das ist ihr Traum. Bis dann treibt sie weiter ihre Projekte voran, Blackberry und Laptop immer zur Seite. Immer auf der Suche. Immer bereit.
„Wissen Sie, was mir aufgefallen ist?", sagt Wedekind am Ende des Gesprächs plötzlich: „Dass viele Journalisten in meinem Alter einfach keine Tätigkeit mehr haben. Früher, als ich volontiert habe, gab es auf der mittleren Ebene richtig viele, verdammt gute Journalisten Ende 50. Heute sind Mittfünfziger entweder Chefredakteur. Oder sie sind nicht mehr in den Redaktionen vorhanden." Altern im Web 2.0: Für Journalisten eine ganz besondere Herausforderung.
Linktipp
www.beatewedekind50plus.blog.de
www.gruenewiese2009.de
Erschienen in Ausgabe 04+05/2009 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 74 bis 74 Autor/en: Andrea Mertes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.