Diagnose

Zerstörung von innen

Es war eine Krankheit, die das große Leiden sichtbar machte. Die vor Augen führte, wie siech die deutschen Medien sind. Tagelang überboten sich Zeitungen, Magazine und Sender mit Schlagzeilen zur Schweinegrippe, natürlich gab es Brennpunkte im Fernsehen – bevor sich herausstellte, dass alles doch nicht so schlimm ist. Im Grund genommen war sogar alles wie immer. So wie bei der Vogelgrippe, als die Reporter nach Usedom zogen, um Menschen in Schutzanzügen beim Desinfizieren eines Huhns zu filmen. Selbst seriöse Medien agierten wieder einmal ohne Innehalten, ohne Atemholen, ohne Augenmaß und anschließend ohne jegliche Demut. Mund abputzen und weitermachen – in den Redaktionen gilt das alte Oliver-Kahn-Motto.

Wo ist die Lust geblieben? Es erwartet ja schon niemand mehr, dass Journalisten ein wenig antizipieren und etwas wie die Bankenkrise kommen sehen. Man träumt ja schon nicht mehr von Berichten wie den von „Fortune“ über den Energiekonzern Enron, der die ganze Verderbtheit des Management offenlegte, bevor die Blase platzte. Man hat sich hierzulande schon daran gewöhnt, dass die Journalisten allenfalls die Gegenwart beschreiben können und nicht die Zukunft. Und schon das fällt schwer genug.

Natürlich hat es mit Geld zu tun, wenn die Qualität des Journalismus erodiert, aber auch mit Können und Wollen. Es hat auch mit einer Lust, über den eigenen Tellerrand hi- nauszublicken, zu tun. Den Blickwinkel eines saturierten Menschen zu verlassen, der man als gut bezahlter Angestellter einer überregionalen Tageszeitung oder von ARD und ZDF nun mal ist. Für manchen Parlamentsjournalisten mag es eine lieb gewordene Angewohnheit sein, im Café Einstein unter Linden zu sitzen und sich auf Augenhöhe mit den dort Wichtigkeit absondernden Politikern zu fühlen – aber öfter sollten sie sich fragen, wer die ganzen Politik-Artikel lesen will, die bei dieser Art Fraternisierung am Ende herauskommen. Kann es sein, dass die umfangreiche Parlamentsberichterstattung aus solchen Blickwinkeln besonders die jüngeren Leser, um die sich angeblich alles so sorgen, nicht sonderlich interessiert?

Seltene Ausnahmen. Im Feuilleton herrscht ebenfalls intellektuelle Ermattung. Selbst mediokre Autoren werden dort unter Genieverdacht gestellt – man schreibt über einen schönen Abend beim Depeche Mode-Konzert in Tel Aviv oder warum das Berliner Nachtleben gerade erlahmt – und merkt dabei die eigene Erlahmung nicht. Klar, es gibt Ausnahmen wie den Kulturredakteur Nils Minkmar, der ein ebenfalls gesetztes Leben wie die Kollegen führen dürfte und dennoch mit einem moralisch-politischen Kompass durch die Gesellschaft streift und fein beobachtet, anstatt nur in sich selbst hineinzuhören. Es gibt auch einen Stefan Niggemeier, der fast im Alleingang versucht, die unzähligen Tatort-Kritiken auf den Medienseiten vergessen zu machen und im Internet gegen den Bedeutungsverlust des Medienjournalismus anschreibt.

Überhaupt das Internet – im Glauben an die große Zahl, die die Medienplaner doch noch überzeugen könnte, Werbung zu schalten, erdenken sich selbst seriöse Medien wie sueddeutsche.de und spiegel online halbseidene Clickgalerien und boulevardeske Inhalte, die das Ansehen des Mutterblatts beschädigen, anstatt es zu steigern. Unabhängige Blogs werden nicht als zusätzlicher Ansporn zur Verbesserung der eigenen Qualität gesehen oder als ergänzendes Medium (wie es etwa beim englischen „Guardian“ der Fall ist), sondern als eine Art Majestätsbeleidigung. Auf Wikipedia wird geschimpft – ganz so, als stünde nicht in jeder deutschen Zeitung genauso viel Halbwissen wie in den Wiki-Einträgen – mit dem einen Unterschied, dass im Netz auf unzulängliche Passagen hingewiesen wird. Und hat in Deutschland mal ein Journalist ein gutes Buch über Wikipedia geschrieben, was ja durchaus interessant sein könnte? Natürlich nicht, stattdessen aber in den USA („The Wikipedia Revolution“ von Andrew Lih).

Blanke Chaostheorie. Wo ist die Idee für das Netz, oder darf man die von deutschen Verlagshäusern gar nicht mehr erwarten? Holtzbrinck setzt auf eine Art Chaostheorie und kauft alles zusammen, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Gedanken, wie sinnvoll ist, kann man sich ja immer noch machen – und macht man sich ja auch, wenngleich es derzeit nicht so aussieht, als käme es etwas dabei heraus. Und Burda verkündet (wie schon so oft) die Revolution in der Crossmedia-Welt, nur um sich dann schnell vom zuständigen Vorstand Christiane zu Salm zu trennen. Und weiß jemand, was Bertelsmann mit seinem Wie-heißt-der-noch-Vorsitzenden im Internet treibt?

Die deutschen Medienhäuser haben auch im vierten Jahr des Web 2.0 keine Idee, wie ihre Zukunft aussieht. In einer Welt, in der sich Mediennutzungsgewohnheiten rapide ändern, der Journalismus durch Wikis, Blogs und eigene Erstarrtheit seine Glaubwürdigkeit verliert, in der etliche Lebensstile parallel existieren. Eine Gesellschaft also, die sich auf dem Reißbrett der Medienmanager nicht mehr so einfach abbilden lässt. Es ist viel die Rede von Werbeausfällen, fehlendem Geld für journalistische Qualität und den Ausverkauf publizistischer Tugenden durch das Internet. Im Augenblick sieht es aber eher so aus, als zerstöre sich der Journalismus von innen.

Erschienen in Ausgabe 06/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 64 bis 65. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.