Blasen und Phrasen

„Skalieren“

Die folgenden Phrasen wurden verschiedenen Medienschaffenden auf der Internet-Konferenz „next09“ in Hamburg abgelauscht. Zum absoluten Modewort, nicht nur unter Managern, entwickelt sich „Skalieren“. Der Begriff stammt aus der Mathematik und beschreibt die Veränderung einer Größe oder eines Maßstabs. In der Wirtschaft spricht man von Skaleneffekten – je größer die produzierte Menge eines Produktes, desto höher die möglichen Einsparungen, etwa beim Einsatz von Produktionsmitteln. Nun weiß jeder freie Journalist, dass sich Journalismus nur schwer skalieren lässt. Okay, die ein oder andere Mehrfachverwertung ist trotz Rechteabtritt an die jeweiligen Auftraggeber drin. Doch wer nicht gerade ein Büro mit Angestellten hat, der liefert Handarbeit im Verhältnis 1 Text = 1 Honorar. Ähnliches galt bis vor Kurzem im Prinzip auch für Redaktionen – ein Team arbeitete für ein Medium, und damit hatte es sich. Doch das ist Schnee von gestern. In Zeiten von „Redaktionsclustern“ ist es jetzt auch möglich, Journalismus zu skalieren, indem man einfach eine Redaktion für viele verschiedene Publikationen arbeiten lässt. Gruner+Jahr macht es bei den Wirtschaftsmedien des Hauses, andere Verlage richten vergleichbare „Kompetenzzentren“ ein. Vorreiter war vor vielen Jahren das Haus Springer, wo zunächst „Welt“ und „Berliner Morgenpost“, und schließlich auch die „Welt am Sonntag“, der Online-Auftritt und „Welt Kompakt“ aus einer Redaktion bestückt wurden. Bei Journalisten war eine solche Strategie zunächst verpönt und wird heute mehr oder weniger stillschweigend akzeptiert. Im Zuge der Medienkrise sind Skaleneffekte plötzlich das große Ding und ein Beitrag zur Rettung des Journalismus ganz generell. Darum hier der schlichte Rat: Wer skaliert, gewinnt. Auch rhetorisch.

„Seeden“

Seed Money, das bedeutet so viel wie „Startkapital“. Ein schöner Vergleich – man sät Geld aus und bekommt dafür nicht nur möglichst mehr Geld zurück, sondern hilft auch dabei, ein zartes Unternehmens-Pflänzchen zum Blühen zu bringen. Neben einer Startup-Phase gibt es eine Seed-Phase, es existieren viele Seed-Förderungen usw. In der deutschsprachigen Startup-Szene führt das dazu, dass auf sprachlicher Ebene gerne mal was „geseeded“ wird. So war auf der „next09“ der schöne Satz zu hören: „Das ist eine komplette Idee, die wir ausgeseeded haben.“ Es geht also nicht nur um Geld, sondern um Kreativität. „Seeden“ klingt natürlich sehr viel cooler als „ausbrüten“ (so spricht höchstens Daniel Düsentrieb), darum auch hier ein kurzer Tipp: Bitte seeden Sie jetzt! Morgen ist es vielleicht schon zu spät.

„Das Neugeschäft läuft weiter“

Ein Satz, wie geschaffen für die Krise. Es lohnt sich, ihn in seine Bestandteile zu zerlegen. „Das“ – ein starker Artikel. „Neugeschäft“ – super, in diesen Zeiten? Denn wer hat denn heute noch Aufträge zu vergeben, und das an Partner, mit denen er noch nicht zusammengearbeitet hat? Ganz klar, ein echtes Wort für Gewinner. „Läuft“ – alles, nur kein Stillstand. es muss ja schließlich laufen, Tempo ist jetzt wichtig. „Weiter“ – um es mit Oliver Kahn zu sagen: immer weiter! Wer ein Unternehmen leitet, kann mit diesem Satz nur punkten. Mit kritischen Nachfragen muss allerdings gerechnet werden. Mit Neidern sowieso. Begleitend, und etwas relativierend, ließe sich auch ergänzen: „Wir sind mitten im Aufbau unseres Portfolios.“ Falls das Neugeschäft dann doch noch nicht so eindrucksvoll ist.

„Es zahlt nicht auf die Marke ein.“

Von Marken war in dieser Rubrik schon öfter die Rede. Und auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen – nichts, aber auch gar nichts ist wichtiger als die Marke. Wenn man keine Marke hat, dann baut man eine auf. Hat man eine Marke, schärft man sie, baut eine Markenwelt auf oder optimiert das Markenportfolio. Alles andere – bitte vergessen, weil Firlefanz. Auf die Frage: „Warum machen Sie nicht dieses oder jenes?“ ganz knapp sagen: „Es zahlt nicht auf die Marke ein.“ Damit hat sich jegliche kritische Nachfrage erledigt. Denn die Marke ist die heilige Kuh des Unternehmens.

LinkTipp:

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Erschienen in Ausgabe 06/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 56 bis 56. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.