Schwäbische Lösung

Sichtlich peinlich war es Stefan und Dieter von Holtzbrinck, im Maserati beim „Tagesspiegel" vorzufahren. Solche Autos sieht man in der Potsdamer Straße nicht oft, erst recht nicht im Hof des abgewrackten „Tagesspiegel"-Gebäudes. Wie kam es dazu? Es musste alles schnell gehen an diesem letzten Montag im März. Morgens waren die Halbbrüder in Düsseldorf beim „Handelsblatt", mittags bei der „Zeit" in Hamburg und jetzt, spätnachmittags, waren sie bei der Belegschaft des „Tagesspiegels" in Berlin angekündigt. Bescheidenheit hin oder her – sie mussten einen Geschäftsflieger mieten, dazu jeweils vom Flughafen aus ein Auto mit Fahrer. Damit, dass in Berlin ein Maserati auf sie wartet, hatten sie nicht gerechnet.

Vier Tage zuvor, in Zürs am Arlberg, hatten Stefan von Holtzbrinck und der unangekündigt vor den Führungskräften auftretende Dieter eröffnet, woran sie seit Wochen arbeiten: an der Aufspaltung der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Der 67-jährige Dieter, der 2006 ausgeschieden war, erhält „Handelsblatt" und „Wirtschaftswoche", zwei Fachtitel sowie den Vermarkter IQ Media (vormals GWP); dazu die „Tagesspiegel"-Gruppe und 50 Prozent der „Zeit". Der 45-jährige Stefan und die Schwester, Monika Schoeller, behalten Auslands-, Bildungs-, Wissenschafts-, Buch- und Onlinegeschäft, dazu die Regionalzeitungen, Fachverlage und die andere Hälfte der „Zeit".

Die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck schrumpft damit von mehr als 2,5 auf knapp 2,2 Milliarden Euro Umsatz. Fährt man vom Stammsitz, der Gänsheidestraße 26 in Stuttgart, den Hügel abwärts, landet man nach einem Kilometer in der Kernerstraße 52. Dort entsteht die DvH Medien GmbH. Sie wird mit 400 Millionen Euro Umsatz sehr viel kleiner sein. Sie wird aber alle Blätter verlegen, auf denen hierzulande das Renommee von Holtzbrinck gründet und was die Mitarbeiter – zu denen auch die Autorin dieses Artikels einmal zählte – dazu brachte, sowohl unter Dieter wie Stefan von Holtzbrinck gern zum Unternehmen zu gehören.

Es war im Oktober 2005, Holtzbrinck hatte nach langem Gezeter mit dem Kartellamt den Berliner Verlag an eine Investorengruppe um David Montgomery verkauft. Damals, in einem Hotelzimmer, machte Stefan von Holtzbrinck etwas, was er ungern tut: ein Interview geben. Damit trat er erstmals als Verleger in Erscheinung. Das war er zwar schon seit Mai 2001. Doch noch immer galt Dieter als die Verlegerfigur. Acht Monate später erklärte Dieter seinen Rückzug. Der Verkauf an Montgomery war ein weiterer Mosaikstein, der zum Zerwürfnis der Halbbrüder geführt hat. Ein weiterer waren Differenzen zwischen Stefan von Holtzbrinck und Michael Grabner, dem damals zweiten Mann im Verlag, Dieters engem Vertrauten (s. a. Linktipp). Sein umtriebiges Wirken war aus Stefans Sicht zu wenig kontrollierbar. Es kam zum Bruch, Dieter stieg aus. Stefan und die fürs Buchgeschäft zuständige Monika Schoeller – beide zogen am selben Strang – vereinbarten mit Dieter, ihn auszubezahlen: 200 Millionen Euro sofort, den Rest in Jahresraten von nur 30 Millionen Euro. Dieter zeigte sich als Gentleman. Er sagt, es war zum Schutz der vom gemeinsamen Vater gegründeten Verlagsgruppe.

Jetzt überlässt Stefan von Holtzbrinck seinem Bruder alle überregionalen Blätter und befreit sich von weiteren Zahlungen. Es heißt, schuld seien die Bankverbindlichkeiten. Stefan von Holtzbrinck glaubt – so sagen die, die ihn gut kennen – in Wahrheit nicht an die Zukunft gedruckter, national verbreiteter Publikumsmedien. Eine Ausnahme mag die „Zeit" sein, an der Stefan künftig zur Hälfte mitverdienen wird (2008 waren es zehn Millionen bei 122 Millionen Euro Umsatz). Das Sagen wird dort Dieter haben, in dessen DvH Medien die „Zeit" konsolidiert sein wird.

Nachdem Stefan von Holtzbrinck das Interesse potenzieller Käufer ausgelotet hatte, fand er mit seinem Bruder nicht nur jemanden, der am „Handelsblatt" emotional hängt. Es war von allen denkbaren Varianten die eleganteste. Eine vernünftige Lösung zwischen Brüdern, die im Sinne des langfristigen Erhalts der Verlagsgruppe interpretiert werden kann. Dieter von Holtzbrinck, der 2006 gesagt hatte, er wolle nicht dem „Grundig- oder Neckermann-Effekt" erliegen, sondern loslassen können, will beweisen, dass die „Handelsblatt"-Gruppe doch zukunftsfähig ist, und zwar mit Ausdauer, Gelassenheit und Sparsamkeit. Schwierig ist die Situation dennoch. Unter der Konjunktur- und Strukturkrise leiden anzeigengetriebene Wirtschaftsmedien mit älter werdenden Lesern überdurchschnittlich. 2008 brach der Gewinn der Gruppe von 23 auf 14 Millionen Euro ein. Stefan von Holtzbrinck würde womöglich keine hohen Wetten eingehen, dass das „Handelsblatt" noch dazu gehört, wenn, sagen wir, in zehn Jahren die Frage ansteht, DvH Medien wieder in die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck einzugliedern.

Kritiker sagen, Stefan und Dieter eint ihr Wertesystem, anders als Dieter agiere Stefan jedoch kurzsichtig und renditegetrieben. Die Regionalzeitungen behalte er nur, um Geld für Investitionen ins Internet zu haben, wo er ohne Strategie erfolglos experimentiere und Führungspersonal verschleißt.

Tatsächlich sind die Regionalzeitungen, in deren Geschäft sich Stefan von Holtzbrinck eingearbeitet hat und um die er sich selbst kümmert, lukrativ. Allein die Gruppe um die „Saarbrücker Zeitung" verdient bei 320 Millionen Euro Umsatz geschätzte 40 Millionen Euro. Zu ihr gehören der „Trierische Volksfreund" und die „Lausitzer Rundschau". Hinzu kommen „Mainpost" und „Südkurier". Was mit ihnen allen geschehen wird, ist offen. Aus kartellrechtlicher Sicht sind die Verlagsgruppen der Brüder getrennte Einheiten. Insofern wären Zukäufe – aktuell hat Stefan von Holtzbrinck Aachen im Blick – einfacher. Und binnen zehn Jahren, wenn die Reunion anstünde, kann sich viel ändern, womöglich gar die Pressefusionskontrolle. Heilig ist ihm das regionale Zeitungsgeschäft nicht, obwohl er dort mehr Chancen sieht als im nationalen Markt. Ein Verkauf ist nicht ausgeschlossen. Das gilt auch für die Digitalgeschäfte.

Im Internet sieht Stefan von Holtzbrinck einen Wachstums- und langfristig gewinnbringenden Markt. Anders als es zur publizistisch getriebenen Tradition des Hauses passt, glaubt er, bei Holtzbrinck Digital den im Internet geltenden Regeln folgen zu müssen. Das bringt ihm den Vorwurf ein, wie ein Banker zu agieren: spekulieren, investieren, abstoßen – unabhängig von Art und Qualität der Ware oder Dienstleistung. Wichtigstes Engagement ist Studi VZ, das von Gewinnen, gar von der Refinanzierung weit entfernt ist. Das soll das neue Management ändern. Die Hoffnung ist groß, den mit Digitalem erwirtschafteten Umsatz von 250 bis 2011 auf 500 Millionen Euro wachsen zu lassen. Heilig ist das Digitalgeschäft Stefan von Holtzbrinck aber auch nicht.

Was ist ihm dann heilig? Was das „Handelsblatt" für Dieter von Holtzbrinck ist, ist für Stefan der international weit verzweigte, zweistellig wachsende Geschäftsbereich Bildung und Wissenschaft. Hier liegen sein Interesse und seine Wurzeln. Die „Nature"-Gruppe leitete er einst selbst. Bildung, Wissenschaft, dazu das deutsche und das Ende 2008 in Schieflage geratene amerikanische Buchgeschäft: Nichts davon steht zur Disposition. Die meisten der Aktivitäten finden im Ausland statt, das 52 Prozent zum Umsatz und einen weit höheren Anteil zum Gewinn von 165 Millionen Euro beiträgt. Das, findet Stefan von Holtzbrinck, macht ihn von Gewinnen der Regionalzeitungen unabhängig.

Und der „Tagesspiegel"? Er ist längst nicht mehr so defizitär, wenngleich er wegen Rückstellungen 2008 zwei Millionen Euro Verluste schrieb. Dieter von Holtzbrinck hielt stets an ihm fest. Seine Verbundenheit hielt ihn 2005 nicht von Erwägungen ab, wegen der kartellrechtlichen Probleme den „Tagesspiegel" zu verkaufen und den größeren Berliner Verlag zu behalten.

Jetzt muss er den „Tage
sspiegel" gegen M. DuMont Schaubergs „Berliner Zeitung" verteidigen. Der neu auflebende journalistische Wettbewerb zwischen der „Berliner Zeitung" am Alexanderplatz und dem „Tagesspiegel", der nach der Bundestagswahl an den Askanischen Platz umziehen wird, tut beiden gut.

Linktipp:

Was macht eigentlich Michael Grabner zurzeit? Infos zu seinen Aktivitäten wie die Michael Grabner Media in Wien unter www.mediummagazin.de, Magazin+

Erschienen in Ausgabe 04+05/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 24 bis 25 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.