Die Kritik ist hart: „Viele Zeitungswebsites sind lieblos gemacht", sagt Netzjournalist Thomas Mrazek. Beim Surfen durch die Webauftritte deutscher Regionalzeitungen finde man noch häufig altbackene, statische Internetseiten, reinkopierte Geschichten ohne Kontext, ohne Verlinkung, ohne Social Bookmarking. „Wie wollen solche Häuser in zehn Jahren noch bestehen?" fragt Mrazek.
Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Auch Katja Riefler, die als Beraterin für Neue Medien den Online-Markt seit seinen Anfängen beobachtet, vermisst Mut und Risikobereitschaft in den Verlagen. Nach wie vor werde zu wenig in den Online-Auftritt investiert. Das auf die aktuelle Finanzlage zu schieben, greife zu kurz. Mut und Kreativität haben nichts mit Geld zu tun. Riefler glaubt, „dass die Dimension des Wandels nicht erfasst wird".
Medienberater Steffen Büffel formuliert es schärfer: Viele Regionalzeitungen nutzten nicht einmal einfache webaffine Anwendungen, die dem Medium und den veränderten Nutzungsgewohnheiten gerecht werden. „Die haben noch nicht mal den Urknall gehört."
Dabei ist die Tagespresse durchaus in Bewegung, wie Büffel in seiner aktuellen Studie „Zeitungen online 2008" herausgefunden hat. Büffel und seine Kollegen haben die Angebote der 100 reichweitenstärksten Tageszeitungen untersucht. Bei ihrer Untersuchung stellten sie fest, dass die „klassischen Formate" wie Chat und Forum weniger genutzt werden und dafür immer mehr Zeitungen Blogs, Blogkommentare und eine Kommentarfunktion für Artikel eingeführt haben. Immerhin 70 Prozent aller Zeitungswebseiten bieten einen RSS-Feed und 39 Prozent ein Social Bookmarking. Hier habe sich im Vergleich zu den Vorjahren einiges getan. Allerdings ist das im Vergleich zu den USA immer noch mager. Dort gehören RSS und Social Bookmarks zum Standard einer Online-Zeitung.
Auch in Sachen „Bewegtbild" haben die deutschen Verlage aufgerüstet. 82 Prozent bieten inzwischen Videos auf ihren Seiten an. 2006, als die Zeitungen Online Studie erstmals durchgeführt wurde, waren es lediglich 37 Prozent. Die Zahl verrät jedoch nichts über die Qualität der redaktionellen Inhalte. Büffel: „Gerade im Bereich Videos ist von zugekauftem Agenturcontent, über miserabel gemachte Eigenproduktionen bis hin zu semi-professionellen und professionellen Produktionen alles zu finden."
Also doch ein Wandel? Ja, sagt Steffen Büffel, allerdings ein erzwungener, bei dem die meisten gewandelt werden und nur wenige den Wandel gestalten. Ähnlich formulierte es der amerikanische Zeitungsstratege Steve Yelvington beim Lokaljournalistenforum der Bundeszentrale für politische Bildung: „Zeitungen gehen nicht in die Neue-Medien-Zukunft, nicht ins Internet, sondern klammern an der Vergangenheit fest." Verlage werden getrieben durch ökonomische Zwänge, durch verändertes Mediennutzungsverhalten, durch neue Konkurrenz von innovativen Internet-Startup-Unternehmen. Denn gerade diese kleinen Garagenfirmen ziehen oft das Publikum an und machen sich interessant für den Werbemarkt. „Die kleinen Schnellboote können den großen Tankern in der Masse gefährlich werden", so Thomas Mrazek. Deshalb sei es enorm wichtig, so rät Büffel eindringlich, sich als professionelle Medienanbieter auch diese Communities anzusehen und sich zu fragen: „Was machen die, die erfolgreich sind, anders?" Wichtig sei es, auch die Websites der reinen Onlineanbieter zu beobachten. Als Beispiel nennt Büffel „qype.com", einen lokalen Branchen- und Freizeitführer mit Communityfunktion.
Vorreiter. Einer, der die Nase ständig im Wind hat, ist Markus Hofmann, Leiter von „fudder.de", einer Tochter des „Badischen Zeitungsverlags". „Ich verbringe viel Zeit damit zu schauen, was könnte wichtig werden, welcher Trend könnte kommen", sagt er. Dazu sei vor allem wichtig, sich auf den Dialog mit den Nutzern einzulassen, sie auch als Informanten, Recherchehelfer, Rückkoppler zu instrumentalisieren. „Das kann anstrengend sein, aber der Nutzen ist hoch", ist Hofmann sicher.
Fudder ist eine lokale Community in und um Freiburg, die in erster Linie von den Beiträgen der Nutzer lebt. „Wir haben inzwischen 100.000 User-Kommentare zu Artikeln bekommen", verkündet Hofmann stolz. Die User gelten als „gleichberechtigte Partner" der Redaktion, nehmen am Geschehen teil, bloggen und diskutieren.
Hofmann, der zugleich den Online-Auftritt der „Badischen Zeitung" verantwortet, sieht „fudder" als Spielwiese und Experimentierlabor. „Wir haben die Freiheit, alles auszuprobieren – das muss man auch, um zu sehen, was ist nur ein Hype und was kann man journalistisch nutzen." So ist die dreiköpfige Redaktion bei Twitter ebenso dabei wie bei facebook, verwendet Social Bookmarks, Audio und Video und will demnächst mit Live-Berichten von Veranstaltungen ans Netz gehen. Die Idee erweist sich auch in Krisenzeiten durchaus erfolgreich. „Fudder" wurde 2007 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet und legt ständig zu. Im März 2009 hatte fudder 500.000 Visits und 1.9 Mio PI, etwa doppelt so viel wie im Jahr zuvor. (Zum Vergleich: Das Portal des Mutterhauses „badische-zeitung.de" zählte 1.3 Mio Visits und 11 Mio PI).
Während die Freiburger „fudder"-Gemeinschaft gedeiht, laufen andere Communities eher zäh. So wurde bei „bbv-net.de", dem Internetauftritt des „Bocholter-Borkener Volksblatts", die eigene Community namens „Die Q" wieder eingestellt. Laut Geschäftsführerin Birgit Enk war die Betreuung von „Die Q" zu zeit- und personalaufwendig. Dennoch sagt Enk: „Wir müssen Flagge zeigen". Der Onlineauftritt insgesamt konzentriert sich auf „nur Lokales". Die Website aus Bocholt hat 2007 den IFRA Crossmedia Award gewonnen. Die Jury war beeindruckt, wie ein kleines Medienhaus mit wenig Mitteln die Möglichkeiten aller Nachrichtenkanäle ausschöpft. Vor allem die selbst produzierten Videonachrichten erzielen hohe Klickraten, so die Geschäftsführerin. Deshalb setzt man verstärkt auf diesen Kanal.
Wie wichtig es für Regionalzeitungen ist, auch online Flagge zu zeigen, unterstreicht Thomas Satinsky, Chefredakteur vom „Südkurier" in Konstanz. Vor allem die Vernetzung der Nachrichten-kanäle sei wichtig, betont er: Wichtige Nachrichten werden zuerst aufs Handy gesendet, dann online gebracht, dann in der Zeitung aufbereitet. Und wenn die Zeitung eine Disco-Schlägerei meldet, wird das Thema online in die Diskussion geworfen und die Ergebnisse anschließend wieder im Printteil aufgegriffen. Ziel sei, eine maximale Reichweite zu erlangen. Dafür schickt der „Südkurier" eine achtköpfige Online-Redaktion plus zahlreiche Freie ins Rennen.
Satinsky sieht sehr wohl, dass der Mobildienst nur zaghaft angenommen wird, dass die hauseigene Sport-Community sich nur schleppend entwickelt und dass die Erlöse aus dem Online-Geschäft nur langsam wachsen. Dennoch ist er überzeugter Onliner: „Eine Strategie ist wichtig, aber die Möglichkeit des Scheiterns muss eingerechnet werden. Und es muss die Möglichkeit des Spielens geben."
Ähnlich groß wird das Thema bei der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen" (Ippen-Gruppe) gespielt. Was vielleicht daran liegt, dass Chefredakteur Horst Seidenfaden und Verlagsgeschäftsführer Harold Grönke bekennende Internet-Fans sind – mit Mut und Lust am Experimentieren. So betreibt hna.de etwas, was andere Verlage bisher streng vermieden haben: In guter Blogger-Manier werden interessante Geschichten anderer Medien gesammelt und ausführlich verlinkt. „Damit nehmen wir den Usern ab, zu switchen," so Seidenfaden, „sie können auf unsere Homepage gehen und wissen, was los ist."
In Kassel sorgen neun Festangestellte und vier Freie von sieben bis 23 Uhr dafür, dass auf der Startseite ständig Bewegung ist. Seidenfaden gibt zu, „die Chefredaktion mischt sich jeden Tag vehement in Online-Themen ein." Er selbst jede
nfalls ist „begeistert, dass ich bei dieser extrem spannenden Zeit dabei sein kann". Er gibt jedoch auch zu, dass es schwierig sei, diese Begeisterung in alle Lokalredaktionen hineinzubringen. Entscheidend für einen guten Webauftritt ist für Seidenfaden „Mut zum Abenteuer", dazu gehöre auch der Mut, Fehler zu machen.
Große Ziele hat auch der „Volksfreund" in Trier (Holtzbrinck-Gruppe). „Wir wollen in allen audiovisuellen Bereichen die Nischen besetzen und in allen Bereichen, die an unserer journalistischen Kernkompetenz liegen", sagt Chef vom Dienst Alexander Houben. Auf welchen Kanälen die Informationen aufbereitet werden, sei dabei nicht so wichtig. „Hauptsache, es sind originäre Inhalte, die nur wir haben." In Trier gibt es keine eigene Online-Redaktion, sondern lediglich drei Producer, die Inhalte werden von den Reportern des Hauses geliefert, mal als Text, mal als Blog, mal als Audio- oder Videodatei. Sogar die tägliche Blattkritik wird ins Netz gestellt. Für Houben ist vor allem „das Spielen und Ausprobieren" wichtig. So werde man Twitter für „volksfreund.de" besser als bisher nutzen. Houben: „Wir werden unseren Followern wiederum selbst folgen und dann die gesammelten Tweets unserer Follower auf der Homepage veröffentlichen." Die Techniker bauen gerade an dem Tool. Es soll noch im April in Betrieb gehen.
Genau solche Experimente sind es, die die Online-Experten bei vielen Medienhäusern vermissen. „Wir wissen alle nicht genau, wo es hingeht", so Thomas Mrazek, „aber man muss den Redaktionen Freiräume geben, damit sie ihre Leser und User besser kennenlernen." Auch ohne konkreten Arbeits- oder Rechercheauftrag müssten Redaktionen Zeit dafür bekommen, durchs Netz zu flanieren, Dinge auszuprobieren – das Netz kennenzulernen. Dies unterstreicht auch Steffen Büffel. Den Verlagen eröffne sich mit dem Web die Chance, ihre Zielgruppen auf bisher nie da gewesene Weise kennenzulernen. Wer Nähe zum Leser aufzubaue, auch mal zuzuhören, könne seine journalistische Kompetenz im Lokalen auch im Web mit Erfolg einsetzen. Und er fügt hinzu: „Wer aber auf dem hohen Ross daherkommt, wird auf Dauer scheitern."
Tipps von Steffen Büffel
www.qype.com – lokaler Branchen- und Freizeitführer
www.rivva.de – Trends aus allen Bereichen des www
Links der zitierten Websites:
www.hna.de
www.fudder.de
www.volksfreund.de
www.suedkurier.de
www.bbv-net.de
www.media-ocean.de
www.netzjournalist.twoday.net/
www.risolutions.de/
Erschienen in Ausgabe 04+05/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 52 bis 53 Autor/en: Robert Domes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.