Dreifach neu

Die Stimme aus dem PC des Chefredakteurs war etwas undeutlich, aber so viel war doch zu verstehen: „Eine Durchsage der Hausverwaltung: Die eingetretene Situation hat sich entspannt“.

Ach, wäre es doch nur schon so weit: Kurz vor dem Relaunch der „Stuttgarter Zeitung“ („StZ“) am 20. Juni kann in der Redaktion von Entspannung keine Rede sein. Eine Menge steht auf dem Spiel: Die „Stuttgarter Zeitung“ „StZ“, das regionale Vorzeigeblatt der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH, s.a. Titel MM 3/08) „mit überregionalem Anspruch“ und knapp 150.000 verkaufter Auflage (1. Quartal 2009 zu 1/08: minus 1,8%), erlebt gerade den größten Umbruch seit über 20 Jahren: Die Zeitung wird optisch und inhaltlich relauncht, die Website erstmals in eigener, redaktioneller Veranwortung erstellt und neu aufgestellt sowie gleichzeitig das Zusammenspiel im neuen Newsroom geübt, der am 11. Mai eingeweiht wurde. Das alles in der aktuellen Wirtschaftskrise, die auch das Blatt in der sonst so prosperierenden schwäbischen Region heftig beutelt. Von über 40% Einbußen bei den für die „StZ“ wichtigen Stellenanzeigen ist die Rede, von rund 20 Prozent Minus bei Anzeigen insgesamt.

Man könnte es deshalb ein Anti-Krisen-Signal nennen, dass der Verlag nun jeweils 6-stellige Summen gleich in zwei Relaunchs steckt: Denn was die „Stuttgarter Zeitung“ noch vor sich hat, haben die „Stuttgarter Nachrichten“ bereits am 25.April umgesetzt (s. Kasten). Doch der Relaunch der „StZ“ wird den Schwaben eine, nun ja, neue Zeitung bescheren. Noch verzichtet die „StZ“ auf einen täglichen Bildaufmacher – was man auch als „Alleinstellungsmerkmal“ bezeichnen könnte, nachdem die „FAZ“ vor Jahresfrist das Titelfoto eingeführt hat. Doch nicht nur das soll sich nun ändern. Chefredakteur Joachim Dorfs und Art-Direktor Dirk Steininger haben sich die Berliner Agentur KircherBurkhardt an Bord geholt, um das Blatt zu überarbeiten. Das Ziel ist so etwas wie die Quadratur des Kreises: Bewahren und Verändern, Stammleser nicht verprellen und die Attraktivität für jüngere Leser steigern.

„Kontinuität ist für die ‚Stuttgarter Zeitung‘ besonders wichtig“, betont Dorfs, der vor seinem Wechsel bis Januar 2008 Vize-Chefredakteur des „Handelsblatt“ war und sich mit liberalkonservativen Leserschichten auskennt. Nur: „Selbst „überzeugte Stammleser konnten in der qualitativen Marktforschung nicht immer Gründe nennen, warum eigentlich sie zufrieden sind“. Und als sogar aus dem Seniorenheim Beschwerden kamen, die Zeitung sei nicht mehr zu lesen (was, so Steiniger, an der alten Schrift Gulliver 7,4 Punkt lag), war der letzte Anstoß zum Relaunch gegeben.

Das auffälligste Signal der Neuerung wird das vierspaltige Farbfoto auf der Titelseite sein, als Teaser für weiterführende, überregionale Texte im Blatt. Denn der Leser der „StZ“ will nur bedingt Lokalkolorit auf dem Titel, wie Tests ergaben: Obama kam da deutlich besser an als der (ehemalige Stuttgarter) Theater-Chef Peymann. Die Themen des Tages sollen stärker hervorgehoben werden, ebenso wie journalistische Eigenleistungen. So wird der Titel-Kommentar optisch aufgewertet, die Autoren zeigen künftig schwarz weiß-gezeichnet Gesicht. Weiterführende Themen-Teaser sind auch unter dem Titelfoto platziert, etwas gewöhnungsdürftig.

Das 1. Buch wird ganz neu gegliedert: Dem allgemeinen Trend folgend, wird nun auch die Seite 2 der „StZ“ dem „Tagesthema“ gewidmet sein. Zudem erhält sie ein ausführliches Inhaltsverzeichnis in der Randspalte (ähnlich wie dem der „Frankfurter Rundschau“ und der „Sonntagszeitung“ der „FAZ“). Die Seite 4 wird der Innenpolitik, 5 der Landespolitik und 6 der Außenpolitik gewidmet sein (beim Mindestumfang von acht Seiten). Auf den ersten Blick eine schlüssige Gliederung, für die traditionellen Leser allerdings eine große Umstellung, denn die bisherige Doppelseite zur Landesberichterstattung im 1. Buch wird gesplittet: die Landespolitik bleibt im ersten Buch, Berichte aus Baden-Württemberg ohne landespolitischen Bezug wandern ins 3. (regionale) Buch. Das habe den Vorteil, so Dorfs, dass die tägliche und mehrfach preisgekrönte Reportagenseite, die sich die „StZ“ auch fürs Lokale leistet, nun ihr Themenspektrum auch auf das ganze Land ausdehnen könne. Außerdem könnten so die Themen für die Metropolregion Stuttgart kompakt in einem Buch zusammen gestellt werden. Bunte Themen „Aus aller Welt“ bekommen, zusammen mit dem Wetter, mehr Platz (Seiten 7+8), nur die „Dritte Seite“, die traditionelle Reportage- und Kommentar-Seite, bleibt an ihrem Stammplatz.

Die neue Leitfarbe ist „Gold“ – wie Art-Director Dirk Steiniger sanft korrigiert, wenn man „Gelb“ dazu sagt – und schlägt sich u. a. im Zeitungskopf, Rubriken-Titeln und Infografiken nieder.

Das 2. Buch bleibt der Wirtschaft vorbehalten. Neu ist die letzte, tägliche Seite „Entdecken“, die wissenschaftliche und wissenschaftsnahe Themen bündelt. „Die Leserforschung hat uns gezeigt, dass sich die Leser wechselnde Themen-Seiten nicht merken und lieber jeden Tag Querschnitt- Informationen haben wollen, eben etwas „entdecken“ wollen“, sagt Dorfs. Auch die Wochenendbeilage „Brücke zur Welt“ wird deshalb ihre Seiten nicht mehr rubrizieren.

Das Kulturbuch wird nutzwertiger, der bisherige Veranstaltungskalender mit Kolumnen neu auf der Seite „Was Wann Wo“ gestaltet, Der Sport, dessen Aufschlagseite die letzte Seite des 4.Buchs bildet, wird von hinten zu lesen sein.

„Grundsätzlich gilt der Rhythmus, dass die besonderen Seiten wie Aufmacher, Seite 3 etc. stärker illustriert werden als bisher, dafür die Innenseiten ruhiger und standardisierter werden“, meint Dorfs. Die neue Schrift (Chronicle 8,9 Punkt, wie bei der „Liberation“) ist zwar größer als die bisherige Gulliver. „Besonders durch zurückhaltende Illustrationen auf den Innenseiten fällt der Textverlust aber nicht ins Gewicht“’sagt Dirk Steininger. Und auch Dorfs betont: „Auch künftig liefern wir lange, hintergründige Texte, bieten aber mehr Einstiegspunkte in den Text wie Blocker, Grafiken und Zitate“.

Gleichzeitig wird auch die Website neu aufgestellt: Bisher von dem externen Dienstleister, der Tochterfirma SIR, zentral für alle Titel betrieben, hat die „StZ“ am 1. Mai selbst die redaktionelle Hoheit über die Website übernommen und ein eigenes, vierköpfiges Ressort dafür eingerichtet. Online-Chef Tobias Köhler (36) hat ein ambitioniertes Ziel: „Wir wollen zeigen, wie die Zukunft aussehen könnte“ – d. h. weg vom 2-spaltigen Webseiten-Umbruch, hin zum Webdesign des „Independent“. Und: „Wir wollen mehr Lebensgefühl vom Stadtleben auf die Website bringen“. Dazu zählt auch der Ausbau von Community-Elementen wie das bisher schon erfolgreiche VfB-Forum (rund 1,5 Millionen Hits pro Monat) oder die für den Grimme-Online-Award nominierte Geschichtswerkstatt „von Zeit zu Zeit“. Was die Interaktion der Print- und Onlineredaktion betrifft, setzt Köhler hingegen auf „eine Politik der kleinen Schritte“: Lieber „überzeugen statt zwingen“.

Dazu kommt auch der neue Newsroom (Kosten: Knapp 100.000 Euro inklusive Umbau), in dem nun alle Ressorts (bis auf das Reportagenteam Seite 3) integriert sind. Die 40 Arbeitsplätze werden von festen Blattmacher besetzt (eine Woche Dienst am Desk gilt als Minimum). Michael Maurer, Leiter des Newsrooms und Vize-Chefredakteur, hält die neue, im Großraumbüro gebündelte Arbeitsteilung von Newseditor und Reporter für unverzichtbar „insbesondere, wenn Print und Online künftig miteinander verschmelzen“. Immer wieder aufflammende Gerüchte, dass wesentliche Teile der „StZ“ von der großen Schwester „Süddeutsche Zeitung“ zugeliefert werden könnten, bezeichnet Dorfs dagegen als gegenstandslos und schlicht „absurd“.

Der gesamte Relaunch ist ein überfälliger Schritt und überzeugt insgesamt. Aber er ist ein Wagnis, denn er bricht deutlich mit den Gewohnheiten der „StZ“-Leser. Der Erfolg oder Misserfolg wird sicher auch darüber entscheiden, ob es bei dem derzeit gemäßigten Sparkurs in der „StZ“ bleibt. Seit dem 6. Juni werden die Schwaben auf das neue Bild Ihrer Zeitung eing
estimmt. Das Datum für den crossmedialen Relaunch ist genau platziert: am 20. Juni findet der „Stuttgarter Zeitung-Lauf“ statt, mit rund 27.000 Teilnehmern, die auch die Clickraten der neuen Website in Rekordhöhe treiben sollen. Bis dahin bleibt die Durchsage der Hausverwaltung allerdings für die Redaktion ein frommer Wunsch: „Die Situation hat sich entspannt“.

Tipp:

Mehr Seiten von der neuen „Stuttgarter Zeitung“ mit Details zum Relaunch sind zu besichtigen unter www.mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 06/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 24 bis 24 Autor/en: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.