„Wirklich zum Lachen"

Helmut Schmidt

Bundeskanzler a. D., Mitherausgeber der „Die Zeit". Sein aktuelles Buch „Außer Dienst" steht an der Spitze der Bestseller-Listen.

„Wirtschaftsjournalisten sind seit der Freiburger Schule gewohnt, in nationalen Zusammenhängen zu denken, dabei gibt es in Deutschland eine ungeheure Abhängigkeit von den Weltmärkten. Manche Journalisten glauben, die Krise sei mit nationalen Maßnahmen zu lösen – das ist wirklich zum Lachen. Ich würde gerne mal eine Analyse lesen, warum der New Deal nach der Weltwirtschaftskrise bis zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg nicht wirklich gut funktioniert hat. Daraus sind Lehren zu ziehen für die jetzige Konjunkturkrise. Aber das setzt voraus, dass sich jemand auf den Hintern setzt und arbeitet."

Die Journalisten:

Alexander Hagelüken

Leitender Redakteur Finanzen bei der „Süddeutschen Zeitung" und Herausgeber des Buches „Die großen Spekulanten" („Süddeutsche Zeitung" Edition, Feb. 2009)

„Wir sind vorsichtiger geworden. Wir verzichten bewusst auf Sätze wie „Tun sie dies" oder „Kaufen Sie das". Wir können nicht bis auf die Ebene einzelner Produkte die Risiken und Vorteile bewerten. Dazu bräuchte man 100.000 staatlich bezahlte Nutzwertjournalisten."

Thomas Hütsch

Leiter der Programmgruppe Wirtschaft (Fernsehen) beim Hessischen Rundfunk und zuständig für das ARD-Wirtschaftsmagazin „plusminus"

„Den Nutzwertjournalismus haben wir ganz gut im Griff. Unsere Zuschauer wollen immer konkrete Tipps, konkrete Produktberatung, aber das machen wir nicht, auch wenn wir damit Zuschauer verärgern. In der Redaktion gibt es klare Vorgaben, nicht einzelne Produkte zu empfehlen. Natürlich waren wir froh, als wir die ersten Namen der Lehmann-Geschädigten hatten – endlich konnten wir der Krise ein Gesicht geben. Die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge haben wir noch lange nicht aufgearbeitet."

Greg Ip

Mehrfach preisgekrönter US-Wirtschaftskorrespondent von „The Economist". Ip berichtet vor allem über Finanzmärkte, Geld- und Steuerpolitik.

„Ein klares Manko in der Wirtschaftsberichterstattung ist sicherlich, dass es vor allem an der Wall Street eine ungute Tendenz zum „pack journalism" gibt – wenn einer eine dicke Story ausgräbt, dann hängt sich die ganze Meute an dieses eine Thema dran. Tausende von Journalisten fehlen dann aber für die kontinuierliche Recherche anderer Themen. Woran wir jetzt arbeiten müssen, ist die systematische Analyse, welche von der Politik ergriffene Maßnahmen und Strategien geradewegs in die nächste Krise führen werden. Manchmal stoßen wir dabei sehr frühzeitig auf Probleme. Das führt dann dazu, dass Missstände abgestellt werden, bevor sie zu großen Krisen auswachsen."

Kerstin Kohlenberg

Stellvertretende Leiterin des Ressorts Dossier der „Zeit". Trägerin des Georg von Holtzbrinck-Preises für Wirtschaftsjournalismus.

„Einen Staatssekretär im Finanzministerium, der sich vor der Krise noch sehr stark für die Verbreitung von Asset Backed Securities eingesetzt hat, habe ich kürzlich gefragt, warum er damals nie daran gedacht hat, dass dieser gigantisch wachsende, unregulierte Markt an Derivaten eine Gefahr für die Finanzmärkte darstellen könnte. Der Staatssekretär überlegte eine ganze Weile, und sagte dann: Er wisse es wirklich nicht. Es sei da eben um Chancengleichheit auf dem europäischen Binnenmarkt gegangen, und na ja – es sei ja lange alles gut gegangen. Warner klingen in Wachstumsphasen wie Spielverderber und wer mag schon Spielverderber?"

Uwe Möller

Leiter der Programmgruppe Wirtschaft (Hörfunk) beim Westdeutschen Rundfunk

„Nur jeder siebte Deutsche besitzt Aktien, aber wir berichten ja auch für die anderen. Für diejenigen, die davon ausgingen, dass sie im Gegensatz zu Aktionären nicht mit einem Totalverlust ihres Vermögens rechnen müssen. Wir haben sehr frühzeitig und sehr kritisch zum Beispiel vom Einlagensicherungsfonds berichtet. Wir waren die ersten, die herausgefunden haben, das man nur bis zu einer Einlage von 20.000 Euro auf der sicheren Seite ist, wenn eine große Bank wirklich pleite geht. Wir haben Testpersonen mit klaren Vorgaben für Anlagen durch Banken geschickt – zum Beispiel Senioren, die 100-prozentige Sicherheit und in fünf Jahren wieder an ihr Geld wollten. Keine einzige Bank hat richtig beraten, auch nicht, als die Finanzkrise schon begonnen hatte."

Ulrich Reitz

Chefredakteur der „WAZ Westdeutsche Allgemeine" sowie Jury-Mitglied des Henri-Nannen-Preises und des Theodor-Wolff-Preises

„Die Frage ist: Wie organisiert man unter veränderten Vorzeichen guten und überraschenden Journalismus? Eine Zeitung muss überraschen. Keines der Synergiemodelle beantwortet die Frage, wie man diese Art von Magie organisiert. Jeder Verlag gibt sich Mühe, ein eigenes Modell und einen eigenen Weg zu finden."

Hermann-Josef Tenhagen

Chefredakteur der Verbraucherzeitschrift „FinanzTest"

„Wir müssen dafür sorgen, dass den Leuten klar wird, dass sie in einer Bank nicht einem Berater, sondern einem Verkäufer gegenübersitzen. Bei H&M ist das allen Kunden bewusst, in der Bankfiliale vielen aber nicht. Dabei ist das in der Bank noch eklatanter, denn der H&M-Verkäufer bekommt keine Provision dafür, dass er Ihnen ein besonders hässliches T-Shirt verkauft. Wir dürfen nicht aufhören mit der Berichterstattung über Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen. Sonst überlassen wir das Feld den PR-Agenturen, und dort ist es im Sinne der Verbraucher sicher nicht am besten aufgehoben."

Werner Zedler

Chefredakteur der Verbraucherzeitschrift „Guter Rat"

„Anlegermagazine leiden unter einem Geburtsfehler. Die Leser erwarten konkrete, nutzwertige Empfehlungen, hopp oder topp. Die haben keine Lust, sich mit der komplizierten Materie langwierig auseinanderzusetzen. Aber wir haben uns vergaloppiert mit den ständigen Versprechen, wie in ganz kurzer Zeit ganz viel Geld zu verdienen sei. Es war ein Verkäufermarkt, und wir haben nicht richtig hingeschaut. Wir haben zu spät nachgefragt, wo denn die Risiken bei komplizierten Produkten liegen. Andererseits: Welche Chancen hätten wir denn gehabt? Unsere Redaktion besteht zu zwei Dritteln aus Fachleuten, die Journalisten geworden sind, weil es keine ausgebildete Journalisten für diesen Bereich gibt."

Bernd Ziesemer

Chefredakteur des „Handelsblatt"

„Der Chefredakteur eines Modeblattes sagte mir einmal, seine Beziehung zu den Anzeigenkunden sei „ein faires Geben und Nehmen". Das ist genau der Grund, warum ich kein Chefredakteur einer Modezeitschrift sein will. Zu viele Chefredakteure reden wie Verlagsmanager und umgekehrt. Einige nennen sich sogar Redaktionsmanager. Ich finde das zum Kotzen. Warum reden wir nicht über unser Kerngeschäft? Unser Geschäft sind Scoops, Leitartikel, spannende Inhalte und Reportagen. Wir haben uns den Medien eine merkwürdige Mischung aus Bullshitting und Masochismus angewöhnt, zum Beispiel, Sparmaßnahmen als verlegerische Großtat zu verkaufen. Ich habe keine Lust mehr auf das betriebswirtschaftliche Kauderwelsch und höre ab sofort damit auf."

Linktipp:

Ausführlichere Statements sowie die komplette Rede von „HB"-Chef Bernd Ziesemer stehen unter www.mediummagazin.de, Rubrik Magazin+.

Einzelne Zitate sind auch im mediummagazin Live-Twitter ( www.twitter.com/mediummagazin, Suche #TwdJ) nachzulesen.

Mehr Infos und Fotos siehe www.tag-des-wirtschaftsjournalismus.de

Ulrike Langer ist Redaktionsmitglied von „mediummagazin" und freie Medienjournalistin in Köln.

E-Mail: redaktion@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 04+05/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 26 Autor/en: Protokoll Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberre
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